Milchsee, Butterberg – Plastikinsel? Europa und der Kunststoffmüll

Einschätzungen zur neuen EU-Richtlinie

Europas Kampf gegen den Plastikmüll begann mit einer kuriosen Pressekonferenz. Die europäische Bevölkerung müsse keine Bedenken haben, sich in Zukunft nicht mehr ihre Ohren säubern zu können, sagte Frans Timmermans, Vizepräsident der Europäischen Kommission, als er im Mai dieses Jahres die Grundpfeiler einer neuen EU-Richtlinie erklärte – „oder was auch immer Sie gerne mit Wattestäbchen anstellen.”

Was scherzhaft begann, ist die Antwort auf ernste Vorgänge. Jährlich werden in Europa 25,8 Millionen Tonnen Kunststoffmüll produziert, wovon 70 Prozent auf Mülldeponien landen oder verbrannt werden – thermische Verwertung heißt das in der Fachsprache. Nur 30 Prozent werden hingegen für eine Wiederverwertung gesammelt. Hiervon wird allerdings ein „signifikanter Anteil“ in Drittstaaten exportiert, deren Sorgfalt beim Thema Müllentsorgung teils fraglich ist. Der weitaus größte Anteil landet in China. Doch das Land hat die Einfuhr von vermischtem Kunststoffmüll seit Jahresanfang stark eingeschränkt. Eine aktuelle Studie zeigt, welch verheerende Folgen das für Europas Müllmanagement haben könnte. Wohin nun mit dem ganzen Plastik?

Auch deshalb plant die EU-Kommission konkrete Maßnahmen. Zunächst sieht ihr Papier ein Verbot von kleineren Einwegartikeln vor. Produkte wie Plastikbesteck, Trinkhalme oder Rührstäbchen, für die es bereits jetzt sinnvolle Alternativen gibt, sollen vollständig verschwinden. Ein Ansatz, auf den sich die mediale Aufmerksamkeit fokussierte, obwohl es gar nicht um den Schutz der Meere geht: „Das primäre Ziel hierbei ist weniger, die Ozeane von Plastikmüll zu befreien, als Europas Strände sauber zu kriegen“, sagt Dr. Henning Wilts, Leiter des Forschungsbereichs Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut. „Diese Produkte machen vom gesamten Kunststoffverbrauch maximal ein Prozent aus. Somit werden die Verbote vielleicht die Strände entlasten – am Gesamtsystem werden sie aber nichts ändern.“

 

 

Doch die Verbote sind aus Expertensicht nicht die wichtigsten Punkte des Vorschlags. „Der für die Umwelt viel entscheidendere Punkt ist das Ziel, 90 Prozent der Kunststoff-Getränkeflaschen in der gesamten EU zu sammeln“, sagt Dr. Georg Mehlhart vom Fachbereich Ressourcen des Öko-Instituts in Darmstadt. Da die Recyclingquoten für PET-Flaschen in Europa teilweise auf niedrigem Niveau stagnieren, will die Kommission die Länder ab 2025 zu festen Sammelzielen verpflichten. „Das ist ein wichtiges regulatives Signal, um die Länder zu Pfandsystemen zu bewegen“, sagt Mehlhart.

Die konkrete Ausgestaltung bleibt jedoch den Mitgliedsstaaten überlassen. „Da hat man den Ländern zu viel Spielraum gelassen“, sagt Wilts. Denn gerade kleinere Plastikflaschen seien weltweit eins der größten Umweltprobleme. Ihr Verbleib liegt weiterhin im Aufgabenbereich der einzelnen Länder. „Ich hätte mir eine europäische Lösung gewünscht, also ein einheitliches Pfandsystem für die gesamte EU. Stattdessen hat man sich auf eine Minimallösung verständigt und die Verantwortung auf die Länder abgewälzt“, sagt Wilts.

Neben dem Verbot einiger Einweg-Produkte und dem Sammelziel für PET-Flaschen plant die Kommission allerdings noch einen weiteren Schritt: Nach ihrem Willen sollen die Hersteller von Kunststoffprodukten zukünftig stärker an den Kosten der Entsorgung beteiligt werden. Somit würden beispielsweise Verpackungshersteller höhere finanzielle Belastungen tragen müssen. „Die Idee des Instruments ist, einen Anreiz für den Hersteller zu setzen, damit er das Recycling bereits beim Produktdesign berücksichtigt“, sagt Wilts. Wenn Produzenten die Kosten der Verwertung tragen, steigt ansonsten der Produktpreis und liegt so näher an der ökologischen Wahrheit. Jedoch: Wie genau die Produzentenhaftung funktionieren soll, ist noch unklar. „Eine effektive Herstellerverantwortung kann nur auf europäischer Ebene funktionieren – die unterschiedlichen Umsetzungen von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat sind eines der zentralen Hemmnisse, um am Ende recyclingfähige Produkte zu bekommen“, erklärt Wilts.

