Foto: Schmidt-Dominé

„Es braucht neue Anreizsysteme“

Ein Gespräch mit Dr. Annika Herr

Warum sind die Spenderzahlen in Deutschland so gering?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Es liegt wohl nicht an der Bereitschaft zur Organspende, zumindest deuten die Umfragen darauf hin, dass diese da ist. Das Problem ist vielmehr, dass sich die Leute nicht als Organspender registrieren lassen. Einer der Gründe ist, dass viele sich nicht damit beschäftigen wollen und man es in Deutschland auch nicht muss. Man bekommt zwar die Informationen, aber es ist nicht so, dass das Thema sehr präsent ist. Deshalb braucht es neue Anreizsysteme.

Was für Anreizsysteme könnten das sein?

Der ganz extreme Schritt ist der hin zu einem Opt-Out-System, wie es die Holländer gerade entschieden haben. Verbunden natürlich mit riesigen Informationskampagnen, wie sie dort nun starten, bevor das neue System 2020 in Kraft tritt. Das ist allerdings der Extremfall und in Deutschland eher nicht vorstellbar, weil das Recht auf Selbstbestimmung bei uns so wichtig ist und auch von der Politik stark in den Vordergrund gestellt wird. Eine andere Variante, die ich auch befürworte, ist die Prioritätsregelung. Danach erhalten Kranke schneller ein Spenderorgan, wenn sie ihrerseits als Organspender registriert sind. Das ließe sich relativ problemlos umsetzen, weil die Organvergabe einer Punkteskala folgt. Auf dieser würde man dann durch die Registrierung als Spender Bonuspunkte bekommen.

„Es ist auch nicht fairer, wenn ich – aus welchem Grund auch immer – keine Organe spenden möchte, aber trotzdem die gleiche Chance habe, Organe zu bekommen“

Spricht gegen ein solches System etwas?

Die Ethikkommission sieht das kritisch, weil das Gesundheitssystem gleichen Zugang für alle garantiert und es nicht fair sei, wenn keine Informationsgleichheit gilt. Aus meiner Sicht würde dies durch die Begleitung eines solchen Wechsels mit einer Informationskampagne aufgefangen werden. Außerdem ist es auch nicht fairer, wenn ich – aus welchem Grund auch immer – keine Organe spenden möchte, aber trotzdem die gleiche Chance habe, Organe zu bekommen, wie die Menschen, die spenden wollen.

Gibt es Belege dafür, dass ein solches System funktionieren könnte?

Wir konnten im computergestützten Laborversuch mit 384 Teilnehmern zeigen, dass bereits eine geringfügige Belohnung – also ein paar Punkte auf der Skala – zu einer höheren Registrierungsrate führt. Der Versuch führt über komplexe Computersimulationen mit mehreren Phasen, Spielern und Durchgängen, wo unterschiedliche Situationen getestet werden. Dabei reichen schon wenige Belohnungspunkte, um die Registrierungsbereitschaft signifikant zu steigern.

Würde ein finanzieller Anreiz nicht noch mehr Erfolg versprechen?

Aus den USA gibt es Beispiele, in denen versucht wird einen finanziellen Anreiz für das Ausfüllen des Organspendeausweises zu setzen, aber die Statistiken zeigen nicht klar, dass das erfolgreich ist. Finanzielle Anreize für die Spende selbst zu setzen, also Organhandel zu betreiben, ist hingegen auf keinen Fall eine gute Idee und es gibt internationale Gesetze die dies untersagen. Diese gibt es aus meiner Sicht zurecht und da sollten wir strikt bleiben, schließlich droht sonst die Gefahr, dass die Notlage von Menschen ausgenutzt wird.

„Wir brauchen aus meiner Sicht dringend ein zentrales, digitalisiertes Register, was abrufbar sein muss, wenn der Hirntod festgestellt wurde.“

Welche anderen Gründe für den Mangel an Organen sehen Sie?

Ich glaube, dass es da noch eine ganze Reihe gibt, die eng mit dem Transplantationsskandal verbunden sind. Aus den Krankenhäusern werden seit den Skandalen ab 2011 weniger Organspender gemeldet als vor dem Skandal. Warum das so ist, weiß man nicht genau. Einer der Gründe könnte darin liegen, dass es aufwendig ist die Familien von der Organspende zu überzeugen, wenn kein Ausweis vorhanden ist. Das ist sicherlich schwieriger geworden durch die Skandale und die herrschenden Vorurteile und so werden dann weniger Organspender gemeldet.

Außerdem vermute ich, dass seit es das Transplantationsgesetz gibt, das hohe (und wichtige) Anforderungen an die Feststellung des Todes und den gesamten Prozess stellt, der Prozess schlichtweg teurer geworden. Außerdem brauchen wir aus meiner Sicht dringend ein zentrales, digitalisiertes Register, was abrufbar sein muss, wenn der Hirntod festgestellt wurde. Sowas gibt es in Deutschland bisher nicht und es würde die Arbeit auf allen Ebenen erleichtern.

Die mangelnde Bereitschaft hat also durchaus auch etwas mit den Skandalen zu tun?

Auf jeden Fall. Es ist viel Vertrauen verloren gegangen und dieses muss nun mühsam wieder aufgebaut werden. Deshalb braucht es eine Mischung aus einer besseren Aufarbeitung der Skandale, kombiniert mit einem neuen Anreizsystem und einer Informationskampagne. Es zeigt sich immer wieder, dass wir zu wenig über Organspende wissen und uns zu wenig mit dem Thema auseinandersetzen, zumindest hier in Deutschland. Auch andere Länder zeigen, dass die Veränderung nur einer Komponente nicht wirklich nachhaltigen Erfolg verspricht.

In Spanien – das europaweit führend bei den Organspenden ist – haben sie beispielsweise das Opt-Out-System zehn Jahre bevor es überhaupt merkliche Änderungen im Verhalten gab eingeführt. Den richtigen Anstieg gab es dann erst, als Informationskampagnen gestartet wurden und viel Geld in die Auseinandersetzung mit dem Thema investiert wurde. Dort gibt es beispielsweise in jedem Krankenhaus speziell ausgebildete, hauptamtliche Spezialisten, die die Organspende verantworten. Das hilft enorm, bildet Vertrauen und entlastet die einzelnen Ärzte.

Zur Person

Dr. Annika Herr ist Juniorprofessorin für VWL mit Schwerpunkt Gesundheitsökonomie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

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