Künstliche Intelligenz – Treiber einer medizinischen Revolution?

Über den Einsatz von KI in der Medizin

Ganz gleich ob im Verkehr, im Online-Handel oder im militärischen Bereich – Künstliche Intelligenz (KI) spielt in immer mehr Bereichen unserer Gesellschaft eine immer größere Rolle. Das gilt auch für die Medizin. Dort hat Künstliche Intelligenz das Potenzial eine Branche von Grund auf zu verändern und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht.

„Es gibt drei große Anwendungsbereiche, in denen Künstliche Intelligenz in der Medizin eingesetzt werden könnte: In der Grundlagenforschung, in der Translation und im klinischen Alltag”, sagt Prof. Dr. Thomas Neumuth, Vizedirektor am Innovation Center Computer Assisted Surgery (ICCAS) der Universität Leipzig und Mitglied der Plattform Lernende Systeme. Während es im Bereich der Grundlagenforschung vor allem darum geht, die Daten aus Laboruntersuchungen besser zu verarbeiten und zielgerichteter zu untersuchen, geht es im Bereich der Translation vor allem darum die Entwicklung neuer Medikamente zu verbessern. „Hier nutzt man die Künstliche Intelligenz quasi als Puzzler, der aus bestehenden Molekülstrukturen Medikamente zusammensetzt”, erklärt Neumuth.

„Es geht im Allgemeinen darum, die Medizin besser zu machen.”

Prof. Michael Forsting, Chef-Radiologe an der Uniklinik Essen

Im klinischen Alltag kommt Künstliche Intelligenz derzeit noch primär im Bereich der Diagnose und Vorsorge zum Einsatz. „Am weitesten ist in diesem Bereich die Radiologie. Das liegt vor allem daran, dass dieser Bereich schon seit Jahren digitalisiert ist und damit die Voraussetzungen für den Einsatz ideal sind”, sagt Prof. Dr. Michael Forsting, Chef-Radiologe an der Uniklinik Essen. Ein Bereich, in dem KI schon heute zum Einsatz kommt, ist die Auswertung und Analyse von Bildern. Eine Arbeit, die relativ monoton und zeitintensiv ist. „KI kann hier den Menschen entlasten und ist vor allem auch weniger fehleranfällig, da sie sich im Gegensatz zu Menschen nicht von Langeweile und Monotonie beeinflussen lässt”, sagt Forsting. „Darüber hinaus haben wir es mit immer mehr Patienten zu tun, also auch mit immer mehr Bildern und Daten. Gerade in diesem Fall ist die KI also ein absoluter Gewinn für die Medizin.”

Darüber hinaus sieht Forsting großes Potenzial für ein weiteres Einsatzgebiet in der Radiologie: „Die künstliche Intelligenz schaut viel tiefer in die Biologie eines Tumors, als es das menschliche Gehirn vermag. Sie erkennt Muster, die wir nicht sehen. In diesem Bereich, den wir Radionomics nennen, sehe ich das größte Potenzial.” Allerdings sind sich Neumuth und Forsting einig, dass die Künstliche Intelligenz künftig auch in Bereichen außerhalb der Radiologie vermehrt zum Einsatz kommen wird. „Es geht im Allgemeinen darum, die Medizin besser zu machen”, sagt Forsting. „In der technischen Medizin, also der Radiologie oder im Labor, passieren allerdings schon heute eher wenige Fehler. Deshalb wird sie dort eher zur Effizienzoptimierung eingesetzt. Ich sehe in der sprechenden Medizin ein noch größeres Potenzial, da dort mehr Fehler gemacht werden.” Ein Bereich, der Forsting zufolge zu oft zu unkritisch betrachtet wird: „Wir haben dieses Idealbild von empathischen Arzt, der gleichzeitig der beste Arzt ist. In der Realität hängen Empathie und medizinische Qualität aber leider nicht immer zusammen und letztendlich glaube ich, dass sich jeder eher für die richtige Diagnose als für die emphatische Fehldiagnose entscheiden würde.”

„Trotzdem glaube ich, dass Künstliche Intelligenz den Arztberuf verändern wird. Ich sehe das allerdings positiv und nicht negativ.”

