Foto: James Anderson/flickr

Organe aus der Petrischale

Können wir unsere Organe bald selbst herstellen?

Wenn die Organe eines Menschen versagen, gibt es derzeit nur eine Möglichkeit sein Leben zu retten: Eine Organspende von einem anderen Menschen. Jedoch übersteigt die Zahl der benötigten Organe die Zahl der Spenderorgane bei Weitem, weshalb die Hoffnung auf eine erfolgreiche Spende gering ist. Deshalb suchen Wissenschaftler intensiv nach Alternativen zur Spende von Mensch zu Mensch.

Eine Alternative an der bereits seit Jahren geforscht wird, ist die Xenotransplantation. Bei dieser setzt man tierische Organe in den menschlichen Körper ein. Jedoch wirft das ethische Bedenken auf, da dem Menschen die Organe genetisch modifizierter Schweine transplantiert werden und die Tiere dafür sterben müssen. Ein Dorn im Auge vieler Tierschützer und Ethiker. Auch aufgrund dieser Bedenken gewinnt eine andere Methode zunehmend an Bedeutung: das Tissue Engineering. Damit bezeichnet man die künstliche Herstellung von Gewebe oder ganzen Organen aus körpereigenen Zellen.

„Wenn Tissue Engineering für Organe wie zum Beispiel das Herz irgendwann mal funktionieren sollte, wäre es natürlich die ideale Alternative zur Organspende.

Prof. Dr. Angelika Schnieke, Technische Universität München

Bisher ist es noch nicht möglich, ganze Organe auf diese Art und Weise herzustellen. Allerdings gibt es eine ganze Reihe von Entwicklungen, die zumindest Hoffnung machen, dass der Weg zum künstlichen Organ nicht mehr sehr weit ist. So werden künstlich hergestellte Knorpeltransplantate bereits seit rund zwölf Jahren genutzt, um Gelenkschäden an Knie und Hüfte zu beheben. „Wir können die Schäden mit körpereigenem Gewebe beheben“, sagt Prof. Dr. Michael Sittinger vom Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien. „Unsere Zelltransplantate basieren dabei auf Gewebezellen aus dem Knorpel oder der Knochenhaut des Patienten. Diese Zellen werden herangezüchtet und können dann als Ganzes transplantiert werden.”

Auch im Bereich der Herzchirurgie gibt es erste Erfolgsmeldungen. So ist es einem Team um Dr. Svenja Hinderer vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen-und Bioverfahrenstechnik gelungen, eine künstliche Herzklappe herzustellen, die im Verlauf des Lebens mitwächst. Ein entscheidender Fortschritt, denn dies ist bei herkömmlichen Schweine- oder Rinderherzklappen nicht möglich. Bis die mitwachsenden Herzklappen Eingang in den medizinischen Alltag finden, ist es allerdings noch ein weiter Weg: „Im Moment versuchen wir Gelder zu bekommen, um größere Tierstudien durchzuführen und danach könnten wir erst in die klinische Phase gehen. Man kann aber schwer sagen, wie lange es wohl dauern wird. Sicherlich aber noch mindestens zehn Jahre, denn der Prozess zur klinischen Anwendung zu gelangen ist lang und kostenintensiv”, sagt Hinderer.

„Im Moment gelingt es uns, Nieren im Labor herzustellen, welche die richtige anatomische Struktur und Funktionsweise haben.

Prof. Dr. Jamie Davies, University of Edinburgh

In noch weiterer Ferne sieht Hinderer die Züchtung eines ganzen Herzens: „Ein Herz ist unheimlich komplex und wir haben ganz viele biologische Hintergründe noch nicht richtig verstanden. Wir müssen erst verstehen, welche Zellen mit was interagieren, um das auch sicher nachbauen zu können.”

Bei anderen Organen ist man schon einen Schritt weiter. So gelang es einem Team von Forschern an der University of Edinburgh beispielsweise Nierenorganoide in Zellkultur heran zu züchten. „Im Moment gelingt es uns, Nieren im Labor herzustellen, welche die richtige anatomische Struktur und Funktionsweise haben”, sagt Prof. Dr. Jamie Davies, Leiter der am Centre of Discovery Brain Sciences durchgeführten Forschungsarbeiten. Er und seine Kollegen nutzen zu diesem Zweck reprogrammierte Stammzellen. Zellen also, die sich bereits zu einer bestimmten Zellart herausgebildet hatten, aber zurück zu ihrem Ausgangsstatus als Stammzelle entwickelt werden. Diese Stammzellen werden anschließend mithilfe chemischer Signale so manipuliert, dass sie eine Niere bilden. „Allerdings sind die Nieren momentan bei Weitem noch nicht groß genug, um ein Tier oder gar einen Menschen am Leben zu halten. Außerdem ist die Nutzung von reprogrammierten Stammzellen momentan noch sehr unsicher”, sagt Davies.

„Man sollte weiterhin zur Organspende aufrufen, denn so schnell werden wir das Problem nicht lösen“

Dr. Svenja Hinderer, Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik

Obwohl es noch ein weiter Weg ist, bis man mit künstlichen Organen tatsächlich Leben rettet, haben die gezüchteten Organoide bereits jetzt ein großes medizinisches Potenzial – und zwar als Testsysteme für Medikamente. „Unsere kleinen Nieren sind schon jetzt gut geeignet, um die Toxizität von Medikamenten zu erkennen.“ sagt Davies. „Da ein Fünftel der Nierenschäden bei Menschen über 60 Jahren von Medikamenten verursacht wird, sehen wir großes Potenzial mithilfe der gezüchteten Nieren neue Medikamente entwickeln zu können, die keine Nierenschäden verursachen. Dann bräuchten wir in Zukunft weniger Spendernieren.” Auch Svenja Hinderer sieht in diesem Bereich derzeit das größte Potenzial für künstlich hergestellte Organe und Gewebezellen: „Wenn wir Organe bereits auf ganz kleiner Struktur nachbilden können, haben wir die Möglichkeit, diese als Testsysteme für Medikamente  einzusetzen oder als Modelle um Krankheiten zu untersuchen. Dadurch können wir Medikamente direkt an menschlichen Zellen testen und bräuchten dafür keine Tierversuche.“

Allein wegen der pharmazeutischen Anwendung, der bereits klinisch angewendeten, zellbasierten Produkte, und durch die Perspektive, langfristig dem Organmangel entgegenzutreten, ist das große Potenzial des Tissue Engineering unbestritten. Eine Lösung für den akuten Organmangel in Deutschland ist es aber momentan noch nicht: „Dass künstliche Organe irgendwann die Organspende ersetzen, halte ich für möglich, aber das wird vermutlich noch Jahrzehnte dauern”, sagt Sittinger. Und auch Hinderer betont: „Man sollte weiterhin zur Organspende aufrufen, denn so schnell werden wir das Problem nicht lösen“.

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