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„Die Arbeit ist sehr viel komplexer geworden.”

Ein Gespräch mit Dirk Peglow

Wie erleben Sie die Kriminalität in der praktischen Arbeit?

Wir erleben, dass wir mit immer mehr Arbeit zu kämpfen haben und unserer Kolleginnen und Kollegen, neben dem Alltagsgeschäft, immer häufiger in Sonderkommissionen und andere Organisationsformen eingebunden sind, die aufgrund besonderer Ereignisse einberufen werden, was wiederum einen massiven Anstieg des Überstundenberges zur Folge hat. Nehmen wir beispielsweise den Bereich der Bearbeitung von Tötungsdelikten. In diesem Arbeitsbereich werden oftmals Bereitschaftsdienste versehen, so dass die dort tätigen Kolleginnen und Kollegen zu jeder Tages- und Nachtzeit alarmiert werden können, um dann im Bedarfsfall die notwendigen Ermittlungen zu führen. Hierbei müssen in großen Teilen Dienstzeiten geleistet werden, die weit über das hinausgehen, was z. B. die Vorgaben der EU zur Arbeitszeit festlegen. Nicht selten sind hier Arbeitszeiten von 20 und mehr Stunden zu leisten.

Während die Zahl des Personals der Kriminalpolizei in den letzten Jahren nicht im erforderlichen Umfang angestiegen ist, stellen wir fest, dass unsere Arbeit insgesamt sehr viel komplexer wurde. Das liegt daran, dass wir zunehmend mit neuen Kriminalitätsphänomenen konfrontiert werden, bei denen Tätergruppen agieren, die mit hohem Organisationsgrad international tätig sind. Das alles steht in einem Missverhältnis und als Polizeibeamte bekommen wir das tagtäglich zu spüren.

„Wir haben einen massiven Anstieg von ausländerfeindlichen und antisemitischen Straftaten und das ist höchst problematisch.“

Welche Kriminalitätsphänomene sind denn in der letzten Zeit vor allem dazu gekommen? 

Da würde ich zunächst den Bereich der Clankriminalität benennen, der sich insbesondere in den Bundesländern Berlin, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen zeigt und dort enorme Ressourcen bindet. Im Bereich des sogenannten Cybercrime haben wir seit Jahren mit ständig neuen Tatbegehungsweisen und Technologien zu tun, denen wir mit dem notwendigen Sachverstand begegnen müssen, der immer mehr durch die Einstellung externer Fachkräfte bereitgehalten werden kann.

Ein anderes Beispiel sind Tätergruppen, die anfangs unter Nutzung des sogenannten „Enkeltricks“, später und auch aktuell als sogenannte „falsche Polizisten“ Straftaten begehen. Diese Täter gelangen an Geld und Wertgegenstände ihrer zumeist älteren Opfer, in dem sie diese unter der Vorgabe anrufen, von der Polizei zu sein. Sie überzeugen die Geschädigten, dass ein „Überfall“ bevorsteht und ein Schaden dadurch verhindert werden kann, in dem vorhandenes Bargeld oder Schmuck an entsandte Polizeibeamte übergeben wird. Solche Tätergruppen arbeiten zum Teil von Callcentern, die sich z. B. in der Türkei befinden, zusammen mit Mittätern, die sich in Deutschland aufhalten und hier nach einem erfolgreichen Anruf als angebliche Polizeibeamte bei der Abholung der Beute agieren. Dieser Kriminalitätsbereich erfordert sehr umfangreiche Ermittlungen, da wir es mit einem gut strukturierten Täternetzwerk zu tun haben, das grenzüberschreitend operiert.

Was sind weitere Themen, die die Polizei momentan besonders stark beanspruchen?