Prof. Dr. Thomas Neumuth, Vizedirektor am Innovation Center Computer Assisted Surgery (ICCAS) der Universität Leipzig

Denkbare Einsatzmöglichkeiten reichen im Bereich der sprechenden Medizin von der Diagnose psychischer Erkrankungen mit Hilfe von computergestützten Analysen bis hinein in den Operationssaal. „Hier geht der Trend dahin, dass der Chirurg zunehmend Unterstützung von Computern und Künstlicher Intelligenz erhält”, sagt Thomas Neumuth, der an seiner Universität einen intelligenten Operationssaal entwickelt hat und beforscht. Künstliche Intelligenz wird dort vor allem eingesetzt, um den Ablauf von Operationen zu optimieren. So erhält der Arzt beispielsweise basierend auf Datenanalysen Informationen über die nächsten Arbeitsschritte und kann bei unerwarteten Ereignissen auf die Erfahrung anderer Ärzte zurückgreifen. „Darüber hinaus hat KI immer dann ein großes Potenzial, wenn es darum geht, eine Entscheidung aufgrund vieler und komplexer Einzelinformationen zu treffen”, sagt Neumuth. Dabei gehe es zum einen um die Auswahl und Visualisierung entscheidungsrelevanter Informationen und zum anderen um die optimale Durchführung komplexer chirurgischer Arbeiten.

Bei allen Potenzialen sind sich die Experten einig, dass KI den Arzt nicht vollständig ersetzen, sondern ihn vielmehr in seiner Arbeit unterstützen wird. „Trotzdem glaube ich, dass Künstliche Intelligenz den Arztberuf verändern wird. Ich sehe das allerdings positiv und nicht negativ”, sagt Neumuth. „Chirurgie ist beispielsweise derzeit vor allem Handwerk, in der Zukunft könnten Chirurgen hingegen die Rolle als Überwachungsinstanz einnehmen.”

Eine Einschätzung, die Michael Forsting teilt: „KI wird den Arzt nicht ersetzen, denn das ist nicht gewollt. Ebenso ist es nicht das Ziel die Medizin günstiger zu machen. Niemand will günstige Medizin, wir wollen gute Medizin und genau dafür ist KI in der Zukunft der Schlüssel. Daher sehe ich in diesem Bereich auch keine ethischen Bedenken, denn Medizin zu verbessern kann nicht ethisch bedenklich sein. Hier liegt folglich ein Missverständnis vor.”

„Um personalisierte Medizin zu betreiben, muss zuallererst die Diagnose stimmen und hier kann KI sehr effektiv und gewinnbringend zum Einsatz kommen.”

Prof. Michael Forsting, Chef-Radiologe an der Uniklinik Essen

Während der Einsatz im Bereich der Radiologie in der Tat weitgehend unumstritten ist, gibt es in anderen Bereichen durchaus Menschen, die ethische Bedenken äußern. „Einer der Gründe ist sicherlich, dass die Funktionsweise der Algorithmen nicht transparent ist”, sagt Neumuth. „Dort müssen wir ansetzen. Denn in der Medizin ist es wichtig genau zu wissen, wie ein System zu seinen Empfehlungen kommt. Das wird aber gelingen und rein technisch sind wir nicht mehr weit vom flächendeckenden Einsatz entfernt.”

Ein weiterer Bereich, für den Künstliche Intelligenz großes Potenzial hat, ist die personalisierte Medizin. „Um personalisierte Medizin zu betreiben, muss zuallererst die Diagnose stimmen und hier kann KI sehr effektiv und gewinnbringend zum Einsatz kommen”, sagt Forsting. „Superdiagnostic Institute sind daher aus meiner Sicht das nächste große Ding in der Medizin”.

Damit das gelingt ist es aus Sicht der Experten aber vor allem wichtig zum aktuellen Zeitpunkt keine Überregulierung in diesem Bereich vorzunehmen. „Es fehlt derzeit in vielen Bereichen noch am Grunddatensatz, wenn man dort jetzt reguliert und beschränkt, werden wir international den Anschluss verpassen”, sagt Forsting. „Wir brauchen in diesem Bereich dringend Flexibilität und auch die Möglichkeit Dinge zu testen und auszuprobieren, um langfristig erfolgreich zu sein.” Auch Thomas Neumuth sieht in der Regulation die entscheidende Herausforderung für den erfolgreichen Einsatz künstlicher Intelligenz in der Medizin: „Wie schnell und flächendeckend sie zum Einsatz kommt hängt nicht ausschließlich von der technischen Entwicklung ab, da sind wir sehr weit. Um KI-Algorithmen in der Medizin ausreichend trainieren zu können, ist der Zugriff auf umfangreiche Patientendatensätze notwendig. Der Zugang zu diesen Daten ist jedoch durch regulatorische Vorgaben zum Schutz der Privatssphäre der Patienten sehr stark geschützt.” Punkte, die aus Sicht der Experten vor allem politisch geklärt werden müssen, bevor die Künstliche Intelligenz zu einer echten Revolution in der Medizin führen kann.

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