Der Bundestag hat entschieden. Bei der mit Spannung erwarteten Debatte hat der Bundestag zwar für eine Neuregelung der Organspende gestimmt, allerdings die Einführung der tiefgreifenderen Widerspruchsregelung abgelehnt. Zur Wahl stand nicht nur die Widerspruchsregelung, sondern auch die Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der erweiterten Zustimmungslösung. Zwei verschiedene, konkurrierende Ansätze, die in den letzten Monaten ausgearbeitet und viel diskutiert wurden.
Bei der Abstimmung wurde die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eingebrachte Widerspruchsregelung zunächst von der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten abgelehnt Bei 379 Gegenstimmen sprachen sich nur 292 Abgeordnete für die Widerspruchsregelung aus. Direkt daran anschließend stimmten immerhin 432 Abgeordnete für die erweiterte Zustimmungslösung, nur 200 Abgeordnete stimmten gegen den Gesetzentwurf. Der unter anderem von Annalena Baerbock initiierte Vorschlag sieht vor, dass jeder Bürger nun bei jeder Erneuerung des Personalausweises und in regelmäßigen Abständen von den Hausärzten auf das Thema Organspende hingewiesen werden. Grundsätzlich bleibt es aber dabei, dass nur Personen, die sich bewusst für eine Organspende entscheiden auch zum Organspender nach dem Tod werden kann.
Die Abstimmung war deswegen mit Spannung erwartet worden, weil die Abgeordneten ohne Fraktionszwänge entscheiden sollten. Wie bei ethischen Themen üblich, entschieden die Abgeordneten nach der etwa zweistündigen Debatte nur nach ihrem Gewissen. Bereits während der Debatte war die Bedeutung der Abstimmung zu spüren, viele der Redebeiträge der Abgeordneten waren emotional, berichteten über Schicksale Betroffener und appellierten an die Verantwortung der Entscheidung. Jens Spahn bezeichnete die Widerspruchslösung in der Debatte als eine „Zumutung“, die aber Menschenleben rette. Annalena Baerbock betonte hingegen, die Tragweite der Entscheidung: „Wir stimmen heute auch darüber ab, wem gehört der Mensch“.
Von Wissenschaftlern wurde die Entscheidung unterschiedlich aufgenommen. Der Arzt und Medizinethiker Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann an der Ruhr-Universität Bochum begrüßt die Entscheidung: “Der Beschluss des Bundestags bedeutet vor allem, dass er die Idee der Spende als selbstbestimmte und aktive Gabe ernst nimmt, so wie wir das in allen Lebensbereichen unseres gesellschaftlichen ganz selbstverständlich tun. Diese ethischen Spielregeln gelten genauso auch für die Hightech-Medizin am Beispiel der Transplantationsmedizin.”
Dr. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) begrüßte beide Gesetzesinitiativen. „Beide Gesetzesvorschläge stellen die Autonomie der Patienten und die Aufklärung in den Vordergrund und unterstützen damit das Selbstbestimmungsrecht der Bürger und die Entscheidungsfindung des Einzelnen.“ Bezogen auf die heutige Entscheidung sagt er: „Auch kleine Schritte können zum Erfolg führen, wenn wir uns auch für die Patienten auf den Wartelisten den großen, konsequenten Schritt in Richtung Widerspruchslösung gewünscht hätten.“
Vollmann begrüßt hingegen, dass die Abgeordneten sich im Bundestag letztlich recht eindeutig gegen die Widerspruchsregelung ausgesprochen haben. “Schaut man auf die heutigen Abstimmungen, sieht man, dass es relativ eindeutige Mehrheiten sind, die Abstimmungen verliefen alles andere als knapp. Das hat mich etwas überrascht, aber es ist für mich auch ein Zeichen von funktionierender Demokratie. Denn mit einer eventuell sehr knappen Mehrheit im Bundestag die Widerspruchsregelung einzuführen und damit die bioethische Normalität in Deutschland zu verändern, hätte ich für sehr problematisch gehalten.”
Beide Experten sehen hingegen den Schlüssel zu einer höheren Spendenbereitschaft weniger in der heute beschlossenen Gesetzesänderung, als in den strukturellen Maßnahmen. Diese wurden mit der Änderung des Transplantationsgesetzes zum 1.April 2019 angepasst und sollen nun gemeinsam mit den Krankenhäusern umgesetzt werden. „Der Weg ist geebnet, jetzt müssen wir ihn zügig und konsequent gemeinsam gehen”, sagt Rahmel. Damit die Zahl der gespendeten Organe in Zukunft steigt und so mehr Menschen das Leben gerettet werden kann.