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Der Klimawandel bedroht die globalen Lieferketten

Ein Gespräch mit Prof. Anders Levermann, Ph.D.

Prof. Levermann, die Flutkatastrophe im Ahrtal hat gezeigt, dass auch Deutschland nicht vor Wetterextremen gefeit ist. Allein der Wiederaufbaufonds kostet 30 Milliarden Euro. Wie viel werden uns durch den Klimawandel verursachte Wetterextreme in Zukunft noch kosten?

Das kann man bisher nicht genau abschätzen. Doch aus Analysen über die Vergangenheit wissen wir, dass der Klimawandel uns wesentlich mehr kosten wird als es der Klimaschutz jemals könnte. Das geben die volkswirtschaftlichen Modelle mittlerweile her. Denn die Wetterextreme in Folge des Klimawandels verursachen enorme Schäden. Und das sind eben nicht nur wirtschaftliche Direktschäden, wie die Wideraufbaumaßnahmen im Ahrtal, sondern auch indirekte Auswirkungen auf die globalen Lieferketten. Das haben wir gerade erst in einer Studie gezeigt.

Könnten Sie dazu ein Beispiel geben?

Bei einer Überschwemmung entstehen zunächst direkte wirtschaftliche Schäden. Das ist das kaputte Haus oder die kaputte Fabrik, die man wiederaufbauen muss. Daraus entstehen Produktionsausfälle, weil man nicht zur Arbeit gehen kann oder die Produktion aufgrund der Schäden stillsteht. Das Ausbleiben der Produktion hat wiederum Folgen auf Lieferketten und damit auf die Produktion an anderen Orten der Welt. So konnte eine Überschwemmung in Thailand im Jahr 2012 dafür sorgen, dass wir in Europa und Amerika plötzlich keine Festplatten mehr hatten.

An solchen Lieferkettenausfällen sind nicht nur Wetterextreme schuld, wenn man an die Ever Given denkt, die den kompletten Suezkanal über Tage blockiert hat.

Ja, bisher sind Lieferengpässe meistens verbunden mit Produktionsproblemen in einer Produktionsstätte, oder Transportproblemen wie im Suezkanal. Ein berühmtes Beispiel waren fehlende AIDS-Medikamente in den USA, die wegen hygienischer Probleme nicht aus China geliefert werden konnten. Diese Probleme können Unternehmen bereits auf Vertragsebene angehen. So könnten beispielsweise Pharmaunternehmen in den USA vertraglich festlegen, dass die Produktionsstätten in China alle durch Lieferschwierigkeiten aufkommenden Ausfälle bezahlen müssen.

Das funktioniert allerdings nur, solange die Produktionsfirma in China wirklich etwas dagegen tun kann. Wenn aber unkontrollierbare Naturgewalten das Problem sind, bricht das System zusammen. Denn dann ist plötzlich keiner mehr schuld und niemand kann vertraglich in Haftung genommen werden. Oder anders formuliert: Die Schuldigen sind wir alle, indem wir CO2 ausstoßen.

Es wird mehr Wetterextreme geben. Und wir werden es nicht schaffen können, unsere Versorgungswege so zu sichern, dass sie von diesen Wetterextremen nicht beeinträchtigt werden.

Gerade Deutschland profitiert ja wahnsinnig stark von der Globalisierung. Was bedeutet das konkret für unsere Zukunft?

Unter dem Aspekt des Klimawandels müssen wir Lieferketten neu denken. Ein Beispiel ist natürlich Regionalisierung, also die Verkürzung der Lieferketten. Das ist aber nur in wenigen Fällen möglich. Eine zweite Möglichkeit sind Lager. Gerade in einer Zeit der Null-Zins-Politik könnten sie sich rechnen, weil das, was da liegt, nichts kostet. Die dritte Möglichkeit sind redundante Lieferketten. Momentan ist es ja sinnvoll, die benötigten Produktionsgüter aus möglichst wenigen Quellen zu beziehen, weil man dann hohe Stückzahlen abnimmt, und damit auch eine größere Macht in der Preisverhandlung hat. Wenn Lieferketten nun durch den Klimawandel aber immer häufiger abbrechen, könnte es sich lohnen, mehrere kleinere Zulieferer zu haben. Wenn dann einer mal ausfällt, kann man sich an die anderen wenden. Da wird es sicherlich noch mehr kreative Ideen aus der Branche geben, wie man mit diesen neuen Wetterbedingungen am besten umgeht. Das wichtige Signal aus der Klimaforschung ist: Es wird mehr Wetterextreme geben. Und wir werden es nicht schaffen können, unsere Versorgungswege so zu sichern, dass sie von diesen Wetterextremen nicht beeinträchtigt werden.

Wie bewerten Sie unter diesen Gesichtspunkten die aktuelle gesellschaftliche Diskussion über den Klimawandel? Werden diese Kosten bereits ausreichend thematisiert?

Gesprochen wird ja gerade sehr viel. Entscheidend ist aber: Die klugen Leute sprechen über die Kosten des Klimawandels, und nicht über die Kosten des Klimaschutzes. Denn die Kosten des Klimaschutzes sind im Großen und Ganzen eine Frage der richtigen Investitionen. Also, wie investiere ich am besten, damit meine Wirtschaft prosperiert? Wie werde ich schneller im Klimaschutz als meine Konkurrenz oder das Nachbarland? Beim Klimawandel können wir das leider nicht so machen.

Zu diesen Themen beraten sich derzeit auch die Vertragsparteien auf der 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow. Was erhoffen Sie sich als Klimawissenschaftler von den Verhandlungen?

In Glasgow werden jetzt die neuen Selbstverpflichtungen der Länder bestimmt. Denn die bisherigen Selbstverpflichtungen reichen bei weitem nicht aus, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Wir müssen von dem Gedanken wegkommen, dass der Klimaschutz das Problem ist. Denn der Klimawandel ist das Problem. Klimaschutz bringt unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft in eine bessere Zukunft. Klimawandel bringt uns in eine schlechtere Zukunft. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass unsere Wirtschaft so schnell wie möglich CO2-neutral wird.

„Das Ziel, CO2-neutral zu werden, kann nicht allein mit Verzicht gelöst werden, denn wir müssen nicht weniger machen, sondern alles anders. Und ‚anders machen ist nicht per se schlecht für die Wirtschaft, weil so auch neue Chancen und Innovationen entstehen.“

Also appellieren Sie für mehr Verzicht?

Das Ziel, CO2-neutral zu werden, kann nicht allein mit Verzicht gelöst werden, denn wir müssen nicht weniger machen, sondern alles anders. Und „anders machen“ ist nicht per se schlecht für die Wirtschaft, weil so auch neue Chancen und Innovationen entstehen. Deswegen erhoffe ich mir von der UN-Klimakonferenz, dass die Politik ganz klar macht, dass wir in 20 bis 30 Jahren weltweit auf null Emissionen sein werden, und auch nicht davon abweichen. Wenn an die Wirtschaft dieses klare Signal gesendet wird, wird sie den Wettlauf annehmen – nämlich schneller zu sein als die Konkurrenz. Und dann ist die Wirtschaft schneller, als die Politik sich das je vorstellen könnte. Das war schon immer so.

 

Zur Person

Anders Levermann ist Professor für die Dynamik des Klimasystems. Er leitet die Abteilung Komplexitätsforschung am Potsdam-Institut und ist Professor am Physikinstitut der Universität Potsdam. Außerdem arbeitet er als Wissenschaftler an der Columbia Universität in New York und ist wissenschaftlicher Leiter des zeean Projekts.

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