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Wann ist tot eigentlich tot?

Die ethische Diskussion um Hirntod und Organspende

Mit einer Organspende kann man nach dem eigenen Tod das Leben eines anderen Menschen retten. Trotzdem sind viele Menschen nicht dazu bereit. Die Gründe sind vielfältig, eine entscheidende Rolle scheinen aber fehlendes Vertrauen und Angst um den eigenen Tod zu spielen. „Für die Bevölkerung ist vor allem die Frage zentral, ob die lebenserhaltenden Maßnahmen schon früher abgebrochen werden, wenn bekannt ist, dass man Organspender ist”, sagt Prof. Dr. Bruno Meiser, Leiter des Transplantationszentrum München und Präsident der Stiftung Eurotransplant.

„Die Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung, dass die Ärzte eine noch erfolgversprechende Behandlung abbrechen, sind unbegründet.“

Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann, Ruhr-Universität Bochum

Für diese Bedenken gibt es zumindest aus wissenschaftlicher Sicht keine Gründe: „Die Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung, dass die Ärzte eine noch erfolgversprechende Behandlung abbrechen, sind unbegründet”, sagt Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann, Leiter des Instituts für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin an der Ruhr-Universität Bochum. „Wenn ein Patient Organspender ist, wird eine intensivmedizinische Versorgung sogar länger aufrecht gehalten, weil sie dazu dient, die Funktion der Organe künstlich am Leben zu halten.”

Grundsätzlich darf die Organspende in Deutschland überhaupt nur dann durchgeführt werden, wenn der Hirntod zweifelsfrei festgestellt wurde – so regelt es das Transplantationsgesetz. Dabei ist der Hirntod der irreversible, also der unumkehrbare Ausfall der gesamten Hirnfunktionen. Verursacht durch eine schwere Hirnschädigung und der fehlenden Sauerstoffversorgung aller Teile des Gehirns – Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm. Die Folge: Sämtliche lebenserhaltende Funktionen, die Atmung, das Bewusstsein und Sinneswahrnehmungen finden nicht mehr statt. „Bei einem Hirntod ist es ausgeschlossen, dass jemand je wieder erwacht”, sagt Prof. Dr. Silke Schicktanz vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen.

„In der Praxis führt das sogar eher dazu, dass viele potentielle Organspender gar nicht durch die Krankenhäuser gemeldet werden.“

Prof. Dr. Bruno Meiser, Leiter des Transplantationszentrum München und Präsident der Stiftung Eurotransplant

„Die Anforderungen für die Hirntod-Diagnostik sind sehr hoch und wurden durch eine neue Richtlinie der Bundesärztekammer noch einmal verschärft”, sagt Meiser. So müssen heutzutage zwei erfahrene Ärzte unabhängig voneinander innerhalb von mindestens zwölf Stunden den Hirntod des Patienten eindeutig feststellen. „In der Praxis führt das sogar eher dazu, dass viele potentielle Organspender gar nicht durch die Krankenhäuser gemeldet werden, weil sie das entsprechende Fachpersonal nicht vor Ort haben, um den Hirntod festzustellen”.

Obwohl die Diagnostik des Hirntod-Kriteriums wissenschaftlich unstrittig ist, bestehen Sorgen in der Bevölkerung fort. Auch, weil der Hirntod für einen Laien schwer zu erkennen ist. Erleidet eine Person den Hirntod, hat sie – sofern weiter künstlich beatmet wird – aber weiterhin eine normale Hautfarbe und der Brustkorb hebt und senkt sich.

„Nach meiner Auffassung ist der Hirntod keine hinreichende Bedingung für den Tod des Menschen.”

Prof. Dr. Wolfram Höfling, Universität zu Köln

Aber ist man tatsächlich tot, wenn das Gehirn zwar in seinen Funktionen ausfällt, die restlichen Organe aber zumindest noch künstlich „am Leben” gehalten werden? „Unter Ethikern und Philosophen gibt es eine große Diskussion darüber, ob der Hirntod unmittelbar mit dem Tod eines Menschen gleichzusetzen ist”, sagt Schicktanz. Das insbesondere, wenn man das Sterben als einen Prozess betrachtet. Denn erst mit Fortschreiten des Sterbens kommt es immer mehr zum Zerfall der Körperzellen. „Nach meiner Auffassung, die von einem großen Teil der deutschen Verfassungsrechtslehre geteilt wird, ist der Hirntod keine hinreichende Bedingung für den Tod des Menschen”, sagt Prof. Dr. Wolfram Höfling, Direktor des Instituts für Staatsrecht an der Universität zu Köln.

„Für ein Versterben gibt es immer zwei Gründe: Entweder der irreversible Ausfall des Gehirns oder der irreversible Ausfall des Herz-Kreislauf-Systems. Das eine bedingt aber immer das andere.“

Prof. Dr. Bruno Meiser, Leiter des Transplantationszentrum München und Präsident der Stiftung Eurotransplant

Auch der Deutsche Ethikrat, in dem Höfling Mitglied ist, hat sich 2015 intensiv mit dem Hirntod beschäftigt. In der Stellungnahme wird zum einen deutlich, dass der Hirntod ein sicheres Todeszeichen ist, andererseits wird teilweise bezweifelt, dass der Hirntod mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen ist. Der Deutsche Ethikrat ist aber einstimmig der Auffassung, dass die Organentnahme mit Vorliegen des Hirntods zulässig ist. „Für die betroffenen Patienten”, betont Vollmann „hat die wissenschaftliche Diskussion über den Hirntod und die Grenze zwischen Leben und Tod aber keine praktische Relevanz”. Silke Schicktanz fordert deshalb „maximale öffentliche Transparenz über den Hirntod und seine Diagnostik, um die Bedenken in der Bevölkerung auszuräumen.”

Bedenken, die wohl noch deutlich stärker wären, wenn in Deutschland eine ähnliche Situation, wie in vielen anderen europäischen Ländern herrschen würde. Dort ist sogar die Organentnahme nach dem Herzstillstand („Non-Heart-beating-Donation”) schon vor Feststellung des Hirntods möglich. Nach Herzstillstand und dem Warten von fünf bis zehn Minuten, können dann die Organe entnommen werden, weil man aus medizinischer Sicht weiß, dass der Hirntod ebenfalls eingetreten ist. Weil ein Herzstillstand deutlich häufiger als der diagnostizierte Hirntod auftritt, können dadurch auch deutlich mehr Organe gespendet werden. Herzchirurg Meiser würde eine solche Regelung auch in Deutschland begrüßen: „Für ein Versterben gibt es immer zwei Gründe: Entweder der irreversible Ausfall des Gehirns oder der irreversible Ausfall des Herz-Kreislauf-Systems. Das eine bedingt aber immer das andere. Ich bin daher der Meinung, dass man das Herztod-Kriterium auch für Deutschland diskutieren sollte.”

Höfling macht hingegen deutlich: „Der sogenannte Herztod ist nach geltendem Recht keine hinreichende Bedingung für eine Organentnahme.” Und auch der Deutsche Ethikrat hat eine Organspende nach dem Herztod ausgeschlossen – insbesondere deshalb, weil die Grenze zwischen Wiederbeleben des Patienten und Entnahme seiner  Organe nicht mehr eindeutig sei. Für das Vertrauen der Bevölkerung in die Transplantationsmedizin ist diese Trennung aber wesentlich.

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