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Die Macht der Meinungsforschung – Wen Umfragen beeinflussen

Was machen Umfragen mit Politikern und Wählern?

Wir würden gerne erfahren, was Sie persönlich über Meinungsforschung denken und wie Ihnen die-debatte.org gefällt. Nehmen Sie hier an unserer 5-minütigen Umfrage teil. Die Antworten werden von der Abteilung für Kommunikations- und Medienwissenschaften der TU Braunschweig in einem begleitenden Forschungsprojekt ausgewertet.

 

Die Meinungsforschung ist in die Kritik geraten. Bemängelt wird, dass sich die Demoskopen bisher nicht gut genug auf die Digitalisierung der Kommunikation und neue politische Herausforderungen eingestellt hat – etwa auf die wachsende politische Vielfalt und eine diffusere Positionierung von Kandidaten. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung kommt es häufiger als noch vor einigen Jahren zu falschen Prognosen. Doch auf wen haben diese Prognosen eigentlich einen Einfluss und weshalb ist es problematisch, wenn sie das Stimmungsbild innerhalb der Bevölkerung nur unzureichend abbilden?

„Es gibt zwar wenig Evidenz in diesem Bereich, aber mein Eindruck ist, dass Umfragen für politische Akteure sehr wichtig sind.“

(Prof. Dr. Rüdiger Schmitt-Beck)

„Eigentlich wäre es nicht so schlimm, wenn Umfragen fehlerhaft durchgeführt sind und daneben liegen”, sagt Prof. Dr. Thomas König, Politikwissenschaftler an der Universität Mannheim: “Allerdings gibt eine wichtige Bevölkerungsgruppe, die sich sehr für Wahlen interessiert: die Politiker. Da werden schlechte Umfragen dann zum Problem, weil sich politische Entscheidungen an deren unzureichenden Ergebnissen orientieren.“

Ein aktuelles Beispiel für diese Art der Beeinflussung des politischen Geschehens durch Umfragen ist König zufolge der Brexit: „Da haben Umfragen vor der Entscheidung, ob es ein Referendum gibt oder nicht ganz klar gezeigt, dass die Bevölkerung für den Verbleib in der EU ist.” Das Problem sei dann aber gewesen, dass diese Umfragen “überproportional das Stimmungsbild in London eingefangen hatten und so schlicht und einfach irreführend waren“. Der damalige britische Premierminister David Cameron – selbst Gegner des Brexit – entschied sich auch auf Grund eines verfälschten Stimmungsbildes für eine Abstimmung. Ein Entschluss mit weitreichenden Folgen für Europa.

Den tatsächlichen Einfluss von Meinungsumfragen auf politische Entscheidungen wissenschaftlich zu belegen ist methodisch außerordentlich schwer und es gibt daher kaum aussagekräftige Studien. „Es gibt zwar wenig Evidenz in diesem Bereich, aber mein Eindruck ist, dass Umfragen für politische Akteure sehr wichtig sind. Sie beobachten die Umfrageergebnisse quasi ununterbrochen“, sagt Prof. Dr. Rüdiger Schmitt-Beck, der ebenfalls an der Universität Mannheim lehrt. In der Folge könnten schlecht gemachte Umfragen zu unsteten und wenig nachhaltigen politischen Entscheidungen beitragen.

Dabei sind Umfragen als Steuerungsmechanismus politischer Entscheidungen ein durchaus legitimes Mittel, Thomas König beschreibt sie als „einen der Grundmechanismen unserer Demokratie“. Damit dieser allerdings auch effektiv funktionieren kann, müssten Umfragen transparent gestaltet sein, empirisch korrekt durchgeführt und vor allem auch richtig interpretiert werden.

