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Mit Nudging zu höheren Impfquoten?

Könnten Nudging-Methoden die Bereitschaft zur Corona-Impfung erhöhen?

Noch stehen die Menschen in den Impfzentren Schlange oder warten sehnsüchtig auf einen Termin für eine Corona-Impfung, noch laufen die Telefone in den impfenden Arztpraxen heiß. Doch es ist absehbar, dass – wie in Israel und und den USA nach enorm erfolgreichen Impfkampagnen bereits zu beobachten – auch in Deutschland der Strom der Impfwilligen im Laufe des Sommers abnehmen wird. Um die Herdenimmunität zu erreichen, müssten jedoch nach aktuellen Angaben des RKI wegen der neuen Mutanten mindestens 80 Prozent der Bevölkerung durch eine Impfung gegen Sars-CoV-2 geschützt sein. Bleibt die Zahl niedriger, wäre der Erfolg der Massenimpfung in Gefahr.

Die Herausforderung: Je größer die Gruppe der Geimpften, desto höher der Anteil der Skeptiker*innen unter jenen, die noch zögern. Um deren Impfbereitschaft zu erhöhen, sind auch Methoden des sogenannten Nudging in der Diskussion. Der Begriff stammt aus der Verhaltensökonomie und steht für Wege, Menschen nicht mit Vorschriften, sondern auf die sanfte Tour in die vermeintlich richtige Richtung zu weisen. So können Striche und lenkende Pfeile auf dem Boden Menschen zur Einhaltung von Abstandsregeln während der Pandemie ermutigen.

Beim Thema Impfen, wo es um eine ganz grundsätzliche und nicht nur situative Frage geht, stößt das klassische Nudging an seine Grenzen. Im Kampf gegen die drohende Impfmüdigkeit kommen daher neben diskreten Lenkungsversuchen auch klassische Anreizstrategien zum Einsatz. Die Grenzen zwischen Nudging und Anreizen sind zuweilen fließend: Menschen auf Parkplätzen zu impfen, ist ein klassisches Nudging-Instrument, weil man sie durch einen leichteren Zugang zur Impfung motiviert. Finanzielle Anreize gehen indes über das klassische Nudging hinaus. In den USA, wo Menschen bei Walmart oder in Bahnhöfen geimpft werden und dafür zugleich eine Belohnung wie Gutscheine oder eine Kiste Bier erhalten, werden also beide Ansätze kombiniert.

Doch welche Maßnahmen könnten außerdem zögernde Menschen tatsächlich zur Impfung bewegen? Ein Team aus Forscher*innen der Humboldt-Universität Berlin und dem Wissenschaftszentrum Berlin hat drei Anreizsysteme verglichen und auf ihre Wirksamkeit hin untersucht. Dazu befragten sie 20 000 Frauen und Männer zwischen 17 und 75 Jahren zunächst nach ihrer generellen Einstellung zum Impfen: Neben der rund zwei Drittel großen Gruppe der Impfbefürworter*innen gaben rund 17 Prozent an, in Bezug auf eine Coronaimpfung noch unentschlossen zu sein. Weitere 16 Prozent sagten, sich auf keinen Fall impfen lassen zu wollen. 

„In Deutschland gab es zum Beispiel Modellprojekte in Köln Chorweiler und Berlin Neukölln, wo man sich ohne vorherige Anmeldung in einem Impfbus oder einer Turnhalle impfen lassen konnte. Solche ähnlich leicht zu erreichende Impfangebote können sich positiv auf die Impfbereitschaft auswirken.“

Prof. Dr. Heike Klüver, Humboldt-Universität zu Berlin

Würden folgende drei Angebote die Impfbereitschaft in den Gruppen erhöhen, fragte das Team weiter: Eine Impfoption beim Hausarzt – die es zum Zeitpunkt der Befragung im März 2021 noch nicht gab –, eine Belohnung von 25 oder 50 Euro oder auch mehr Freiheiten nach der vollständigen Impfung? Das Ergebnis: Jeder Anreiz allein ließ die Impfbereitschaft unter allen Befragten um je fünf Prozent ansteigen, kombiniert erreicht der Wert bis 13 Prozent. „Das könnten die ausschlaggebenden Prozentpunkte sein, um die Herdenimmunität zu erreichen“, sagt die Mitautorin der Studie Prof. Dr. Heike Klüver. Diese 13 Prozent kämen vor allem aus der Gruppe der Unentschlossenen. „Die 16 Prozent Impfgegner*innen kann man damit nicht erreichen“, sagt die Wissenschaftlerin. 

Auch hierzulande könnte man das Impfen über die Arztpraxen hinaus noch einfacher machen, sagt Heike Klüver: „In Deutschland gab es zum Beispiel Modellprojekte in Köln Chorweiler und Berlin Neukölln, wo man sich ohne vorherige Anmeldung in einem Impfbus oder einer Turnhalle impfen lassen konnte. Solche ähnlich leicht zu erreichende Impfangebote können sich positiv auf die Impfbereitschaft auswirken.“

Seit Anfang des Jahres hat sich die Zahl der Impfwilligen laut Umfragen von Infratest dimap und yougov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur deutlich erhöht. Auch das RKI konstatiert im Rahmen seiner COVIMO Studie zur Impfbereitschaft ein hohes Niveau. Heike Klüver vermutet hier einen Zusammenhang mit dem inzwischen etablierten Hausarzt-Angebot. Es überzeugt vor allem Menschen, die von der Anonymität und schlechten Erreichbarkeit der Impfzentren abgeschreckt waren. Die Cosmo Studie der Universität Erfurt stellte im Mai 2021 hingegen einen geringen Rückgang in der Impfbereitschaft fest. Der sei aber vermutlich damit zu begründen, dass 45 Prozent der bereits Geimpften nicht mehr in die Erhebung einfließen und unter den nicht Geimpften der Anteil an Skeptikern größer ist, als in der Gesamtbevölkerung.

