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TwinLife – Zwillingsstudie zur sozialen Ungerechtigkeit

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Rainer Riemann

Herr Riemann, was genau untersuchen Sie mit Ihrer Studie TwinLife?

Wir interessieren uns dafür, wie soziale Ungerechtigkeit entsteht. TwinLife ist eine Langzeit-Zwillingsfamilien-Studie. Wir befragen jährlich über 4000 in Deutschland lebende eineiige und zweieiige Zwillingspaare und deren Familien zu den Bedingungen unter denen sie leben. Wir wollen den wechselseitigen Prozess von individuellen Veranlagungen und umweltbedingten Situationen und Gegebenheiten genauer analysieren. Es geht im Prinzip darum, herauszufinden, wie Gene und Umweltfaktoren für die Entstehung sozialer Ungerechtigkeit zusammenwirken. Mit sozialer Ungerechtigkeit meinen wir dabei die Aussichten auf ein erfolgreiches und befriedigendes Leben: dafür ist Intelligenz ein wichtiger Parameter.

„Vergleichen wir eineiige und zweieiige Zwillinge miteinander, können wir den Einfluss von Genen und Umwelt auf ein bestimmtes Merkmal recht gut abschätzen.“

Weshalb werden Zwillingsfamilien für die Studie befragt?

Zwillingsfamilien ermöglichen es uns, die genetischen Effekte zu kontrollieren, deshalb sind sie für solche Fragestellungen die idealen Untersuchungsobjekte. Wir können nur dann den genetischen Einfluss und den Einfluss von Umweltfaktoren voneinander getrennt bewerten, wenn wir einen der beiden Faktoren konstant halten. Eineiige Zwillinge weisen exakt die gleiche Erbanlage auf und teilen sehr viele ihrer Umwelteinflüsse, wenn sie in der gleichen Familie aufwachsen. Zweieiige Zwillinge hingegen teilen durchschnittlich nur 50 Prozent ihrer Gene, wachsen aber im Gegensatz zu normalen Geschwistern im gleichen Zeitraum und damit unter ähnlichen Bedingungen auf. Vergleichen wir eineiige und zweieiige Zwillinge miteinander, so können wir deshalb den Einfluss von Genen und Umwelt auf ein bestimmtes Merkmal recht gut abschätzen.

Sind sich beispielsweise eineiige Zwillinge in einem Merkmal sehr ähnlich, zweieiige Zwillinge jedoch weniger oder gar nicht, dann sind die Gene der entscheidende Faktor für das Merkmal. Sind sich die zweieiigen in einem Merkmal fast so ähnlich wie die eineiigen Zwillinge, spielt die geteilte Umwelt die entscheidende Rolle. Sprich jene Umwelt, die bei beiden konstant ist. Die nicht geteilte Umwelt ist dann sehr bedeutend, wenn eineiige Zwillinge, die gemeinsam aufwachsen, sich dennoch unterschiedlich entwickeln.

„Eine erste Analyse zeigt etwa, dass für die Schulnoten genetische Effekte eine hohe Rolle zu spielen scheinen, da sie zwischen eineiigen Zwillingen sehr ähnlich sind.“

Weshalb werden auch die Familien für die Studie befragt und nicht nur die Zwillinge?

Mit der Befragung der Familien können wir den Einfluss bewerten, den es hat als Zwilling in einer Familie aufzuwachsen. Darüber hinaus ist es spannend, sich Familien anzuschauen, in denen es ein Stiefelternteil gibt. Sollten sich hier Ähnlichkeiten ergeben, können wir klar zeigen, dass sie aufgrund der Umwelt zustande kommen, weil zwischen den Kindern und den Stiefeltern keine genetische Verbindung besteht.

Was können Sie basierend auf den ersten Studienergebnissen bereits zu diesem Zusammenhang sagen?

Aus den ersten Ergebnissen lässt sich ableiten, dass es sich um ein komplexes Zusammenspiel aus Umweltfaktoren und genetischen Komponenten handelt. Eine erste Analyse zeigt etwa, dass für die Schulnoten genetische Effekte eine hohe Rolle zu spielen scheinen, da sie zwischen eineiigen Zwillingen sehr ähnlich sind. Um zu kontrollieren, ob dies nicht doch an der gleichen sozialen Umwelt innerhalb der Schule liegt, haben wir Geschwisterkinder einbezogen. Dort zeigte sich jedoch ein Unterschied zu den Zwillingspaaren – was wiederum auf den Einfluss der Gene hindeutet. Allerdings bedeutet das keinesfalls, dass Umweltfaktoren gar keine Rolle spielen. Das wäre ein Trugschluss.

Zur Person

Prof. Dr. Rainer Riemann ist Persönlichkeitsforscher und Professor an der Universität Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind insbesondere verhaltensgenetische Studien zu Persönlichkeit, Fähigkeiten und sozialen Einstellungen.

Aus der seit 2014 stattfindenden Studie TwinLife sind bereits einige Veröffentlichungen entstanden.

 

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