„Es müsste endlich konkrete Reduzierungsziele geben, ansonsten hilft uns das Recycling überhaupt nicht.“

Dr. Henning Wilts, Wuppertal Institut

Ihm gehen die Vorschläge der EU-Kommission nicht weit genug: „Es müssen endlich Anreize dafür gesetzt werden, Kunststoff effizienter einzusetzen und insgesamt weniger Ressourcen zu verwenden.“ Schließlich wächst die Menge an hergestelltem Plastik Studien zufolge ungebremst: In den nächsten 20 Jahren soll sich der Weltverbrauch noch einmal verdoppeln. Wilts schlägt eine Ressourcenverbrauchssteuer vor: „Solange beispielsweise Öl billiger ist, als es uns inklusive aller Umweltschäden eigentlich kostet, wird es eine Übernutzung geben.“ Seine Idee: Materialien könnten je nach Ressourcenintensität besteuert werden. Produzenten bekämen einen Impuls, ihren Plastikverbrauch zu verringern.

Eine abgespeckte Version, die viel diskutierte Plastiksteuer, schaffte es nicht in das EU-Papier. Auch Deutschland hatte dagegen votiert. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) setzt stattdessen auf einen Bewusstseinswandel – und verweist auf das neue Verpackungsgesetz, durch das ab 2019 auch eine erweiterte Produzentenhaftung gelten soll.

Fraglich ist allerdings, wie die Nachfrage nach recycelten Materialien, sogenannten Rezyklaten, gestärkt werden soll. „Eine Möglichkeit wäre ein reduzierter Mehrwertsteuersatz auf Plastikrezyklate“, sagt Wilts. So könnten finanzielle Anreize geschaffen werden, recycelten Kunststoff zu kaufen und für die Herstellung neuer Produkte zu verwenden. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang auch Maßnahmen bei der Lizenzgebühr für Verpackungsabfall. Bei einem höheren Anteil von recyceltem Kunststoff am Gesamtprodukt könnten Herstellern Nachlässe gewährt werden. „Dazu müsste es aber endlich konkrete Reduzierungsziele geben“, sagt Wilts. „Ansonsten hilft uns das Recycling überhaupt nicht. Das Risiko ist eher, dass besseres Recyceln zu billigen Rezyklaten führt, was es für Unternehmen noch billiger macht, Kunststoff einzusetzen. Am Ende hätten wir sogar einen höheren Verbrauch.“

„Das Thema Pfand muss endlich auf UN-Ebene angegangen werden. Dass Pfandsysteme global eine Ausnahme darstellen, ist im Grunde ein Skandal.

Dr. Georg Mehlhart, Öko-Institut

Billig ist es auch, Kunststoff zu verbrennen. Da die Herstellung hochwertiger Recyclingprodukte aufwendig ist, landet viel Plastikmüll stattdessen in der Verbrennungsanlage. Eine sinnlose Verschwendung eines Wertstoffes, sagt Mehlhart: „Es gibt herausragende Sortieranlagen, die mit unglaublich fortgeschrittenen Methoden hochwertige Rezyklate herstellen. Da aufgrund der chinesischen Importverbote die Kosten für die Entsorgung von gemischten Kunststoffen anziehen und auch die Kosten für die Verbrennung steigen, könnten solche hochwertigen Sortiertechnologien endlich am Markt zum Zuge kommen.”

Und auch in Deutschland, mancherorts als Recycling-Weltmeister gepriesen, sieht Mehlhart Raum für Verbesserung. Zwar ist die Recyclingquote in den vergangen Jahren kontinuierlich gestiegen. Mit ihr wuchs aber gleichzeitig die Gesamtmasse an Plastikmüll, sodass die absolute Menge, die nicht recycelt wird, weiterhin zunimmt. „Der generelle Trend, dass immer mehr Kunststoffverpackung auf den Markt kommt, hält auch in Deutschland weiterhin an”, sagt Mehlhart.

Deshalb sei die EU-Direktive zwar „ein wichtiger gesetzgeberischer Schritt“, global betrachtet könne sie aber nur der Anfang sein: „Wir brauchen strategische Recycling-Partnerschaften mit ausgewählten Ländern. Das Thema Pfand muss endlich auf UN-Ebene angegangen werden. Dass Pfandsysteme global eine Ausnahme darstellen, ist im Grunde ein Skandal“, sagt Mehlhart. Außerdem müssten sortenreinere, gut recyclingfähige Materialien gefördert und biologisch abbaubare Kunststoffe erforscht werden. Dafür, und da sind sich die Experten einig, braucht es allerdings klare Vermeidungsziele und gemeinsame Lösungen. Die vorgeschlagene EU-Richtlinie könne da nur ein Anfang sein – zumal die erst noch vom Europaparlament und vom Europäischen Rat angenommen werden muss.

2 Experten – 10 Vorschläge

  1. Konkrete Reduzierungsziele
  2. Europäisches Pfandsystem
  3. Einheitliche Herstellerverantwortung
  4. Ressourcenverbrauchssteuer
  5. Verwendung hochwertiger Sortieranlagen
  6. Streichung von Öl-Subventionen
  7. Nachlässe auf Lizenzgebühr bei höherem Rezyklat-Anteil
  8. Vorgabe für Rezyklat-Anteil bei öffentlicher Beschaffung
  9. Erforschung biologisch abbaubarer Kunststoffe
  10. Strategische Recycling-Partnerschaften

Aktualisierung

Am 27.3.2019 hat das EU-Parlament über das Verbot von Einwegartikel aus Plastik abgestimmt und dieses ab 2021 mit einer Mehrheit der Stimmen beschlossen.

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