Was bedeutet das konkret?
Wie bei allen Menschen in der Bevölkerung, gibt es unter den Flüchtlingen diejenigen, die nie kriminell werden und welche, die kriminell sind oder werden. Die Empörung, dass Flüchtlinge Straftaten begehen, wundert mich als Kriminologe schon etwas! Es ist völlig absurd zu denken, dass eine Million Menschen zu uns kommen und niemand davon hier etwas Abweichendes tut. Hinter diesem Irrglauben steckt auch eine gewisse Vorstellung der Reinheit. Ein Opfer muss grundsätzlich unschuldig sein und der Täter muss böse sein. Übertragen auf Flüchtlinge heißt das: Flüchtlinge müssen dankbar sein, sie müssen unsere Hilfe annehmen und integrationswillig sein. Und sie dürfen nichts Störendes tun. Sobald ein Flüchtling aber dagegen verstößt, ballt sich der Unmut und man verdächtigt ihn, dass er uns absichtlich schaden will. In Wirklichkeit bedient er nur nicht unsere Erwartungshaltung oder er bestätigt unser Misstrauen und unsere Ressentiments.
Lässt sich so auch die Gewalt gegenüber Flüchtlinge erklären?
Die Gewalt gegen Flüchtlinge ist eine sehr gefährliche Entwicklung einer sich zu einem regelrechten Hass entwickelnden Angst vor Fremdheit. Wir nennen es Xenophobie, also die Angst vor Fremden, die umschlägt in gewalttätige Aktionen, die klammheimlich von vielen Menschen befürwortet werden. Pogrome gegen Flüchtlinge hatten wir schon in den 90er Jahren verstärkt und dort gab es im Übrigen kein Zusammenhang mit islamischen Terrorismus, sondern es war bloße Fremdenfeindlichkeit. Und es fällt auf, dass die Täter nicht immer nur aus der rechtsradikalen Szene kommen, sondern oftmals auch völlig unauffällig aus der Mitte der Gesellschaft. Oftmals sehen sich die einzelnen Täter veranlasst, als Organ einer schweigenden Masse aus einem pervertierten Verständnis von Zivilcourage etwas zu tun. Fatalerweise steigen die Zahlen solcher Gewaltverbrechen wirklich dramatisch. Und das ist besorgniserregend. Die Kriminalitätskurve unter den Flüchtlingen liegt hingegen bekanntlich deutlich unter der Normalverteilung.