„Erst wenn alle vielversprechenden Informationsoptionen erschöpft sind, kann man über Nudging und Anreize nachdenken.“ 

Felix Rebitschek, Universität Potsdam  

Informationen statt Nudging und Belohnungen, Überzeugen statt Überreden. So sieht es hingegen Felix Rebitschek, wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer des Harding-Zentrums für Risikokompetenz an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Potsdam: „Erst wenn alle vielversprechenden Informationsoptionen erschöpft sind, kann man über Nudging und Anreize nachdenken.“

So weit ist es seiner Ansicht nach noch nicht. Noch immer gebe es zu wenig breit genutzte Informationsformate über das Für und Wider von Impfungen. Gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut hat das Harding-Zentrum daher Faktenboxen rund um Covid-Impfungen entwickelt. Sie sollen auf einen Blick über den Nutzen und mögliche Nebenwirkungen aufklären und den Menschen ermöglichen, eine informationsbasierte Entscheidung für oder gegen das Impfen zu treffen. „Das Format ist nicht lenkend“, betont der Forscher. Die Faktenboxen haben nicht zum Ziel, Menschen zur Impfung zu drängen. Sie sollen sich vielmehr aufgrund einer überzeugenden Informationslage für das Impfen statt dagegen entscheiden. Nudging sei da wenig erfolgversprechend. „Leute, die Informationsdefizite verspüren, lassen sich nicht eine Richtung stupsen. Sie brauchen Informationen“, sagt Rebitschek.

„Verständliche Fakten motivieren unentschiedene und skeptische Leute eher zum Impfen als Anreize oder Druck.“

Felix Rebitschek, Universität Potsdam  

Der Kognitionspsychologe ist überzeugt: „Verständliche Fakten motivieren unentschiedene und skeptische Leute eher zum Impfen als Anreize oder Druck.“ Seine Studie zeigt: Die Faktenboxen zu mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna verbessern deren persönliche Bewertung. Dabei ist auch ihm wichtig klarzustellen: „Die Impfgegner erreicht man kaum.“

Nudging und Geldangebote könnten bei zögerlichen Menschen, denen Informationen fehlen, sogar eher Irritationen oder gar Widerstand auslösen, sagt er. Solche Anreize führten auch langfristig zu Problemen: „Auch vor dem Hintergrund, dass die Leute zu einer Zweitimpfung und später auch noch zu eventuell weiteren Impfungen kommen sollen, macht es keinen Sinn, sie anzustoßen oder mit Geld zu locken. Sie müssen von der Impfung überzeugt sein. Dieses Verständnis geben sie auch an ihre Mitmenschen weiter.“

Schließlich brauche man die Leute ja bei der nächsten Pandemie, sagt Rebitschek. „Sonst kommt erneut die Frage auf: Bekomme ich Geld für die Impfung?“ Wer überzeugt sei, werde diese Frage nicht stellen.

„Über die ethischen Implikationen, Menschen Geld für eine Impfung zu bieten, muss die Politik entscheiden.“

Prof. Dr. Heike Klüver, Humboldt-Universität zu Berlin

Ab welcher Höhe solche Anreize bei den Unentschlossenen überhaupt erfolgversprechend sind, hat die HU-Studie erforscht. „Wir haben gesehen, dass 25 Euro nicht wirklich wirken, bei 50 Euro würden sich einige überzeugen lassen. Das spricht dafür, dass ein Donut oder eine Kiste Bier wie in den USA bei vielen nicht als Anreiz genügt, um sich impfen zu lassen“, sagt Heike Klüver. Für den Staat könnten solche Anreizsysteme also auch richtig teuer werden. Doch ist es überhaupt vertretbar, Menschen in einer so fundamentalen Frage durch Anreize beeinflussen zu wollen? „Über die ethischen Implikationen, Menschen Geld für eine Impfung zu bieten, muss die Politik entscheiden“, sagt Heike Klüver.

„Nudges können Druck erzeugen, zum Beispiel: Wer sich nicht impfen lässt, verhält sich unsozial. Eine solche Botschaft halte ich für ethisch fragwürdig.“

Felix Rebitschek, Universität Potsdam 

Für Felix Rebitschek beginnt die ethische Frage bereits beim Framing der Botschaften rund ums Impfen: Er sieht kritisch, dass die Bundesregierung den gesamtgesellschaftlichen Nutzen stärker in den Fokus ihrer Kampagnen stellt als die Aufklärung über die Impfvorteile. „Das könnte man als Nudging bezeichnen.“ Damit werde eine moralische Bewertung verbreitet, die Impfkritiker*innen eher noch in ihrer Ablehnung bestätige. „Nudges können Druck erzeugen, zum Beispiel: Wer sich nicht impfen lässt, verhält sich unsozial. Eine solche Botschaft halte ich für ethisch fragwürdig.“ 

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