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„Durch Nudging können wir den unbewussten Konsum von Fleisch reduzieren”

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Christina Gravert

Um den Klimawandel zu bremsen, muss an allen Schrauben gedreht werden. Wie kann unsere Ernährung nachhaltiger werden? 

Bei der Ernährung gibt es verschiedene Aspekte, die einen Einfluss auf Nachhaltigkeit haben. Einerseits ist das natürlich der CO2-Ausstoß, der insbesondere bei der Produktion von Lebensmitteln entsteht. Aber auch andere Aspekte wie beispielsweise der Wasserverbrauch, die Bodennutzung oder auch die Nutzung von Antibiotika wirken sich auf die Ökosysteme aus. Dieser Einfluss ist jedoch unterschiedlich groß, je nachdem, welche Lebensmittel wir regelmäßig konsumieren. Diesen Impact, den Lebensmittel auf Umwelt und Klima ausüben, kann man berechnen. Dadurch ist es uns möglich, zwischen Lebensmitteln mit einer stärkeren und einer geringeren Belastung für die Umwelt zu unterschieden.

In ihrer Studie „Nudging a la carte: a field experiment on climate-friendly food choice” aus dem Jahr 2019 befassen Sie sich mit vegetarischer Ernährung. Welche Rolle spielt der Verzicht auf tierische Produkte im Rahmen einer nachhaltigen Ernährung?

Bei einer nachhaltigen Ernährung geht es vor allem um die Reduktion von rotem Fleisch, also Fleisch von beispielsweise Rindern und Schweinen. Da wissen wir, dass bei der Produktion sowohl der CO2-Ausstoß als auch der Wasserverbrauch und die erforderliche Anbaufläche für Futtermittel besonders hoch ist im Vergleich zu vegetarischen Produkten. Bei weißem Fleisch, also beispielsweise bei Geflügel und Fisch ist die Belastung zwar etwas geringer, jedoch immer noch höher, als bei den meisten vegetarischen Produkten. Daher kann man sagen, dass eine Reduktion von rotem und weißem Fleisch positiv zur Nachhaltigkeit beiträgt und es Sinn ergibt, einige Fleisch-Mahlzeiten durch vegetarische Mahlzeiten zu ersetzen.

„In der Häufigkeit der Entscheidung liegt also das Potenzial, große Veränderungen herbeizuführen.“

Welchen Effekt kann eine entsprechende Verhaltensänderung bei der Ernährung auf den Klimawandel haben?

Die Sache ist die: Wir essen im Schnitt etwa drei Mal pro Tag eine Mahlzeit. Die Entscheidung über das Essen ist also eine, die wir relativ häufig immer wieder aufs neue treffen – im Gegensatz zum Beispiel zur Buchung eines Urlaubs. Das wäre ja eine Entscheidung, die wir vielleicht nur ein oder zwei Mal im Jahr treffen. In der Häufigkeit der Entscheidung liegt also das Potenzial, große Veränderungen herbeizuführen.

Welches Forschungsinteresse stand hinter der Studie?

Hinter der Studie stand die Frage: Wie bewusst entscheiden wir uns dafür, Fleisch zu essen? Und: Was bewirkt gegebenenfalls die veränderte Darstellung des Menüs in einer Speisekarte eines Restaurants? Ökonomen würden annehmen: Menschen wissen, was sie möchten – die einen möchten Fleisch essen, die anderen lieber vegetarisch – und so entscheiden sie auch, unabhängig davon, welches Gericht zuerst auf der Karte steht. Wir wollten wissen, ob das tatsächlich zutrifft.

Wie sind Sie genau vorgegangen?

Wir haben mit einem Restaurant in Göteborg zusammengearbeitet. In diesem Restaurant  gab es zwei unterschiedliche Karten, die in unterschiedlichen Bereichen des Restaurants ausgeteilt wurden. Die eine Karte hat vegetarische Gerichte und Fischgerichte aufgeführt, mit der Anmerkung, dass auf Wunsch auch eine Fleisch-Option verfügbar sei. Die anderen hatten die „klassische“ Karte mit Fleischgericht und Fischgericht und der Option, auf Wunsch auch ein vegetarisches Gericht zu bekommen. Einen Preisunterschied zwischen vegetarischen und Fleischgerichten gab es nicht. Über 13 Tage haben wir dann das Bestellverhalten beobachtet.

„In der Gruppe mit der Fleischkarte haben 3,5 Prozent ein vegetarisches Gericht bestellt, in der anderen etwa 15 Prozent.“

Ihre Schlussfolgerung?

Was wir daran sehen ist, dass durch Nudging-Strategien der unbewusste Konsum reduziert werden kann und gerade diejenigen, denen die Entscheidung zwischen vegetarischem Gericht und Fleischgericht nicht so wichtig ist, sich dann eher in Richtung vegetarisches Gericht nudgen lassen.

Auch wenn die klassische französische Karte mit der Reihenfolge Fleisch, Fisch, Vegetarisch umgedreht wird und trotzdem für jedes Gericht die gleiche Möglichkeit besteht dies zu bestellen, können Menschen in die Richtung genudget werden, vegetarisch zu bestellen. Die Möglichkeit, ein Fleischgericht zu bestellen, bleibt erhalten. Es geht mit diesem Versuch und bei Nudging generell also nicht darum, das Fleischessen zu verbieten, sondern den Konsum bewusst zu gestalten und eben nicht aus Gewohnheit oder Einfachheit das Fleischgericht zu bestellen.

Wie wird mit den Ergebnissen der Studie umgegangen?

Die Uni Göteborg hat auf unsere Studie hin entschieden, in deren Mensen und Restaurants das Menü in eine Reihenfolge umzuschreiben, die erst das vegetarische Gericht, dann das Fischgericht und erst dann das Fleischgericht aufführt. Diese Umstellung der Reihenfolge sieht man jetzt auch immer häufiger in anderen Restaurants. Auch die Option, auf expliziten Wunsch Fleisch als Beilage dazu zu bestellen etabliert sich in Restaurants immer mehr. Dies nennen wir dann den Default-Effekt. Ob diese Umstellung in Restaurants nun auf unsere Studie zurückzuführen ist, weiß ich natürlich nicht.

Gibt es über die Reihenfolge hinaus noch Möglichkeiten, nachhaltige Ernährung anzustoßen? 

Ja, es gibt noch andere Möglichkeiten. Der Default ist dabei natürlich am wirksamsten. Ich fände beispielsweise interessant, im Flugzeug vegetarische Mahlzeiten als Default auszugeben, mit der Option, auf Nachfrage auch eine Fleischvariante zu bekommen. Das könnte einen großen Effekt haben. Darüber hinaus kann auch über Portionsgrößen genudget werden. Wenn beispielsweise bei Buffets Lebensmittel kleiner geschnitten werden oder kleinere Teller verwendet werden, kann das zu einer Verringerung des Konsums führen. Ganz klassisch kann man natürlich auch bei Buffets oder Kantinen Menschen dahingehend nudgen, dass das vegetarische Essen zuerst präsentiert wird. Ich sehe da großes Potenzial.

Zur Person

Prof. Dr. Christina Gravert ist Verhaltensökonomin und Assistenzprofessorin an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Kopenhagen.

Foto: Lucy Navas

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