Da würde ich zunächst die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus nennen. Hier haben wir nach wie vor eine massive Gefährdungslage, denn die Zahl der islamistischen Gefährder ist weiterhin hoch. Dementsprechend versuchen wir tagtäglich mit einem hohen Personaleinsatz zu verhindern, dass Straftaten aus diesem Milieu begangen werden. Hier sind wir als Polizei also sehr viel stärker im Bereich der Gefahrenabwehr als bei der konkreten Strafverfolgung tätig. Als weiteren Schwerpunkt haben wir vermehrt mit politisch motivierten Straftaten aus dem rechten und rechtsextremistischen Milieu zu tun. Wir haben einen massiven Anstieg von ausländerfeindlichen und antisemitischen Straftaten und das ist höchst problematisch. Da sollten wir als Ermittler möglichst schnell wieder dahin kommen, dass die Taten gar nicht verübt werden – aber auch das ist eben sehr personalintensiv. Und schließlich als letztes Thema möchte ich die Zunahme der Gewalt gegen Polizeibeamte nennen, die in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Auch da sind wir vor neue Herausforderungen gestellt.

Gewalt insgesamt ist scheinbar alltäglicher geworden.“

Inwiefern hat sich diese denn verändert?

Wir haben in den letzten Jahren nicht nur eine starke Zunahme der Gewalt gegen die Polizei, sondern auch gegen sonstige Rettungskräfte.  Gewalt insgesamt ist scheinbar alltäglicher geworden. Heutzutage müssen wir damit rechnen, dass Polizisten von vorbeilaufenden Passanten bespuckt oder mit Flaschen beworfen werden und die Feuerwehr beispielsweise am Löschen eines Feuers behindert wird. Teilweise kommt es bei ganz normale Kontrollsituationen zu Solidarisierungsaktionen von Passanten mit Verbalattacken aber auch körperlichen Übergriffen gegen die eingesetzten Beamten, wodurch sich Routinemaßnahmen zu polizeilichen Großeinsätzen entwickeln können.

Wie reagiert die Polizei darauf?

Eine Reaktion darauf ist beispielsweise die Einführung von Bodycams. Durch den Einsatz dieser Kameras können Gewaltanwendungen verhindert werden, weil die Täter bei Kenntnisnahme der Aufzeichnung Abstand davon nehmen, sich verbal oder körperlich gegen die Einsatzkräfte zu wenden. Aber auch im Strafgesetzbuch hat es 2017 bereits entsprechende Änderungen gegeben, die die Sicherheits- und Rettungskräfte durch die Einführung neuer Straftatbestände unter einen besseren Schutz stellen. Durch diese Änderungen wurden bereits tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte während einer normalen Diensthandlung wie einer Streifenfahrt unter eine besondere Strafandrohung gestellt, die zuvor daran gebunden waren, dass eine sogenannte Vollstreckungshandlung wie z. B. eine Festnahme durchgeführt wurde. Als Polizeibeamte fordern wir insbesondere bei Angriffen gegen Polizei- und Rettungskräfte eine sofortige Reaktion der Justiz, damit der Effekt der Sanktionserfahrung noch stärker wirkt. Parallel dazu muss aber vor allem ein gesamtgesellschaftlicher Dialog geführt werden, warum wir in einem solchen Klima leben, in dem die Gewalt gegen die Polizei inzwischen so gehäuft auftreten kann.

„Als BDK fordern wir seit langem, sogenannte periodische Sicherheitsberichte, welche alle zur Verfügung stehenden Informationen zur aktuellen Kriminalitätslage ausschöpfen und zusammenbringen.“

Gleichzeitig weiß man ja auch aus verschiedensten Studien, dass die Angst, Opfer einer Straftat zu werden ebenfalls in den letzten Jahren leicht gestiegen ist. Wie kann man als Polizei der Angst in der Bevölkerung begegnen?

