„International ist der Ansatz inzwischen breit akzeptiert und integraler Teil vieler staatlicher Regierungen”, sagt Verhaltensökonomin Prof. Dr. Lucia Reisch von der Copenhagen Business School. Eine von der OECD veröffentlichte Karte listet weltweit mehr als 440 verhaltenswissenschaftliche Einheiten in Institutionen, Regierungen und Ministerien auf. Neben staatlichen „Nudging Units” wie in Belgien, Frankreich, Australien oder Mexiko existieren darüber hinaus auch eine Reihe solcher Units in internationalen Organisationen. „Bei den Vereinten Nationen oder der Weltbank ist das längst etabliert. Und auch in der WHO existiert seit einem Jahr eine Nudging-Einheit”, so Reisch.
Auch in der Europäischen Union finden verhaltenswissenschaftliche Ansätze längst Anwendung. Dr. Hendrik Bruns ist Teil des „Competence Centre on Behavioral Insights” des Joint Research Center (JRC) der Europäischen Kommission und erklärt die Schwerpunkte seiner Arbeit: „Ein Ziel ist es, Kenntnisse über Verhaltenswissenschaften in der Kommission zu erhöhen. Dafür helfen wir, die Erkenntnisse aus verhaltensökonomischen Studien zu verstehen und leisten vor allem den Transfer von der wissenschaftlichen Praxis in die jeweiligen Fachabteilungen.” Doch auch die Durchführung von Studien gehört zur Arbeit des „Competence Centre on Behavioral Insights”-Team. „Wir generieren unabhängiges Wissen zu Themen, die gerade in der Kommission aktuell und relevant sind. Denn in vielen Situationen reicht es nicht mehr, nur zu wissen, was die Bevölkerung denkt, sondern wir müssen auch wissen, inwieweit eine politische Entscheidung das Verhalten tatsächlich verändern würde”, so der Verhaltensökonom Bruns.
Konkrete Vorhaben, in denen Nudging Anwendung findet, seien aktuell in der Energieeffizienzrichtlinie, der Selbstverpflichtung im Klimapakt und der Überlegung zu einer besseren Darstellung des Mindesthaltbarkeitsdatums sichtbar. Zudem wurde am 1. März 2021 das europaweit geltende Energielabel angepasst. Die bisherige Unterteilung mit A+++, A++ und A+ wich einer Unterteilung von A bis G. „Verhaltenswissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass die Energieeffizienz mit der neuen Unterteilung deutlich verständlicher dargestellt wird”, sagt Bruns. „Auch wenn es erstmal wie eine reine Informationsvermittlung aussieht – solch ein Label ist auch ein wirksamer Nudge.”