Foto: Ragnar Frisch Centre for Economic Research

Umweltbedingungen außerhalb der Familie spielen eine Rolle bei der Intelligenzentwicklung

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Ole Rogeberg

Was sind die wichtigsten Ergebnisse ihrer veröffentlichten Studie?

In unserer Studie haben wir die Ergebnisse der Begabungstests der norwegischen Armee analysiert, die alle Wehrdienstpflichtigen absolvieren müssen. Diese Tests ähneln einem klassischen Intelligenztest. Wir haben feststellen können, dass das Ergebnis des Tests und damit die durchschnittliche Intelligenz bis zum Geburtsjahr 1975 gestiegen ist, seitdem aber wieder sinkt. Dieser Rückgang wird als “reversiver Flynn-Effekt” bezeichnet und lässt sich auch in vielen anderen Studien weltweit feststellen.

Spannend ist unsere Studie aber vor allem, weil wir über umfassendes Datenmaterial von Familien von über 30 verschiedenen Jahrgängen verfügen. Dadurch konnten wir untersuchen, ob der allgemein beobachtete Rückgang auch bei Personen zutrifft, die dieselben Eltern haben. Und das ist tatsächlich der Fall! Mit unserer Studie haben wir also zeigen können, dass gewisse Umwelteinflüsse auch innerhalb einer Familie nicht konstant sind und eben diese eine Rolle für den Unterschied der durchschnittlichen Testergebnisse spielen müssen.

„Unsere Forschung setzt der Vorstellung ein Ende, dass der reversible Flynn-Effekt dadurch entsteht, dass weniger intelligente Menschen mehr Kinder haben als intelligente Menschen.“

Was ist der Unterschied zwischen konstanten Umwelteinflüssen innerhalb einer Familie und jenen, die nicht konstant sind?

Wenn Kinder in identischen Familienkonstellationen aufwachsen, gibt es eine Reihe an Faktoren, die sich nicht allzu stark verändern. Dazu gehören unter anderem die Erziehung, die Bildung der Eltern oder die sozio-ökonomischen Lebensbedingungen – für Geschwister ist all dies weitestgehend konstant. Sich verändernde Umwelteinflüsse sind hingegen jene, die sich über die Zeit verändern – wie etwa das Bildungssystem oder die Medienlandschaft. Unsere Studie ist die erste, die zeigt, dass eben solche Faktoren die Hauptgründe für die Veränderung der durchschnittlichen Intelligenz sind – zumindest in Norwegen.

Heißt das, dass Gene und andere Umweltfaktoren keine Rolle spielen?

Auf keinen Fall. Wer bezweifelt, dass Gene eine Rolle für die Intelligenz spielen, sollte mal versuchen einen Schimpansen aufzuziehen. Intelligenz hängt sowohl von genetischen als auch von umweltbezogenen Faktoren ab. Unsere Forschung setzt der Vorstellung ein Ende, dass der reversible Flynn-Effekt dadurch entsteht, dass weniger intelligente Menschen mehr Kinder haben als intelligente Menschen. Wäre dies der Fall, dürften wir den Effekt innerhalb der Familien nicht zeigen können.

„Es gibt eine Reihe von Studien aus Norwegen und anderen Ländern, die zeigen, dass mehr verpflichtende Bildung auch zu durchschnittlich höheren Intelligenzwerten führt.“

Konnten Sie die Umweltfaktoren, welche die Intelligenz beeinflussen, konkreter bestimmen?

Die Bestimmung der konkreten Faktoren war nicht Fokus unserer Studie. Bislang haben wir mögliche Faktoren identifiziert, nun müsste ihr Einfluss auch noch konkret untersucht werden. Wir wissen aber, dass der Faktor ‘Bildung’ die Intelligenzwerte beeinflusst. Es gibt eine Reihe von Studien aus Norwegen und anderen Ländern, die zeigen, dass mehr verpflichtende Bildung auch zu durchschnittlich höheren Intelligenzwerten führt. Aber dies zu überprüfen und dadurch ein detaillierteres Bild über die Zusammenhänge zu erhalten, ist – wie gesagt – der nächste Schritt.

Wäre es möglich, dass wir den Punkt der maximalen Intelligenz einfach schon erreicht haben?

Es ist durchaus sehr wahrscheinlich, dass es ein Maximum gibt, wie gut die Menschheit kognitive Aufgaben lösen kann. Intelligenz als Eigenschaft wird oft auch mit der Eigenschaft ‘Körpergröße’ verglichen: sie ist ebenso abhängig von den Genen wie von Umwelteinflüssen. Einige Studien belegen auch, dass manche Staaten bereits das Maximum der durchschnittlichen Körpergröße erreicht haben und dort die Menschen nicht noch größer werden. Aber wenn das Maß an Intelligenz ein absolutes Maximum erreicht hätte, würde die durchschnittliche Intelligenz auf einem hohen Niveau konstant bleiben und nicht sinken. Obwohl ich davon ausgehe, dass wir irgendwann ein Limit erreichen werden, erklärt das nicht, warum wir momentan einen Rückgang der durchschnittlichen Intelligenz feststellen.

Wie stark könnte das Ergebnis des Tests dadurch beeinflusst sein, dass der Test seit 50 Jahren nicht mehr verändert wurde?

Diese Tatsache schlägt sich tatsächlich in den Ergebnisse nieder, weil die Fähigkeit einige Teile des Tests erfolgreich zu absolvieren auch damit zusammenhängt, wie wir unterrichtet und ausgebildet werden und welche Art von Aufgaben wir bereits gewohnt sind zu lösen. Sprache beispielsweise wandelt sich über die Jahre, ebenso auch die Art, wie wir mathematische Probleme lösen. Beides könnte jeweils einen Effekt auf die Bereiche ‘Vokabular’ und ‘arithmetische Fähigkeiten’ innerhalb des Tests haben. Der dritte Teil des Tests, ‘abstrakte und logische Argumentation’, sollte davon jedoch nicht betroffen sein. Tatsächlich haben wir keinen konkreten Einblick in die Testergebnisse der einzelnen Teilbereiche, sondern nur in das Testergebnis der Teilnehmer als Ganzes. Im Endeffekt könnte also der Testaufbau eine Limitation für die Interpretation des Ergebnisses sein. Die generelle Tendenz ist davon aber unbeeinträchtigt und steht im Einklang mit anderen Studienergebnissen, die ebenfalls den Rückgang an durchschnittlicher Intelligenz festgestellt haben.

Zur Person

Prof. Dr. Ole Rogeberg ist Senior Research Fellow und Vizedirektor am Ragnar Frisch Centre for Economic Research in Oslo.

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