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„Ich bin mir sicher, dass Meinungsforschung in Zukunft nicht mehr telefonisch stattfinden wird.“

Holger Geißler von YouGov im Interview

„Wir machen keine Wahlwetten oder sowas oder analysieren Google oder Facebook – wir befragen immer noch Menschen, nur eben Online.“

Ist die Meinungsforschung kaputt?

Nein, in Deutschland auf gar keinen Fall. In anderen Ländern gab es natürlich mit dem Brexit und der Trump-Wahl schon ein paar echte Schlappen in jüngster Zeit, da gab es dann auch zurecht Kritik. Aber es gab auch Dinge die sehr gut gelaufen sind, wie beispielsweise die Frankreich-Wahl. Was aber deutlich wird ist, dass sich die Marktforschung verändert. Die Welt verändert sich und deshalb muss sich auch die Marktforschung verändern. Insofern hat der Digitalisierungsprozess, der in vielen Ländern extrem ist, auch Auswirkungen auf die Markt- und Meinungsforschung. Letztendlich muss ich als Meinungsforscher immer dort sein, wo ich die Menschen erreiche und da die Kommunikation ins Internet wandert – und zwar ins mobile Internet – muss sich die Marktforschung dem anpassen.

YouGov ist für viele ein Sinnbild für diese Veränderung. Was genau machen Sie denn anders als andere Anbieter?

Wir befragen Online und die anderen telefonisch. Wir befragen aus einem Panel heraus und die anderen eher Ad hoc. Der Unterschied zu Civey beispielsweise ist, dass Civey jeden nimmt, der mitmachen will. Das kann die Stichprobe verzerren. Wir wählen aus einem vorher erstellten Panel aus und können damit relativ genau bestimmen, wer bei einer Umfrage mitmacht und wer nicht. Das ist eine ganz normale Quotenstichprobe, allerdings mit deutlich feinerer Quotierung. Das ist für Deutschland relevant, in anderen Ländern machen viele andere Institute ihre Umfragen auch Online.

Aber wir machen keine Wahlwetten oder sowas oder analysieren Google oder Facebook – wir befragen immer noch Menschen, nur eben Online.

„Wir erheben bereits Daten aus den sozialen Netzwerken und werten sie auch teilweise aus.“

Schließen sie damit aber nicht eine relativ große Gruppe an Menschen aus?

Ja natürlich, aber ich schließe mit jeder Erhebungsmethode Leute aus. Man muss immer gucken, wen man erreicht. Online erreichen wir manche Leute nicht, andere wiederum sehr gut. Ich halte das Problem hier in Deutschland für eher gering. Wir haben eine hohe Online-Penetration und bis auf ein paar sehr alte Bürger, haben wir alle gut abgebildet.

Nun haben wir in Deutschland aber natürlich relativ viele ältere Bürger, was problematisch sein kann. Da hilft uns allerdings unser Panel-System und die Tatsache, dass wir die Stichproben sehr fein quotieren können. Zwar ist Alter einer der wenigen Bereiche, bei denen unser Panel nicht exakt dem Bevölkerungsanteil entspricht, aber wir haben genügend ältere Menschen im Panel, um die Stichproben so zu ziehen, dass sie repräsentativ sind.

Die Problematik tritt eher auf, wenn es um Fragen zur Mediennutzung geht; im politischen Bereich ist das kein Problem.

Wäre es denn in Zukunft denkbar, stärker auf Daten aus den Sozialen Medien zurückzugreifen?

Ich denke wir sollten da in jedem Fall offen für sein. In Bezug auf Social-Media-Daten muss man derzeit allerdings bedenken, dass es in Deutschland relativ schwierig ist. Twitter beispielsweise spielt in Deutschland noch kaum eine Rolle – das ist eine sehr elitäre Gruppe, die es nutzt. Da kann man also keine repräsentative Umfrage durchführen. Bei Facebook liegt das Hauptaugenmerk noch auf dem sozialen Austausch. Da muss man wirklich schauen, ob es sinnvoll ist.

Wir erheben bereits Daten aus den sozialen Netzwerken und werten sie auch teilweise aus. Nur in unsere Modelle vor allem im Bereich der Wahlforschung fließen sie derzeit nicht ein. Selbst weltweit sehe ich das derzeit noch nicht. Es gibt vereinzelte Zufallserfolge, aber da würde ich dann wirklich sagen, dass die Marktforschung da mehr Treffer landet.

„Ich kann mir vorstellen, dass man immer mehr rechnen wird. Das Big-Data-Thema mit viel mehr Daten könnte schon wichtig werden.“

Wagen wir einen Blick in die Zukunft, wie sieht die Zukunft der Wahlforschung aus Ihrer Sicht aus?

Zunächst einmal glaube ich, dass es sie auf jeden Fall auch in Zukunft noch geben wird. Ich glaube daran, dass es immer ein Bedürfnis geben wird, von Seiten der Politik und der Öffentlichkeit zu wissen, wie die politische Stimmung im Land ist. Ob das bedeutet, dass man in Zukunft immer noch Menschen befragt oder ob es neue Modelle gibt, die beispielsweise ausgehend von Online-Verhalten berechnet sind, weiß ich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass man immer mehr rechnen wird. Das Big-Data-Thema mit viel mehr Daten könnte schon wichtig werden.

Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass Meinungsforschung in Zukunft nicht mehr telefonisch stattfinden wird – wir sind an dieser Stelle hier in Deutschland schon heute ein gallisches Dorf. Die Welt wird sich weiterentwickeln und mit ihr die Methoden. Wir müssen diese Herausforderung annehmen, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben.

Zur Person

Holger Geißler ist Head of Research und Sprecher der YouGov Deutschland GmbH. Vor der Umwandlung des Unternehmens von der AG zur GmbH im Mai 2016 war er Vorstand. Der Diplom-Psychologe ist außerdem Lehrbeauftragter der Technischen Hochschule Köln.

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