Foto: Wiebke Peitz

„Niemand möchte, dass in Deutschland der gläserne Patient zum Standard wird.“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Klemens Budde

Welches Potenzial hat Künstliche Intelligenz in der Medizin?

KI kann uns als Ärzte bei immer komplexeren Fragestellungen unterstützen und hilft auch dabei, Patienten besser beraten zu können. Generell ist das Potenzial riesig. Wie bei allen anderen Anwendungsbereichen in der Gesellschaft könnte die KI ein Game-Changer werden und auch disruptiv etwas verändern. Es könnte aber auch sein, dass KI nur ein weiterer Entwicklungsschritt ist und die Grundlage bildet, auf der viele einzelne Innovationen im Gesundheitswesen aufbauen.

„Da sind noch viele Fragen ungeklärt. Die entscheidende Frage ist, wie man KI sinnvoll in den Arbeitsalltag integrieren kann, sodass es auch tatsächlich dem Arzt in seiner Arbeit hilft.“

Wie wird KI den Klinikalltag verändern?

Es wird sich erst zeigen müssen, inwieweit und wie schnell sich KI in den Klinikalltag einbetten lässt. Da sind noch viele Fragen ungeklärt. Die entscheidende Frage ist, wie man KI sinnvoll in den Arbeitsalltag integrieren kann, sodass es auch tatsächlich dem Arzt in seiner Arbeit hilft. Wenn ein Algorithmus in der bildgebenden Diagnostik beispielsweise auf einem Röntgenbild einzelne Stellen markiert, wird der Arzt da genau hinschauen.Wenn der Algorithmus aber sehr viele Stelle markiert und jede mögliche Abnormalität anzeigt, hilft es dem Arzt auch nicht, um eine schnelle Diagnose zu stellen. Möglicherweise kommt die Technik auch erst einmal ganz banal in den Kliniken als Servicefunktion zum Einsatz. Zum Beispiel, dass das KI-System den Medizinern hilft, das letzte Röntgenbild schnell herauszusuchen.

Was sind denn die großen Anwendungsbereiche von KI in der Medizin?

Von der Vorbeugung von Erkrankungen, über die Diagnose bis hin zur individuellen Therapie kann KI den Arzt enorm unterstützen. In der Prävention könnten Algorithmen Risikogruppen besser identifizieren, sodass man gezielt Vorsorgeuntersuchungen bei Patienten machen kann, die beispielsweise ein höheres Risiko haben, einen Schlaganfall zu erleiden oder an Krebs zu erkranken. In der Diagnostik könnte KI hingegen helfen, Tumorzellen besser zu erkennen, Röntgenbilder besser und effizienter auszuwerten und behandelnde Ärzte explizit auf einzelne Merkmale hinweisen. Und schließlich bringt KI das Potenzial mit, maßgeschneiderte Therapien zu entwickeln, die auf der Basis von einer Vielzahl von Studien und Analysen beruhen, die dann von der KI für jeden einzelnen individuell aufbereitet werden können.

Was benötigt man denn von Seiten der Patienten, damit KI in diesen Bereichen zur Anwendung kommt?

Damit die Algorithmen entsprechend angewandt werden können, braucht es eine Vielzahl an medizinischen Daten. In Deutschland haben wir grundsätzlich davon ausreichend, denn jeder Hausarzt hat ein Praxisabrechnungssystem und jede Krankenkasse hat Millionen von Daten ihrer Patienten. Auch mit der elektronischen Patientenakte wird eine Vielzahl an Daten gesammelt. Aber die meisten Daten sind nicht miteinander verknüpft. Um sie nutzbar zu machen, müssen wir den Kontext kennen und die Daten miteinander verknüpfen. Das ist momentan die große Herausforderung.

„Ich würde mir dennoch wünschen, dass die Debatte um den Datenschutz etwas weniger darüber geführt wird, was nicht geht, sondern viel stärker dahin führt, dass anhand von Beispielen klar wird, was geht und wie man etwas umsetzen kann.“

Wie stark ist die momentane Diskussion von dem Datenschutz geleitet?

Natürlich wird der Datenschutz immer wieder als Vorwand genommen, wenn Veränderungen gesellschaftlich nicht gewollt sind. Gleichzeitig ist die Selbstbestimmung der Patienten wichtig und niemand möchte, dass in Deutschland der gläserne Patient zum Standard wird – insbesondere, weil es sich bei Patientendaten um extrem sensible Informationen handelt. Ich würde mir dennoch wünschen, dass die Debatte um den Datenschutz etwas weniger darüber geführt wird, was nicht geht, sondern viel stärker dahin führt, dass anhand von Beispielen klar wird, was geht und wie man etwas umsetzen kann. Positivbeispiele zu finden, wäre hier der Schlüssel.

Welche anderen Fragen müssen noch geklärt werden, bevor KI tatsächlich zur Anwendung kommt?

Grundsätzlich gibt es noch recht viel Forschungsbedarf. Das zeigt sich auch bei unserer Arbeit auf der Plattform Lernende Systeme. Zum Beispiel die Frage, wie sich ein System zertifizieren lässt, das per Definition noch gar nicht fertig ist. Hier braucht es noch eine intensivere Auseinandersetzung und Kriterien, die dazu erst entwickelt werden müssen. Auch die Frage der Haftung ist bislang noch weitestgehend ungelöst, aber gleichzeitig von elementarer Bedeutung. Denn wer ist verantwortlich, wenn eine Diagnose, oder gar eine Therapie falsch erstellt wird?

Wie könnte ein besseres Verständnis von KI in der Gesellschaft geschaffen werden?

In der allgemeinen Betrachtung ist es durchaus problematisch, wenn die KI nur als Black Box wahrgenommen wird. Sowohl als Arzt wie auch als Patient möchte man wissen, warum eine Maschine zu einer bestimmten Entscheidung kommt und dafür ist Transparenz unerlässlich. Letztendlich müssen wir alle – als Ärzte, Patienten und als Gesellschaft – lernen, die Ergebnisse der KI besser zu deuten. Denn es sind stets nur mögliche Ergebnisse, die sich aufgrund von Vorerkrankungen und den Wahrscheinlichkeiten ergeben, mit denen die Maschine rechnet.

Zur Person

Prof. Dr. Klemens Budde ist leitender Oberarzt an der Charité Berlin für innere Medizin und Nephrologie. Darüber hinaus leitet er die Arbeitsgruppe „Gesundheit, Medizintechnik, Pflege“ der Plattform Lernende Systeme.

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