Foto: Privat

„Es gibt nicht die eine goldene Maßnahme”

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Britta Renner

Prof. Renner, Sie beschäftigen sich mit der Frage, wie Menschen zu gesünderem Verhalten motiviert werden können. Wodurch werden Verhaltensänderungen, beispielsweise im Bereich der Ernährung oder Bewegung, bestimmt?

Man kann grob zwischen zielgerichteter und unbewusster Verhaltensänderung unterscheiden. Zielgerichtet meint, dass die betreffende Person tatsächlich einen Vorsatz ausbildet – beispielsweise sich gesünder zu ernähren oder körperlich aktiver zu werden – und dann eben zielgerichtet und bewusst ihr Verhalten steuert. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn es einen gesundheitlichen Verbesserungswunsch gibt, aber auch ästhetische Ziele können Auslöser sein. Ein großer Teil unseres Verhaltens beruht jedoch auf unbewussten, unreflektierten Entscheidungen, die wir aus Gewohnheit treffen. Allein in Bezug auf das Ernährungsverhalten treffen wir rund 200 Entscheidungen am Tag – was wir essen, wie viel wir essen, wann, wo, mit wem, wie lange – Vieles davon läuft im Autopilot ab. Bei solchen Entscheidungen ist die Umgebung sehr stark entscheidend, sprich: Was ist verfügbar, erreichbar, bequem oder üblich? 

Wie beobachten und erforschen Sie Verhaltensänderungen im Gesundheitsbereich?

Dazu wenden wir eine breite Palette von Methoden an. Im Labor erforschen wir Ernährung unter kontrollierten Bedingungen. Wir können dort zum Beispiel ein Buffet mit Nahrungsmittelreplikaten aufbauen und deren Auswahl beobachten. Oder wir laden Testpersonen dazu ein, zusammen zu essen, und schauen uns an, wie sie ihr Verhalten aufeinander abstimmen. Die Versuche im Labor haben den Vorteil, dass man das gut standardisieren und leichter Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung erschließen kann, aber sie bieten natürlich nur einen zeitlich sehr begrenzten Blick auf das Ernährungsverhalten. Deshalb gehen wir auch ins Feld und machen sogenannte EMA-Untersuchungen, das steht für Ecological Momentary Assessment. Dabei statten wir die Testpersonen mit Geräten wie Smartphones und Aktivitätssensoren aus, um wirklich die ganze Verhaltenssituation im Moment der Entscheidung erforschen zu können. Zudem gibt es große Kohortenstudien, wie zum Beispiel die Konstanzer Life-Studie, bei der wir wiederholt verschiedene Parameter bei den Teilnehmenden abfragen und messen.

„Wir wollen Erfolgsmodelle identifizieren und sind nicht an Krankheiten interessiert, sondern an der Prävention bei gesunden Personen. Das ist das Besondere an der Konstanzer Life-Studie.“

Können Sie kurz zusammenfassen, worum es bei der Konstanzer Life-Studie geht?

Die Konstanzer Life-Studie ist eine längsschnittliche Kohortenstudie, also eine Studie, bei der die gleiche Messung an mehreren Zeitpunkten durchgeführt wird. Wir haben 2012 angefangen und wenn nicht gerade eine Pandemie dazwischen funkt, führen wir nun schon mehrere Jahre hintereinander Erhebungen mit rund 1000 bis 1200 Konstanzer Bürger*innen durch. Uns geht es darum, die funktionale Gesundheit in einer gesunden Population zu erfassen, also zu schauen, ob die Personen gesundheitlich in der Lage sind, das zu tun, was sie möchten. Wir wollen Erfolgsmodelle identifizieren und sind nicht an Krankheiten interessiert, sondern an der Prävention bei gesunden Personen. Das ist das Besondere an der Konstanzer Life-Studie. Wir fragen: Wie gelingt es Menschen, einen gesunden Lebensstil und Wohlbefinden aufrechtzuerhalten? Und wie verändert sich die funktionale Gesundheit über die Zeit? Dazu laden wir die Teilnehmenden in regelmäßigen Abständen ein, prüfen bestimmte Blutwerte, setzen sie auf Fahrradergometer, messen aber auch Muskelkraft und Balance – schauen uns also ganz unterschiedliche Aspekte an. Aktuell pausiert die Studie aufgrund von Corona, aber wir hoffen, dass wir spätestens im nächsten Frühjahr wieder durchstarten können. 

Mit welchen Methoden oder Interventionen können Menschen dazu bewegt werden, einen gesünderen Lebensstil zu pflegen?

