Dem Soziologen liegt daran, den Zusammenhang zwischen Kinderarmut und Gesundheit nicht zu mechanistisch zu betrachten. Geldsorgen können zu Stress in Familien führen und Kinder psychisch belasten, sie erhöhen das Risiko für eine schlechtere Ernährung und weniger Bewegung. Doch dies ist kein zwangsläufiger Zusammenhang. Vielmehr hat Armut viele Gesichter: Milieu, Bildung und berufliche Stellung der Eltern können den negativen Effekt eines niedrigen Einkommens deutlich ausgleichen. „Manche kaufen mit geringem Einkommen Vollkornbrot und frisches Gemüse, andere Fast Food, das genauso viel kostet.“
Umgekehrt bedeutet dies, dass ein höheres Einkommen oder staatliche Förderungen die Gesundheit der Kinder in sozial schwachen Familien nicht automatisch verbessern würde. „Mit mehr Geld allein lässt sich der Zusammenhang nicht knacken“, ist Andreas Klocke überzeugt. Wer keinen Wert auf eine gesunde Ernährung legt, wird sich vermutlich auch nicht durch finanzielle Zuschüsse zum täglichen Kochen bewegen lassen.
Also muss man Kinder und Jugendliche aus Haushalten mit geringem Einkommen außerhalb der Familien erreichen, um ihr Gesundheitsverhalten zu fördern. „Kita und Schule sind die prägenden Lebenswelten, in denen man sinnvoll Prävention betreiben kann“, sagt Benjamin Kuntz. Hier kann man Kindern aller Herkunftsgruppen ein ausgewogenes Essen, Bewegungsangebote, Anti-Mobbing- und Anti-Gewalt-Trainings bieten. In den Betreuungs- und Bildungseinrichtungen können so familiäre Defizite ausgeglichen werden, sind Forscher*innen überzeugt. Vorausgesetzt man räumt ihnen den notwendigen Stellenwert ein und stattet sie finanziell entsprechend aus.
Ein weiterer Vorteil: In diesen öffentlichen Räumen erreicht man die Heranwachsenden schneller und direkter als durch Versuche, das Verhalten von Eltern im häuslichen Bereich zu beeinflussen. Je früher diese Präventionsprogramme ansetzen, desto eher besteht die Chance, ungesunde Verhaltensmuster erst gar nicht zu verfestigen. Wer als Kind lernt, auf eine gesunde Ernährung, Sport und psychischen Ausgleich zu achten, nimmt diese Erfahrung in sein späteres Leben mit. Und gibt sie im besten Fall an seine eigenen Kinder weiter.