Das dahinterliegende Problem ist dabei nicht neu: Denn Medikamente werden nicht unbedingt nach der medizinischen Dringlichkeit entwickelt, sondern oftmals nach den erwartenden Gewinnaussichten. Zuletzt hat sich das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit dem Zusatznutzen neuer Medikamente beschäftigt. Das Ergebnis: Bei 58 Prozent aller zwischen 2011 und 2017 in Deutschland auf den Markt gekommenen Medikamente konnte kein Zusatznutzen festgestellt werden.
Doch wie lässt sich sicherstellen, dass notwendige Medikamente entwickeln werden, andere vermeintlich profitablere, aber überflüssige Produkte hingegen nicht? Beyer sieht den finanziellen Anreiz als entscheidendes Kriterium: „Wenn wir wollen, dass die Pharmaindustrie weiter in vernachlässigte und fehlende Medikamente investiert, muss sichergestellt werden, dass es sich für sie auch rechnet.“ Sein Ansatz: Für ein neu entwickeltes Antibiotikum sollten die Abnehmer eine Pauschalsumme zahlen und nicht nur den tatsächlichen Verbrauch. „Dazu müsste man aber erst einmal definieren, für welche Antibiotika das überhaupt gelten soll. Um diese Entscheidung zu erleichtern, bewerten wir jedes Jahr alle Antibiotika, die in der Entwicklung sind, inwieweit diese innovativ sind und haben Produktprofile entwickelt, die beschreiben, was für neue Antibiotika benötigt werden.“
Peter Tinnemann, der auch an der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf lehrt, hat einen anderen Ansatz: „Für mich müssen Medikamente anders als andere Investitions- und Konsumgüter betrachtet werden, denn Medikamente sind lebenswichtig und genau so müssten wir mit ihnen umgehen. Der Staat sollte klar benennen, welche Medikamente wirklich benötigt werden und nicht der Industrie die Entscheidung überlassen, welches Medikament entwickelt wird.“
Einen solchen Ansatz findet sich beispielsweise in Dänemark. Dort ist es der dänischen Non-Profit-Organisation „Statens Serum Instituet“ des dänischen Gesundheitsministeriums gelungen, ein Impfstoff gegen Chlamydien zu entwickeln und diesen sogar schon in erste klinische Studie zu bringen. Das Besondere dabei: Dahinter steht auch bei den klinischen Studien keine Industriepartnerschaft und die Eigentumsrechte am Wirkstoff liegen ausschließlich beim Ministerium. Für Dr. Stefan Esser, Direktor der Ambulanz für HIV, AIDS und Geschlechtskrankheiten am Universitätsklinikum Essen ist dies eine wichtige Entwicklung: „Leider gibt es wenig Forschung im Bereich von sexuell übertragbaren Infektionen, obwohl diese für erhebliche gesundheitliche Probleme sorgen. Deshalb verdient die Impfstoff-Entwicklung von einer non-profit-Organisation des Gesundheitsministeriums von Dänemark höchste Anerkennung.“
Auch die von der WHO gegründete Global Antibiotic Research & Development Partnership (GARDP) ist in der aktuellen Entwicklung eines Antibiotikums, was zur Behandlung von Tripper eingesetzt werden kann. Auch hier ist die Entwicklung bereits recht weit fortgeschritten. Dort, wo es für die Pharmaunternehmen nicht mehr lukrativ ist zu investieren, finden sich also zunehmend Non-Profit-Organisationen, die die Entwicklung so dringend benötigter Medikamente vorantreiben.