Foto: Rene Böhmer / Unsplash

Kriminalität – Das war die Debatte

Eine Zusammenfassung

Schaut, hört oder liest man in Deutschland derzeit Nachrichten, so kann man den Eindruck gewinnen, die Welt sei ein unsicherer Ort voller Gewalt und Kriminalität. Verursacher dieser schlechten Nachrichten sind – so der oftmals von den Medien suggerierte Eindruck – besonders häufig Migranten.

Die Debatte hat sich in den vergangenen Wochen näher mit den Zahlen und Fakten zu Kriminalität in Deutschland beschäftigt sowie mit der Diskrepanz zwischen gefühlter Unsicherheit und faktischer Sicherheit und dem Vorurteil, Migranten seien krimineller als Deutsche. Haben Sie Sorge, Opfer einer Straftat zu werden? Immer mehr Menschen beantworten diese Frage mit ja, dabei sind die erfassten Straftaten in Deutschland so gering, wie lange nicht mehr. Der Statistik nach ist Deutschland so sicher wie noch nie. Laut der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) ist die Kriminalität im Jahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 3,4 Prozent gesunken und mit 5,5 Millionen Straftaten auf dem niedrigsten Stand seit 1992.

Überhaupt, und da sind sich die Experten der Debatte einig, ist es schwierig konkrete Schlüsse über die Einschätzung der Kriminalität direkt aus der Statistik abzuleiten.

„Die PKS ist zunächst nur ein Tätigkeitsnachweis der Polizei. Daraus etwas über die Kriminalität insgesamt abzulesen, ist kaum möglich”, sagt Prof. Dr. Tobias Singelnstein von der Ruhr-Universität Bochum im Interview bei Die Debatte. Deshalb nutzen Kriminologen für ihre Analysen sogenannte Dunkelfeldstudien als Ergänzung zur PKS. Eine Erkenntnis bleibt dabei aber dieselbe: „Aus unseren Zahlen, sowie weiteren Untersuchungen des Dunkelfelds, weiß man, dass Deutschland in den letzten Jahren nicht unbedingt gefährlicher geworden ist”, sagt Bliesener.

Trotzdem zeigt das Deutsche Viktimisierungssurvey 2017, dass die Sorge, Opfer einer Straftat zu werden in Deutschland zugenommen hat. Die Gründe dafür sind noch nicht ausreichend und abschließend analysiert, allerdings sind sich die Experten weitestgehend einig, dass die mediale Berichterstattung dabei eine Rolle spielt.

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„Die Veränderung der Berichterstattung in den klassischen Medien über schwere Straftaten, die Meinungsblasen und Algorithmen in den sozialen Medien und die Verfügbarkeit authentischer Aufnahmen aus Überwachungskameras haben allesamt den Effekt, dass das subjektive Sicherheitsempfinden tendenziell abnimmt”, so Bliesener.

Jedoch verstärken die Medien nicht nur die Annahme, dass es in Deutschland mehr Kriminalität gibt als die Zahlen zeigen, sie füttern auch jene Menschen mit Munition, die dem Vorurteil glauben schenken, dass Migranten krimineller sind als Deutsche. Im Artikel „Die Silvesternacht hallt nach” widmet sich Die Debatte diesem Phänomen im Detail. Das Credo auch hier: Die aktuelle Art der Medienberichterstattung fördert den Glauben, Flüchtlinge und Migranten seien krimineller und zwar mit verheerenden Folgen, schließlich steigt die Kriminalität gegenüber diesen Gruppen in den letzten Jahren an.

Aber ist es völlig aus der Luft gegriffen, dass Migranten und Flüchtlinge krimineller sind? Ein Blick auf die Zahlen suggeriert, dass die Behauptung zumindest statistisch ihre Berechtigung hat. Denn ein Blick in die PKS zeigt: Für das Jahr 2018 stehen 1.342.886 ermittelte Tatverdächtige mit deutschem Pass 708.380 Tatverdächtigen nichtdeutscher Herkunft gegenüber – gemessen an dem Anteil der Gesamtbevölkerung also proportional deutlich mehr Nicht-Deutsche als Deutsche.

Jedoch warnen die Experten vor voreiligen Schlüssen und Interpretationen. Weshalb, erklärt der Artikel „Kriminalität und Nationalität”:

„Wir können die Zahlen der Deutschen sehr genau bestimmen, weil sie hier registriert und gemeldet sind. Für die Gruppe der Nicht-Deutschen ist das hingegen gar nicht so einfach.”

Prof. Dr. Thomas Bliesener, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsens

„Man kann die Kriminalität nicht pauschal auf die Herkunft reduzieren, sondern muss für die jeweilige Gruppe schauen, wie sie sich zusammensetzt, welche Erfahrungen die Menschen mitbringen und in welchen Lebensumständen sie sich befinden.”

Dr. Christian Walburg, Georg-August-Universität Göttingen

„Mehrheitlich geht man in der heutigen Kriminologie nicht mehr davon aus, dass kriminelles Verhalten ein unveränderbares Merkmal von Personen ist, vielmehr wird man kriminell in bestimmten Situationen. Flüchtling sein ist ebenso wenig ein Persönlichkeitsmerkmal wie kriminell sein.”

Prof. Dr. Rafael Behr, Akademie der Polizei Hamburg.

Mit der Frage weshalb Menschen überhaupt kriminell werden, beschäftigt sich der Artikel „Wie wird man kriminell?”, in dem drei unterschiedliche Theorien vorgestellt werden.

„Jede dieser Theorien hat ihre Berechtigung. Aber alle lassen sich auf drei Faktoren runterbrechen: Biologie, Psychologie und soziales Umfeld.“ Prof. Dr. Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle. Diese Faktoren – und auch hier herrscht große Einigkeit unter den Experten – sind es, die darüber entscheiden, wer kriminell wird und nicht die Herkunft einer Person.

Deshalb und gerade wegen der hohen Diskrepanz zwischen Zahlen und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit wünschen sich die Experten insgesamt einen ausgewogeneren Diskurs in den Medien, weniger Emotionen in der Debatte und eine Fokussierung der Diskussion auf die Lösungen, anstatt auf pauschalen Verkündungen von Ursachen.

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