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„Das Armutsrisiko ist weitgehend konstant geblieben”

Ein Gespräch mit Dr. Markus M. Grabka

Dr. Grabka, Sie sind beteiligt am Projekt SOEP-CoV, das die sozio-ökonomischen Faktoren und Folgen der Verbreitung des Coronavirus in Deutschland erforscht. Was ist der Hintergrund dieser Studie?

Am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW führen wir seit 1984 die Langzeitbefragung Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) durch. Dazu fragen wir einmal im Jahr bei etwa 19.000 Haushalten in Deutschland verschiedene sozio-ökonomische Gegebenheiten ab. Im Jahr 2020 haben wir im Rahmen einer Sondererhebung die Besonderheiten durch die Coronapandemie erfasst. Anhand der Ergebnisse konnten wir recht zeitnah ökonomische Auswirkungen der Pandemie beschreiben. 

Lassen sich aus den Studienergebnissen ökonomische Auswirkungen der Coronapandemie für Kinder ablesen?

Die ökonomische Situation von Kindern hängt natürlich primär von der Beschäftigungssituation der Eltern ab. Insbesondere Selbstständige und Minijobber*innen haben im Zuge der Coronapandemie deutliche Einkommenseinschnitte erfahren. Zum Teil waren davon auch Kurzarbeiter*innen betroffen. Die Einkommensverluste wirken sich auf die materielle Lage der betroffenen Haushalte und – sofern es sich um Familienhaushalte handelt – indirekt auf die Situation der Kinder aus.

„Für die Bevölkerung insgesamt sind die Armutsrisikoquote und andere Indikatoren, die die Einkommensungleichheit messen, weitgehend konstant geblieben.“

Wie hat sich die Coronapandemie insgesamt auf die Verbreitung von Kinderarmut in Deutschland ausgewirkt?

Zwar ist es individuell zu Einkommensverlusten aufgrund z.B. von Arbeitslosigkeit gekommen, für die Bevölkerung insgesamt sind die Armutsrisikoquote und andere Indikatoren, die die Einkommensungleichheit messen, dagegen weitgehend konstant geblieben.

Worauf lässt sich das unveränderte Armutsrisiko zurückführen?

Bei Kurzarbeiter*innen wurde von Arbeitgeberseite häufig das Kurzarbeitergeld so weit aufgestockt, dass sich das Nettoeinkommen der Betroffenen kaum verändert hat. Zudem wirkte sich insbesondere am unteren Rand der Einkommensverteilung eine zusätzliche Transferleistung der Bundesregierung positiv aus, die im Zuge der Coronapandemie beschlossen wurde: Der sogenannte Kinderbonus. Da dieser zusätzlich zu der Grundsicherung ausgezahlt, also nicht wie andere Einkommensarten angerechnet wurde, konnte die finanzielle Situation von Familien in Grundsicherung leicht verbessert werden. Dadurch hat die Pandemie insgesamt keine bedeutenden Auswirkungen auf das Armutsrisiko in der Bevölkerung gehabt. 

„Es bestand die Gefahr, dass insbesondere arme Kinder ohne eigenes Laptop oder ausreichend schnelles Internet im Homeschooling abgehängt werden.“

Waren arme Kinder und Jugendliche in der Pandemie dennoch stärker eingeschränkt als wohlhabende Kinder und Jugendliche?

Ja, zum Beispiel aufgrund der Wohnsituation. Ob ein Kind in einer Villa mit großem Garten und eigenem Zimmer aufwächst oder in einer beengten Wohnung, macht gerade in Lockdown-Zeiten einen wesentlichen Unterschied. Außerdem haben sich die Schulschließungen – auch wenn zunächst einmal alle Kinder davon betroffen waren – je nach technischer Ausstattung des elterlichen Haushalts unterschiedlich ausgewirkt. Auch wenn Schulen teilweise versucht haben, betroffene Kinder mit technischen Geräten auszustatten, ist dies nicht in der Breite gelungen. Es bestand also die Gefahr, dass insbesondere arme Kinder ohne eigenes Laptop oder ausreichend schnelles Internet im Homeschooling abgehängt werden.

Ist für Kinder, die in Armut aufwachsen, mit negativen Konsequenzen der Coronapandemie im weiteren Lebensverlauf zu rechnen?

Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass sich die Länge der Bildungskarriere auf das Lebenserwerbseinkommen auswirkt. Da die Schulschließungen für alle Kinder galten, stellt sich die Frage, inwiefern sie negative Auswirkungen auf das Lebenserwerbseinkommen der gesamten Kohorte haben werden. Naturgemäß ist das aktuell jedoch noch nicht abschätzbar. 

Was würden Sie sich von der Politik in dieser Hinsicht wünschen?

Ganz eindeutig, dass Schulen und Kitas möglichst nicht geschlossen, sondern so lange wie möglich offen gehalten werden. Dort, wo Schließungen nicht mehr vermeidbar sind, müssen zum Ausgleich zusätzliche Lerngruppen angeboten werden. 

 

Zur Person

Dr. Markus M. Grabka ist Soziologe und am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW) tätig. Er ist Mitglied im Direktorium des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und hat Analysen mit der Sonderbefragung zur Situation in der Coronapandemie (SOEP-CoV) durchgeführt.

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