Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit

„Wärme wird in Zukunft komplizierter.“

Ein Gespräch mit Dr. Jens Clausen

Warum spielt Erdgas als fossiler Energieträger bei der Wärmeversorgung in Deutschland so eine große Rolle?

Seit Jahrhunderten erzeugen wir Wärme, indem wir irgendwas verbrennen. Vielen Leuten fehlt es an der Vorstellung, dass man Wärme auch erzeugen kann, ohne das etwas brennt. Und das was wir zu verbrennen hatten – Erdgas und Heizöl – war bis vor kurzem auch noch sehr billig. Erdgas hat über Jahre hinweg im internationalen Handel wenige Cent pro Kilowattstunde gekostet. Für diesen Preis bekam man keine regenerativen Energien. Und aufgrund des Mangels an Preissignalen der letzten Regierungen sind wir aus historischen Gründen bei den billigsten Energieformen hängengeblieben: Gas, Kohle und Öl. Nichts hat uns davon weg getrieben, weder der Preis, noch die Regierung, noch wir selbst. 

Welche Probleme würden sich kurzfristig für die Wärmeversorgung ergeben, wenn die Lieferung von russischem Erdgas gestoppt wird?

Wärme ist an Infrastruktur gebunden und Wärmeversorgung ist nicht besonders flexibel. Wenn es kein Erdgas mehr gibt und man bestenfalls Kohle oder Öl zur Verfügung hat, hilft das einem Besitzer oder einer Besitzerin einer Gastherme in der Wohnung überhaupt nichts. Diese kann nichts mit Kohle oder Öl anfangen. Aber ein Wärmenetz einer Stadt hat zumindest gewisse Umschaltmöglichkeiten. Beispielsweise gibt es in Hannover am Ende des Wärmenetzes Abfallverbrennungsanlagen, Gaskraftwerke oder Kohlekraftwerke. Wenn Erdgaslieferungen ausbleiben, kann man theoretisch das Kohlekraftwerk hochfahren. Bei Einzelhäusern geht das natürlich nicht. Man könnte das Haus aber langfristig so umbauen, dass es keine Gasheizung mehr benötigt und mithilfe einer Wärmepumpe heizt. Aber das braucht ein halbes bis ganzes Jahr.

„Das einzige was man kurzfristig machen kann, ist sparen.“

Gibt es Möglichkeiten kurzfristig bei einem Lieferstopp entgegenzuwirken?

Das einzige was man kurzfristig machen kann, ist sparen. Man könnte zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr oder das Fahrrad nehmen, anstatt mit dem Auto zu fahren. Im Haus könnte man das Thermostat runterdrehen, von 22 Grad Celsius auf 19 Grad Celsius. Das würde den Energieverbrauch sowie den Gasverbrauch abrupt senken. Aber nur das individuelle Sparen geht schnell, eine weitere wichtige Maßnahme zur Reduzierung des Energieverbrauchs – Sanierung des Hauses – würde länger dauern. 

Welche Maßnahmen sind mittel- bis langfristig nötig, um sowohl unabhängiger von russischem Gas zu werden, wie auch die Wärmewende voranzutreiben?

Wesentliche Maßnahmen haben wir in unserer Stellungnahme aufgeführt, die wir als Scientist4Future heute veröffentlicht haben. Es braucht mehrere parallele Prozesse. Jeder der Prozesse für sich dauert, aber die Zielsetzung sollte sein, dass alle zusammen möglichst schnell abgeschlossen werden. Der Ansatzpunkt ist, dass wir in den Häusern Energie sparen und sanieren: Fenster, Dächer und Fassaden müssen besser gedämmt werden. Uns ist seit Jahrzehnten klar, dass dies passieren muss, aber es ist aufwendig und braucht Zeit. Wenn man Klimaneutralität wirklich anstrebt, wäre es dazu unerlässlich, dass man so viele fossile Heizungen wie möglich durch Wärmepumpenheizung ersetzt. Im Einzelfall ist das recht schnell geschafft, aber bei Fünfzehn Millionen Heizungen dauert das eben auch seine Zeit. Und für die Wärmepumpen braucht es viel mehr regenerativen Strom. Außerdem müssen die Wärmenetze in Stadtzentren ausgebaut werden. Für diese Wärmenetze müssen regenerative Wärmequellen erschlossen werden: Solarthermische Felder, Geothermische Bohrungen und vieles mehr. Das sind riesige Technikprojekte. 

„Generell brauchen wir im gesamten System, auch für die Wärmepumpe, eine große Menge an Strom aus regenerativen Energiequellen. Das bedeutet einen Ausbau von Windkraft und Photovoltaik.