Da gibt es sehr unterschiedliche Möglichkeiten und nicht die eine goldene Maßnahme, die bei allen funktioniert. Man kann zum einen mobile Technologien verwenden, die den großen Vorteil haben, dass sie tatsächlich in der Entscheidungssituation eingreifen können. Wir haben zum Beispiel im Rahmen des Projekts SMARTACT eine App entwickelt, mit der erfasst wird, was, wann und wie lange die Testpersonen essen. Über die App können wir genau dann intervenieren, wenn es für das Verhalten relevant ist, also direkt vor dem Essen, zum Beispiel mit kleinen Hinweisen. Momentan entwickelt sich sehr viel im Bereich der personalisierten Just-in-Time-Interventionen, die Verhaltensänderungen unterstützen können. Von großen Interventionsprogrammen, die auf Face-to-Face-Beratung beruhen, bis hin zu einer Veränderung der Umgebung im Rahmen von Nudging ist Vieles möglich. 

„Nudging bedeutet, dass ich diese Entscheidungsarchitektur in meiner Umwelt wirklich genau anschaue und versuche, sie so zu strukturieren, dass sie meine Präferenzen oder Ziele unterstützt.“

Wie unterscheidet sich die Nudging-Methode von anderen Interventionen?

Nudging ist ja ein sehr schillernder Begriff. In ihrem Buch „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt” haben Richard Thaler und Cass Sunstein einen wichtigen Gedanken formuliert, nämlich dass unsere Entscheidungsumgebung uns ja eigentlich schon Verhaltensoptionen als Standard nahelegt. Viele der Entscheidungen in unserem Alltag treffen wir aus Gewohnheit und häufig wählen wir dabei das, was gut sichtbar und leicht verfügbar ist. Nudging bedeutet, dass ich diese Entscheidungsarchitektur in meiner Umwelt wirklich genau anschaue und versuche, sie so zu strukturieren, dass sie meine Präferenzen oder Ziele unterstützt. Ein Beispiel dafür sind Portionsgrößen, beispielsweise für Softdrinks im Kino: Am häufigsten wählen wir das, was uns als erstes präsentiert wird. Da könnten wir also Nudging anwenden, indem wir eine kleinere Portionsgröße nach vorne stellen. Ganz wichtig ist, dass man immer noch die Wahlfreiheit hat, die anderen Optionen sind weiterhin verfügbar, aber eben vielleicht nicht ganz so präsent oder leicht erreichbar. 

Ist Nudging im Bereich der Gesundheitsförderung wirkungsvoll?

Wir haben immer mehr Studien und auch Metastudien, die zeigen, dass Nudging einen systematischen, erwünschten Effekt hat. Richtig langfristige Studien haben wir noch nicht, das liegt auch daran, dass Projekte immer nur eine gewisse Zeit lang laufen. Aber es gibt auf jeden Fall Hinweise, dass Nudging auch langfristig wirkt – da kommt es natürlich auf den Bereich an. Grundsätzlich braucht es aber einen Instrumentenmix: Es reicht nicht aus, Umgebungen zu schaffen, die es uns leichter machen, uns beispielsweise so zu ernähren, wie wir das möchten; es bedarf zum Beispiel auch personalisierter, möglichst digitaler Just-in-Time-Interventionen, physischer Interventionen und Beratung.

„Wenn die Ziele nicht transparent sind oder sich die Zielpräferenzen der Anwender*innen von denen der Genudgeten unterscheiden, wird es meiner Meinung nach problematisch.“

Gibt es Gründe, die gegen den Einsatz von Nudging im Gesundheitsbereich oder allgemein sprechen?

Nudging selbst ist eine Methode, und als solche aus meiner Sicht erstmal neutral. Es wird immer wieder diskutiert, ob Nudging Manipulation ist, aber es gibt auch immer mehr Befunde, die zeigen, dass Nudging auch funktioniert, wenn man es nicht verdeckt macht. Die Frage ist eher, für welche Ziele Nudging eingesetzt wird: Wenn die Ziele nicht transparent sind oder sich die Zielpräferenzen der Anwender*innen von denen der Genudgeten unterscheiden, wird es meiner Meinung nach problematisch. Nudging sollte den Verbraucher*innen tatsächlich nützen und ihren Wünschen entsprechen. Wir müssen einen gesellschaftlichen Diskussionsprozess anstoßen und schauen, wie wir unsere Umgebung gestalten wollen und welche Präferenzen und Ziele wir haben.

Zur Person

Prof. Dr. Britta Renner ist Professorin für Psychologische Diagnostik und Gesundheitspsychologie im Fachbereich Psychologie an der Universität Konstanz und leitet die Konstanzer Life-Studie.

Foto: Privat

Mehr zu dem Thema