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Schlau geboren oder schlau geworden?

Zusammenspiel aus Genen und Umwelt macht den Unterschied aus

Intelligente Menschen haben viele Vorteile: Sie sind körperlich gesünder, werden älter und haben eine größere Chance auf beruflichen Erfolg. Da ist sich die Wissenschaft einig. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, was genau bestimmt, wie klug jemand ist.

Dabei ist unstrittig, dass Intelligenz zumindest teilweise erblich ist. „Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die zumeist mit Zwillingen durchgeführt wurden, die belegen, dass die Erblichkeit von Intelligenz bei etwa 60 Prozent liegt. Wobei der Einfluss der Gene in der Kindheit etwas geringer ist, als bei Erwachsenen”, sagt Prof. Dr. med. André Reis, Leiter des Humangenetischen Instituts am Universitätsklinikum Erlangen. Während der Anteil des Erbguts an der Intelligenz durch die Zwillingsstudien klar belegt ist, war bisher noch wenig darüber bekannt, welche Gene involviert sind.

„Um bestimmte Fähigkeiten auszubilden, reicht Talent allein nicht, da brauche ich auch eine anregende Umwelt.”

Prof. Dr. med. André Reis, Universitätsklinikum Erlangen

„Das ändert sich derzeit, vor allem aufgrund der technischen Weiterentwicklungen im Bereich der Genomanalyse”, sagt Reis. Diese ermöglichen es Wissenschaftlern Genvarianten zu identifizieren und sie mit bestimmten Verhaltensmerkmalen in Verbindung zu setzen. Mit dieser Methode gelang es einem Team von Wissenschaftlern um James J. Lee von der University of Minnesota in einer in Nature Genetics veröffentlichten Studie 1271 genetische Varianten nachzuweisen, die mit dem Bildungserfolg von Menschen in Verbindung stehen, zu identifizieren. Dazu analysierten die Wissenschaftler das Erbgut von über einer Million Menschen. Bereits im Jahr zuvor war es Forschern um Danielle Posthuma von der University of Amsterdam gelungen, 40 solcher Gene zu identifizieren.

Beide Studien identifizierten dabei vor allem Gene, die im Gehirn lokalisiert sind und mit Nervenwachstum, Nervendifferenzierung und der Kommunikation zwischen Nervenzellen in Verbindung stehen. „Das ergibt erstmal Sinn, wenn man davon ausgeht, dass intelligenten Menschen zugeschrieben wird, Informationen besonders schnell zu verarbeiten”, sagt Reis. „Allerdings sind die aktuellen Studien zwar wichtige erste Schritte, ein abschließendes Verständnis der Funktionen liefern sie nicht. Erstens lassen sich durch die Befunde nur etwa fünf bis zehn Prozent der Varianten erklären und zweitens kennen wir jetzt sozusagen die Spieler, die an der Aktion beteiligt sind, wie sie genau agieren, gilt es aber erst noch zu erforschen.”

„Genetische Faktoren können durch die Umwelt verstärkt werden. Als Kind intelligenter Eltern habe ich eventuell einen kleinen genetischen Vorteil, aber vor allem wachse ich in der Regel in einer förderintensiveren Umwelt auf.“

Prof. Dr. Detlef Rost, Philipps-Universität Marburg

Zumal auch die Umwelt bei der Ausbildung der Intelligenz eine entscheidende Rolle spiele: „Um bestimmte Fähigkeiten auszubilden, reicht Talent allein nicht, da brauche ich auch eine anregende Umwelt”, sagt Reis. Eine Ansicht, die auch Prof. Dr. Rainer Riemann, Professor an der Universität Bielefeld und Leiter der größten Zwillingsfamilienstudie, TwinLife, teilt: „Früher gab es da zwei getrennte Lager, aber heute wissen wir, dass es eine enge Verzahnung von Umwelt und Genen gibt und beide die Intelligenz beeinflussen. Darauf weisen auch die ersten Ergebnisse unserer Zwillingsstudien hin”. Wer in einer musischen Familie aufwachse, so Riemann, dessen musisches Talent würde höchstwahrscheinlich mehr gefördert, als wenn man in einer Familie aufwächst, die sich für Musik gar nicht interessiert. „Gleichzeitig ist aber auch die Wahrscheinlichkeit größer überhaupt musikalisch begabt zu sein, wenn man musikalische Eltern hat. Das gilt auch für viele andere Bereiche”, sagt er. „Wir nennen das passive bzw. reaktive Umwelt-Anlage-Korrelation und es zeigt, wie komplex das Zusammenspiel ist und wie viele Faktoren eine Rolle spielen”. Auch der Psychologe Prof. Dr. Detlef Rost von der Philipps-Universität Marburg betont diesen Zusammenhang: „Genetische Faktoren können durch die Umwelt verstärkt werden. Als Kind intelligenter Eltern habe ich eventuell einen kleinen genetischen Vorteil, aber vor allem wachse ich in der Regel in einer förderintensiveren Umwelt auf und habe dadurch einen entscheidenden Vorteil. Das ist auch ein Grund, warum der genetische Anteil an der Intelligenz später immer bedeutsamer wird, während er bei Kindern noch bei nur 30 Prozent liegt”.

„Während ich die Genetik nicht wirklich beeinflussen kann, kann ich bei den Umweltfaktoren natürlich einiges bewegen.”

Prof. Dr. Rainer Riemann, Universität Bielefeld

Neben der familiären Umwelt spielen aber auch Umweltfaktoren eine Rolle, die über das Elternhaus hinausgehen. Zu diesen könnten beispielsweise das Bildungssystem oder Entwicklungen in der Medienlandschaft gehören. Dass auch solche Faktoren eine Rolle spielen, konnte kürzlich von einem Forscherteam um Prof. Dr. Ole Rogeberg von der Universität Oslo erstmals gezeigt werden. Er wies nach, dass der sogenannte reversive Flynn-Effekt, auch bei Brüdern, die in der gleichen Familie aufwachsen, vorherrscht. „Das kann nur der Fall sein, wenn das Elternhaus nicht die einzige Umwelt ist, die für die Intelligenzentwicklung eine Rolle spielt”, sagt Rogeberg. „Unsere Ergebnisse legen also nahe, dass neben der familiären Umwelt auch noch Faktoren eine Rolle spielen, die außerhalb dieses liegen”. In welcher Art und Weise diese Faktoren die Ausbildung von Intelligenz genau beeinflussen, gilt es nun genauer zu analysieren.

Wichtig ist das vor allem, um Entscheidungen darüber treffen zu können, wie man Menschen am Besten fördert. „Während ich die Genetik nicht wirklich beeinflussen kann, kann ich bei den Umweltfaktoren natürlich einiges bewegen”, sagt Rainer Riemann. „Hier gilt es vor allem bildungspolitisch aktiv zu werden und Talente individuell zu fördern, vor allem da, wo die Förderung im Elternhaus nicht gegeben ist”.

Infobox: Flynn-Effekt

Der neuseeländische Politologe James R. Flynn stellte 1984 fest, dass das durchschnittliche Ergebnis bei IQ-Tests seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Industriestaaten über die Jahre stieg und dadurch die durchschnittliche Intelligenz in der gesamten Bevölkerung zunahm. Dieses Phänomen wurde im Nachhinein nach dem Entdecker benannt.

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