Lässt sich denn ohne weiteres ein Haus an eine Wärmenetz anschließen? 

Das geht nicht in jedem Gebäude und ist auch immer eine Frage der Lage des Hauses. Bei abgelegenen Häuser, welche nicht in verdichteten Wohngebieten und nicht an einem Wärmenetz liegen, geht das beispielsweise meistens nicht. Und wir sollten zusehen, dass wir für die Wärmenetze, die fast alle an Kohle- und Gaskraftwerken hängen, regenerative Wärmequellen erschließen. Generell brauchen wir im gesamten System, auch für die Wärmepumpe, eine große Menge an Strom aus regenerativen Energiequellen. Das bedeutet einen Ausbau von Windkraft und Photovoltaik. Aber auch das ist ein Projekt von mehreren Jahren, um von jetzt knapp 50 Prozent auf 80 Prozent erneuerbare Energien beim Strom zu kommen. 

Die Wärmewende ist also gar nicht ohne weiteres zu meistern?

Um eine Wärmewende erfolgreich gestalten zu können, brauchen wir all diese genannten Ansätze zusammen. Sie unterstützen sich gegenseitig. Aber klar ist auch: Wärme wird in Zukunft komplizierter. Damit wird Wärme auch Teil einer kommunalen Planungsaufgabe. Denn Wärme beruht auf Standorten wie Wohnungen, geothermische Bohrungen, Heizkraftwerke Solarthermieanlage. Das muss räumlich geplant werden, damit geklärt wird wird, welche Leute sich um Sanierungen und Wärmepumpe bemühen sollten und welche Leute auf ein Wärmenetz warten können. Das ist eine Frage der politisch erzeugten Richtungssicherheit. Technologieoffenheit führt nur zu Durcheinander. 

Welche der aktuell diskutierten Alternativen zur Wärmeerzeugung halten Sie für kontraproduktiv?

Wir müssen aufpassen, dass zwei Dinge nicht passieren. Zum einen sehen wir, dass einige jetzt Biomasse als mögliche Alternative anführen. Damit bekämen wir aber ein großes Problem. Es ist einfach nicht genug Biomasse verfügbar, um sie als Pellets in vielen Wohnungen einzusetzen und als Holz in den Kohlekraftwerken zu verwenden. Der zweite Mythos ist Wasserstoff: In der aktuellen Diskussion hört man häufig, dass man auch Wasserstoff als Alternative zu russischem Erdgas verwenden kann und einfach in die bestehenden Gasnetze einspeist. Das Problem: Wir brauchen ungefähr 1,4 Kilowattstunden Strom um eine Kilowattstunde Wasserstoff zu erzeugen – wofür wir im übrigen keine Elektrolyseanlagen haben. Wenn wir diese hätten, könnten wir diese Kilowattstunde Wasserstoff dann zu einer Heizung pumpen und damit eine Kilowattstunde Wärme erzeugen. Wenn wir aber stattdessen eine Wärmepumpe verwenden, die mit Strom funktioniert, bekommen wir etwa 4 Kilowattstunden Wärme und damit das vierfache gegenüber Wasserstoff. Es bräuchte somit auch die vierfache Menge an regenerativem Strom – aber wo soll der herkommen? 

„Jetzt zeigen sowohl Umweltfreundlichkeit wie auch Versorgungssicherheit weg von den fossilen Energieträgern.

Wie wirkt sich die aktuelle Situation insgesamt auf die Wärmewende aus?

Ganz viele von uns sehen auf einmal, dass der Abschied von fossilen Energieträgern nicht nur einzig aufgrund der Verpflichtung, die Erde zu retten und den Klimaschutz voranzutreiben geboten ist. Ganz offenbar gibt es auch sicherheitspolitische Bedenken. Energieversorger argumentieren immer mit einem sogenannten Zieldreiklang: Versorgungssicherheit, Preis und Umweltfreundlichkeit. Jetzt zeigen sowohl Umweltfreundlichkeit wie auch Versorgungssicherheit weg von den fossilen Energieträgern. Das nützt uns in den nächsten drei Wochen zwar wenig, aber die strategische Richtungen sind jetzt klarer zu erkennen. Die Dynamik weg von fossilen Energien ist größer geworden. Das würde ich zumindest hoffen.  

 

Zur Person

Dr. Jens Clausen arbeitet am Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit und engagiert sich bei Scientist4Future. Er ist Autor der am 17.03.2022 veröffentlichten Stellungsnahme:„Wärmewende beschleunigen, Gasverbrauch reduzieren. Ein Kurzimpuls“.

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