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Weniger Krankenhäuser, mehr Qualität?

Ein Überblick über Studie, Kommunikation und Kritik

„Experten-Studie behauptet Deutsche Kliniken sind lebensgefährlich!…”, „Mehr als jedes zweite Krankenhaus ist überflüssig” und „Studie schlägt vor, mehr als jedes zweite Krankenhaus zu schließen”, so die mediale Reaktion auf eine am Montag veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung zur aktuelle Situation der Krankenhäuser in Deutschland.

Tatsächlich heißt es in der Pressemitteilung der Stiftung: „eine starke Verringerung der Klinikanzahl, von aktuell knapp 1.400 auf deutlich unter 600 Häuser, würde die Versorgungsqualität für Patienten verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern.” Für diese Prognose analysierten die Gesundheitsexperten, unter Leitung des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES), die Krankenhauslandschaft in der NRW-Versorgungsregion 5. Eine Region zu der neben den Städten Köln und Leverkusen auch drei umliegende, strukturschwächere Kreise zählen.

Für diese Region kommen die Studienautoren zu dem Schluss, dass 14 statt der bisherigen 28 Krankenhäuser ausreichend wären, damit weiterhin jeder innerhalb von 30 Minuten Fahrzeit ein entsprechend gut ausgerüstetes Krankenhaus erreichen könnte. Die Zahl aus der Pressemitteilung hingegen basiert auf einer Hochrechnung und eben an dieser machte sich unmittelbar nach der Veröffentlichung der Studie und der Pressemitteilung die Kritik fest.

So sagte der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach: „Deutschland hat zu viele Krankenhäuser, das ist richtig. Aber die Größenordnung der Schließungen, welche die Studie suggeriert, ist falsch. Gerade auf dem Land, aber auch in den Brennpunkten einiger Städte gibt es eine Unterversorgung mit Krankenhausbetten.“ Ebenfalls kritisch äußerte sich der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, und erinnerte im Gespräch mit der FAZ daran, dass die von der Bundesregierung eingesetzte „Kommission gleichwertige Lebensverhältnisse“ jüngst die Bedeutung „einer gut erreichbaren, wohnortnahen Gesundheitsinfrastruktur“ hervorgehoben habe. „Da ist es schon mehr als befremdlich, wenn die Bertelsmann Stiftung jetzt pauschal die Schließung von 800 Krankenhäusern fordert“, sagte er. Beide Stimmen, wie auch die sonstige Kritik stammen von Krankenhaus- und Ärzteverbänden und aus der Politik. Unter Wissenschaftlern hingegen gibt es wenig Widerspruch dagegen, dass es in Deutschland zu viele Krankenhäuser gibt.

So sagt Prof. Dr. Jürgen Wasem, Professor für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen: „Ob es nun die Zahl 600 ist, die die Autoren im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung ausrechnen, kann man sicher kontrovers diskutieren. Ich halte dies für überzogen, etwa weil die theoretisch vermeidbaren Krankenhausfälle in der Praxis zumindest kurzfristig nicht vermieden werden können. Auch kann man sich die Modellannahmen für das Zusammenlegen von Krankenhäusern natürlich kritisch anschauen. Aber dass wir insgesamt eine zu hohe Zahl von Krankenhäusern haben, ist unter unabhängigen Experten unbestritten.”

So pauschal wie vorgeworfen ist die Forderung in der Studie selbst allerdings keineswegs. Die Autoren machen in ihrer Schlussfolgerung auch deutlich, dass eine solche Konzentration der Krankenhauskapazitäten in ländlichen Regionen jedoch unter sonst gleichen Bedingungen zu erheblichen Einschränkungen der Erreichbarkeit führen (würde)”. Eine Einschränkung, die sich in der Pressemitteilung allerdings nicht wiederfindet.

Prof. Dr. Reinhard Busse, einer der Studienautoren und Professor für Management im Gesundheitswesen an der Technische Universität Berlin, sagte im Die Debatte Interview dazu: „In der Studie gehen wir davon aus, dass rund um Köln die 14 verbliebenen Kliniken ein recht breites Behandlungsspektrum hätten und auch geografisch so verteilt sind, dass die Erreichbarkeit innerhalb von 30 Minuten aus der gesamten Region gegeben ist. Außerhalb dieser Region gibt es einige Gegenden, wo der Spagat zwischen Qualität und Zugang tatsächlich ein bisschen schwieriger wäre. So lässt sich das Ergebnis auf besonders dünn besiedelte Regionen wie die Prignitz oder die Uckermark nur übertragen, wenn etwa verstärkt telemedizinische Möglichkeiten genutzt werden. Aber für die allermeisten Regionen in Deutschland ist die Untersuchung gut übertragbar.“

Außerdem schlagen die Autoren in der Studie konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation in genau diesen Regionen vor. Dazu gehören unter anderem die Optimierungen in der Rettungskette oder den Einsatz von (nachtflugfähigen) Hubschraubern sowie der auch von Reinhard Busse erwähnte stärkere Einsatz von Telemedizin.

Überraschend sind die Ergebnisse dabei keineswegs. So kam ein Gutachten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2016 zu einem ähnlichen Ergebnis. Auch das RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung veröffentlichte kürzlich eine Studie, wonach es insgesamt nur rund 340 Notfallstellen bräuchte, damit jeder in Deutschland keine längere Anfahrt als 30 Minuten hätte. „Was die Ergebnisse unserer Studie von vorherigen unterscheidet, ist die konkrete Berechnung für eine Region – und die größere Sichtbarkeit durch eine verbesserte Medienvermarktung der Studienergebnisse”, sagt Busse.

Er und seine Kollegen wollen mit der Studie vor allem eines vermitteln: „Es geht nicht primär darum, Krankenhäuser zu schließen, sondern sachlich zu analysieren, wie viele Krankenhäuser benötigt werden, welche Krankenhäuser in welchen Bereichen besonders gut sind und wie wir das vereinbaren können. Dabei sollen übrigens alle Arbeitsplätze für pflegerisches und ärztliches Personal erhalten bleiben – in dann weniger Kliniken mit besseren Betreuungsverhältnissen.” Denn tatsächlich verfügt Deutschland im europäischen Vergleich über eine sehr hohe Dichte und Anzahl an Krankenhäusern. Das ist historisch gewachsen: „Deutschland hat im internationalen Vergleich so viele Krankenhäuser, weil seit gut 50 Jahren keine Reform der Strukturen mehr durchgeführt wurde”, sagt Busse. „Darin unterscheidet sich Deutschland von seinen Nachbarstaaten: Länder wie Schweden, Dänemark oder Italien hatten bis vor dreißig Jahren eine ähnliche Dichte, haben aber inzwischen die Struktur deutlich zentralisiert.”

Position

„Rein von der Versorgungsqualität würden 400 Krankenhäuser ausreichen“

sagt Prof. Dr. Reinhard Busse, Mitautor der Studie und Experte für Gesundheitssystemforschung. Im Interview haben wir mit ihm über die Studie und die Hintergründe gesprochen.

 

Prof. Dr. Reinhard Busse

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