Foto: BzgA / Reinhard Rosendahl

„Für den Organmangel gibt es keine Lösung.“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann

Warum gibt es in Deutschland so wenige Organspender?

Die Spenderzahlen sind insbesondere deshalb so gering, weil mögliche Spender durch die Krankenhäuser nicht gemeldet werden. Die Transplantationsmedizin befindet sich im Vergleich zu anderen Bereichen der Medizin in einem priviligierten Bereich. Denn wir haben eine Überausstattung an Transplantationszentren. Auf der anderen Seite sollen Krankenhäuser mögliche Organspender melden. Sie sind dabei mit dem gesamten Prozess von der Feststellung des Hirntods, der Kommunikation mit den Angehörigen und der Entnahme der Organe betraut. Das ist für die betroffene Krankenhäuser finanziell ein Zuschussgeschäft und zwischenmenschlich und institutionell unattraktiv.

„Die Wahrscheinlichkeit des Hintods liegt bei etwa 1:1000“

Wie könnte die Situation in den Krankenhäusern verbessert werden?

Wenn man Anreize setzt, muss man sie dort setzen, wo auch die knappe Ressource ist – also bei den entnehmenden Krankenhäusern. Und das findet in unserem Gesundheitssystem gegenwärtig nicht ausreichend statt. Es braucht  freigestellte Transplantationsbeauftragte, die diese Aufgaben während der bezahlten Arbeit mit voller Priorität erledigen können. Bayern hat diesen Schritt schon vollzogen und hatte entgegen des Bundestrends eine positive Entwicklung der Spenderzahlen. Hamburg plant ähnliches. Dazu müssen sie in den Teams der Krankenhäuser eine Kultur der Organspende, im Sinne von mehr Selbstverständlichkeit und Wertschätzung schaffen, auch wenn die Organentnahme für alle Beteiligten belastend ist.

Einer der Gründe, der häufig angeführt wird, wenn Menschen sagen, sie wollen nicht spenden, ist die Angst vor Missbrauch. Wie begründet sind diese Sorgen und Ängste?

Die Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung, Ärzte würden eine noch erfolgversprechende Behandlung abbrechen, sind unbegründet. Denn für das betreffende Krankenhaus besteht ja überhaupt kein Anreiz – ganz im Gegenteil. Zudem gibt es klar festgelegte diagnostische Tests, um den irreversiblen Ausfall der Gehirnfunktion festzustellen. Allerdings gibt es innerhalb der Wissenschaft einen Diskurs darüber, wann ein Mensch wirklich tot ist. Für potentielle Spender hat dieser wissenschaftliche Streit aber keine praktische Relevanz.

Aus meiner Sicht ist die geringe Spendenbereitschaft eher darauf zurückzuführen, dass das Thema keine akute Relevanz für das Leben der Bürger hat und man sich stark mit dem psychologisch belastenden Thema Tod beschäftigen muss. Die Wahrscheinlichkeit des Hintods liegt bei etwa 1:1000, wieso sollten sich die Menschen also mit etwas beschäftigen, was sehr unwahrscheinlich eintritt?

„Eine Spende zeichnet sich durch ein aktives und freiwilliges Tun aus, nicht durch eine automatische gesellschaftliche Entnahmeregelung – und das in einem höchst persönlichen Bereich!“

Wie könnte man einen sinnvollen Anreiz schaffen, um die Spendebereitschaft zu erhöhen?

Man sollte die Organspende nicht isoliert betrachten, sondern als Teil der vorausschauenden Gestaltung des Lebensendes (“advanced car planning”) verstehen und kommunizieren. Wir alle werden eines Tages sterben, so dass die Planung der medizinischen Behandlung am Lebensende eine hohe lebenspraktische Relevanz hat. In Deutschland bestehen dazu Möglichkeiten in Form von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten. Doch diesen liberalen und bürgerfreundlichen rechtlichen Regelungen steht ein völlig unzureichendes Beratungsangebot gegenüber, so dass viele Bürger diese Chancen nicht nutzen oder inhaltlich unbrauchbare Verfügungen verfassen. Es fehlt an qualifizierten und flächendeckend zugänglichen Beratungsangeboten, Personal und Finanzierung. Hier fehlt es an politischer Priorität, obwohl hierdurch die individuelle Gestaltung des Lebensendes mit der Frage der Organspende glaubwürdig und praktikabel verbunden werden könnte. Stattdessen werden seit Jahrzehnten hohe öffentliche Mittel in die einseitige Organspendekampagnen investiert – bekanntlich ohne den erhofften Erfolg.

Könnten neue rechtliche Regelungen dabei helfen?

Eine neue gesetzliche Regelung löst das Problem der mangelnden Meldebereitschaft der Krankenhäuser nicht. Überhaupt ist die Widerspruchsregelung eine Kapitulationserklärung vor der moralisch hochwertigen Idee einer Spende. Die Strategie, die Passivität der Bürger als eine grundsaätzliche Zustimmung zu einer Organentnahme zu werten, der jeder einzelne aktiv widersprechen müsste, überzeugt mich nicht. Eine Spende zeichnet sich durch ein aktives und freiwilliges Tun aus, nicht durch eine automatische gesellschaftliche Entnahmeregelung – und das in einem höchst persönlichen Bereich!

Leider gibt es gegenwärtig vermehrt Tendenzen nicht auf die selbstbestimmte Entscheidung und Lebensführung des Einzelnen zu setzen, sondern auf gesellschaftliche Bevormundungsregelungen. Das gilt nicht nur für die Diskussion über die Widerspruchsregelung, sondern findet sich auch in anderen bioethischen Debatten wie der Forschungsethik, Datenschutz und der ärztlich unterstützten Selbsttötung eines selbstbestimmungsfähigen Patienten.

„Zu glauben, dass mittels weniger rechtlicher oder institutioneller Anpassungen eine Lösung herbeigeführt werden könnte, ist unrealistisch und irreführend.“

Der Organmangel könnte also auch durch eine gesetzliche Widerspruchsregelung nicht gelöst werden?

Auch eine neue rechtliche Regelung würde das Missverhältnis zwischen vorhandenen Spenderorganen und häufigerer medizinischen Indikationsstellung zur Organtransplantation nicht beseitigen, wohl aber lindern. Beim „Organmangel” wird häufig nur an die zu geringen Spenderzahlen gedacht, aber nicht an die gestiegenen medizinischen Möglichkeiten der Transplantationsmedizin. In keinem Land gibt es so viele Organspenden, wie es Bedarf in der Transplantationsmedizin gibt. Dank der modernen Transplantationsmedizin gibt es immer mehr Situationen, in denen erfolgreich Organe transplantiert werden können. Gleichzeitig hat sich aber die Anzahl der zu Verfügung stehender Organe nicht erheblich vergrößert. Der Organmangel also nur auf die Spender zu reduzieren, wäre nicht zielführend. Zu glauben, dass mittels weniger rechtlicher oder institutioneller Anpassungen eine Lösung herbeigeführt werden könnte, ist unrealistisch und irreführend.

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