„Man betreibt die Wahlforschung ja, um eine Stimmung einzufangen. Dann wird darüber geschrieben und mit dem was ich herausgebe, beeinflusse ich natürlich die Wirklichkeit.“

(Holger Geißler)

Das ist vor allem auch deshalb wichtig, weil Umfragen potenziell nicht nur auf Politiker wirken, sondern auch die Wählerschaft beeinflussen können. „In der Bevölkerung kann man drei Effekte beobachten“, sagt Schmitt-Beck: „Diese sind sicherlich eher klein und treten auch nicht bei jeder Wahl oder als Reaktion auf jede Umfrage auf, aber sie können eben auftreten.” Den ersten bezeichne man als den “Selbstverstärkungseffekt”, den zweiten das “Mobilisierungsphänomen” und den dritten als “Strategisches Wählen“.

Der Selbstverstärkungseffekt beruht auf der Tendenz, dass Menschen gerne auf der Seite der Sieger stehen. Frei nach dem Motto: Erfolg gebiert neuen Erfolg. Das Mobilisierungsphänomen steht quasi im Gegensatz dazu. Hier profitieren in den Umfragen schwächelnde Parteien davon, dass ihre Wähler sich durch die schlechte Prognose zusätzlich motiviert fühlen wählen zu gehen, um ihre Partei zu unterstützen. „Es gibt Studien, die diesen Effekt zeigen“, sagt Holger Geißler, Head of Research bei YouGov in Deutschland: „Wenn ich also eine Umfrage mache und es da beispielsweise heißt ‚Die Grünen kommen nicht in den Landtag’ und diese Schlagzeile dann medial aufgegriffen wird, dann kann das schon Wähler mobilisieren und dazu anregen, zur Wahl zu gehen und ihre Stimme für die Grünen abzugeben.“

Beim sogenannten strategischen Wählen – oft auch taktisches Wählen genannt – geht es dagegen eher um die Frage, wie man seine Stimme am besten einsetzen kann, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Der Wähler macht sich also Gedanken über präferierte Ergebnisse und kalkuliert die Koalitionspolitik bereits mit ein. „Um das machen zu können, muss man nicht nur eine Vorstellung davon haben, welche Parteien überhaupt koalieren würden, sondern zudem auch eine Vorstellung, wie stark die Parteien wahrscheinlich werden und welche Optionen sich daraus ergeben“, sagt Schmitt-Beck. „Und auch da sind natürlich Umfragen eine wichtige Größe, die in das Kalkül mit einfließt.“

Auch wenn die tatsächliche Wirkung von Umfragen empirisch schwer zu belegen ist, sind sich die Experten weitestgehend einig, dass eine Beeinflussung stattfinden kann. „Es ist aber nicht so klar zu belegen, ob es jedes Mal diese Auswirkungen hat“, formuliert es Holger Geißler: „Aber man betreibt die Wahlforschung ja, um eine Stimmung einzufangen. Dann wird darüber geschrieben und mit dem was ich herausgebe, beeinflusse ich natürlich die Wirklichkeit, vor allem wenn es durch die Massenmedien verbreitet wird. Dessen muss man sich bewusst sein und entsprechend sauber arbeiten.“

Spezialfall der Beeinflussung durch Umfragen

Das TV Duell im Präsidentschaftswahlkampf

Ein Beispiel dafür, wie Umfragen die Politik beeinflussen ist das Fernsehduell im Vorlauf der amerikanischen Präsidentschaftswahl. In Deutschland werden dazu nur die beiden Top-Kandidaten eingeladen. In den USA hingegen wurden beim ersten TV-Duell der Republikaner die Top 10 Kandidaten in die Hauptrunde eingeladen, während die Kandidaten auf den Plätzen 11 bis 16 zuvor in einer Art Trostrunde antraten. Aufmerksamkeit erhalten vor allem die Kandidaten in der ersten Runde und wer an diesen teilnimmt, entscheiden Umfragen.

„Die Entscheidung wer in der Runde drin war und wer nicht basiert dabei auf einem Zehntel Prozent der letzten Umfragen“, sagt Christian Fahrenbach, ein in den USA ansässiger Umfrage-Journalist und Mitbegründer des Umfrage-Projekts „Signal & Rauschen“. Das sei natürlich etwas anderes als die Frage, wie eine Wahlentscheidung durch Umfragen beeinflusst wird, aber es ist ein “Mechanismus der zeigt, wie Umfragen sich direkt auf Politik auswirken können.“

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