Zunächst müssen wir die Ängste ernst nehmen. Wir können zwar das Unsicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger oft nicht statistisch erklären, aber das hilft nicht, wenn abstrakte oder konkrete Sorgen vorhanden sind. Wenn beispielsweise eine Frau Angst hat, bei Dunkelheit durch eine Parkanlage zu gehen, hilft es nicht, ihr zu sagen, dass mit dem Eingang einer Ehe das Risiko erheblich höher ist, Opfer einer Straftat zu werden, als bei der Durchquerung eines Parks. Aber mit statistischen Zahlen kann man nur sehr schwer tatsächlichen Ängsten begegnen.

Zumindest die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) zeigt aber auch, dass die Kriminalität in den letzten Jahren insgesamt gesunken ist. Was weiß man über das tatsächliche Abbild der Kriminalität abseits der Statistiken?

Die PKS liefert immer nur ein Teil der Wahrheit und das auch nur in der Retrospektive. Denn sie bildet ja nur ab, was im letzten Jahr angezeigt wurde. Aktuelle gesellschaftliche Trends oder Entwicklungen finden darin gar keine Erwähnung. Was das Dunkelfeld anbelangt, unternimmt das BKA beispielsweise recht viel und die Ergebnisse haben natürlich auch Auswirkungen auf die Lageeinschätzung und die konkrete Arbeit der Polizei. Als BDK fordern wir seit langem, sogenannte periodische Sicherheitsberichte, welche alle zur Verfügung stehenden Informationen zur aktuellen Kriminalitätslage ausschöpfen und zusammenbringen. Diese wurden 2001 und 2006 zuletzt veröffentlicht, sind aber seitdem leider nicht weiter vorangetrieben worden. Dabei wären sie so wichtig, da sie, neben Ergebnissen aus der Dunkelfeldforschung und Opferbefragungen ihren enormen Mehrwert darin haben, dass sie die Kriminalitätslage, im Unterschied zur Polizeilichen Kriminalstatistik, besser abbilden und deswegen auch geeignet sind, Empfehlungen an Politik und Justiz zu formulieren.

Für Nordrhein-Westfalen hat Innenminister Herbert Reul nun angekündigt, dass bei jedem Tatverdächtigen die Nationalität ab sofort genannt werden soll – welche Intention wird damit erfolgt und wie zielführend ist diese Maßnahme?

Zunächst möchte ich feststellen, dass die Entscheidung ob und in welcher Form Presseinformationen zu laufenden Ermittlungsverfahren gegeben werden, in der Kompetenz der Staatsanwaltschaft liegt.

Die polizeilichen Erlasslagen beinhalten nach meinem Kenntnisstand gar keine Einschränkungen hinsichtlich der Benennung von Nationalitäten. Hier ist lediglich der Pressekodex zu nennen, nachdem die Benennung der Nationalität eines Tatverdächtigen dann erfolgt, wenn diese für die Öffentlichkeit von besonderem Interesse ist. Die Argumentation von Herrn Reul, diese nun stets zu nennen, ist allerdings klar: Es soll dadurch der politischen Instrumentalisierung von rechts entgegengewirkt werden, die immer wieder suggeriert, dass die Staatsanwaltschaft und die Polizei die tatsächliche Zahl krimineller Nicht-Deutscher verschleiert. Aus meiner Sicht besteht hierbei jedoch die Gefahr, dass die Nennung lokal und temporär zu einem falschen Bild führt und den Eindruck erweckt, dass Nationalität doch ursächlich für Kriminalität sei. Das wäre fatal.  Aus unserer Sicht halten wir es für sehr viel sinnvoller, deutlich zu kommunizieren, welchem Phänomenbereich eine Straftat zuzurechnen ist. Warum sagen wir nicht, dass ein Fall beispielsweise auf Clankriminalität zurückzuführen ist oder der organisierten Kriminalität, z. B. der italienischen Mafia zuzurechnen ist? Das wäre ein tatsächlicher Mehrwert für die Medien und die Gesellschaft, aber das findet weiterhin nicht in ausreichendem Umfang statt.

 

Zur Person

Dirk Peglow ist Landesvorsitzender des Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in Hessen und stellvertretender Vorsitzende des Bundesvorstands. 

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