Mit der Neuregelung werden die Bluttests auf die Trisomien 13, 18 und 21 aber nicht nur für ältere oder gesundheitlich vorbelastete Schwangere kostenlos verfügbar, sondern „dem Lowrisk-Kollektiv der knapp 800.000 jährlich entbindenden Schwangeren – und zwar ohne jegliche wissenschaftlich-medizinische Indikation“, sagt Scharf. Letzteres sei Folge der vom Gemeinsamen Bundesausschuss gewählten vagen, unpräzisen Formulierung zur Berechtigung der Inanspruchnahme. Er gehe davon aus, dass mehr als 90 Prozent eines Geburtsjahrgangs an Schwangeren den kostenlosen Test in Anspruch nehmen, so der Mediziner. „Doch weil im medizinischen Sinne indikationslos und quasi in der Gesamtheit der Schwangeren gesucht wird, kommt es zu einem hohen Anteil an Auffälligkeiten bei tatsächlich Gesunden.“ Wirklich zutreffend seien die Ergebnisse dann lediglich bei zehn bis 15 Prozent. Das heißt: „Nur jeder siebte bis achte Test, der auffällig ist, bedeutet tatsächlich ein krankes Kind.“ Je jünger die Schwangere, desto unzuverlässiger ist der Test. Deshalb biete der Test auch keine Diagnose, aus der eine medizinische oder soziale Konsequenz gezogen werden könne. Dafür seien eine Fruchtwasseruntersuchung oder eine Plazentapunktion unerlässlich. „Ein Test kann diese Diagnosen nicht ersetzen, auch wenn das oft behauptet wird“, sagt Scharf. Im Gegenteil: „Ich fürchte, die Punktionszahlen werden – getriggert durch NIPT – weiter ansteigen.“
Auch die Erziehungswissenschaftlerin und Heilpädagogin Prof. Dr. Marion Baldus von der Hochschule Mannheim geht davon aus, dass der verstärkte Einsatz von NIPT zu mehr Punktionen führen wird. Sie kritisiert vor allem regelhafte NIPTs bei jungen Frauen mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie.
Außerdem: Neben den jetzt kassenfinanzierten Tests auf Trisomien gibt es auf dem Markt auch Bluttests, die eine falsch-positiv Rate von bis zu 90 Prozent aufwiesen. So berichtet Baldus von Studien aus den Niederlanden, die zeigten, dass bei Tests, die nach genetischen Anzeichen für eine Behinderung oder Beeinträchtigung suchen und dafür das komplette Genom untersuchen, die Fehlerquote bei sehr selten auftretenden chromosomalen Veränderungen bei 89 Prozent liegt: „Das heißt, dass von 100 Frauen 89 Frauen unnötigerweise beunruhigt wurden, sie könnten ein Kind mit einer Behinderung gebären.“
Die ganz überwiegende Zahl von NIPT sorgt aus Sicht von Scharf und Baldus für Verunsicherung, nicht für Klarheit. „Damit widerspricht NIPT dem Ziel der Pränataldiagnostik, die informieren und eine Entscheidungsgrundlage bieten will“, so Alexander Scharf. Durch die Einführung von NIPT als Leistung der Krankenkassen werde der Test aber offiziell geadelt und zum Standardverfahren erhoben. Und Baldus meint: Wenn solche Tests von der Solidargemeinschaft finanziert werden – wie das der Fall ist, wenn Krankenkassen die Kosten übernehmen – dann setze der Staat damit ganz klar eine Botschaft: „Wir haben ein Interesse daran, dass möglichst viele Frauen die Tests nutzen.“