Auch Prof. Dr. Dominic Kudlacek von der Hochschule Bremerhaven hebt die Bedeutung der Lebensumstände hervor. Laut dem Sozialwissenschaftler und Kriminologen fallen darunter psychologische Faktoren, sowie das soziale Umfeld. Aber man müsse sich immer die Gruppe anschauen, über deren Kriminalität gerade diskutiert wird.
Die meisten Menschen, die einen Asylantrag stellen sind junge Männer – eine Gruppe, die laut Kudlacek kulturübergreifend zu mehr Kriminalität neigt. In der Großstadt verstärke sich das Problem: Die geringere soziale Kontrolle und die vielen Möglichkeiten begünstigen straffällige Handlungen.
Auch der Fluchtverlauf kann einen großen Einfluss auf die Kriminalität haben. Dazu befragten Kudlacek und sein Team circa 1000 Menschen in Flüchtlingsunterkünften und konnten zeigen, dass mit der Fluchtlänge die Wahrscheinlichkeit für traumatische Erfahrungen steigt. Vor allem betroffen seien davon Geflüchtete aus Zentralafrika. Sie müssten lange Fluchtrouten hinter sich bringen, teilweise zwischendurch in anderen Ländern unter den Bedingungen von Sklaverei arbeiten und unter lebensbedrohlichen Bedingungen über das Mittelmeer fliehen. Möglicherweise mit fatalen Folgen: „Diese Erfahrungen von Gewalt könnten enorm die Hemmschwelle senken, selbst eine Tat zu begehen“, sagt Kudlacek. Zudem sorgten sie für Not und Verzweiflung, was ebenfalls ein Grund für kriminelles Verhalten sein kann.
Was kann man tun?
Laut Kudlacek müsste zunächst für jeden Geflüchteten beim Ankommen geprüft werden, was die Person braucht. Menschen, die mit dem Flugzeug eine kurze Anreise nach Deutschland hatten, benötigen vielleicht keine psychologische Fürsorge. Jemand, der einen harten Fluchtweg hinter sich hat vielleicht schon.
Nach dem Kriminalpsychologen Rettenberger sei vor allem eine schnelle Integration und ein klarer Aufenthaltsstatus entscheidend: „Für die Menschen ist es schwierig anzukommen, wenn sie immer damit rechnen müssen, wieder abgeschoben zu werden.“, sagt Rettenberger: „Warum sollten sie sich dann etwas aufbauen?“ Er sieht vor allem die Flüchtlingsheime als „Nährboden für Kriminalität“: Dort seien viele junge Menschen, die nichts mit ihrer Zeit anzufangen wüssten. Man müsse ihnen eine Perspektive geben, eine Chance sich selbst etwas aufzubauen und sie schnell in den Arbeitsmarkt integrieren. Denn wenn Menschen sich nicht willkommen fühlen, würden sie sich Gleichgesinnte suchen. Dies besagen auch Kulturkonflikttheorien, die fester Bestandteil der Kriminologie sind. „Das Zusammentun in Gruppen ist an sich nichts schlimmes“, sagt Rettenberger: „aber sie können sich in ihrem Gefühl der Ausgeschlossenheit bestärken. Und suchen sich vielleicht alternative Wege, um das zu bekommen, was sie gerne hätten.“
Um zu schauen, was den Geflüchteten hilft, müsse man laut Kudlacek und Rettenberger also immer die Lebensumstände berücksichtigen. Und diese auch in Deutschland verbessern. Die beiden Forscher sind sich einig: Kriminalität ist keine Frage des Passes, sondern der individuellen und gesellschaftlichen Bedingungen.