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Pränataldiagnostik im europäischen Vergleich

Welche Untersuchungen sind wo möglich?

In der Diskussion um Pränataldiagnostik (PND) wird in Deutschland auch immer wieder in andere Länder geschaut: Welche pränataldiagnostischen Maßnahmen sind dort unter welchen Bedingungen möglich? Welche Kosten sind damit verbunden und wie häufig werden sie in Anspruch genommen?

Aktuell wird öffentlich vor allem über Bluttests auf Trisomien diskutiert, die soeben als Kassenleistung eingestuften nicht invasiven Pränataltests (NIPT). Andere nicht invasive Pränataldiagnostikverfahren sind Ultraschalluntersuchungen und das Ersttrimesterscreening (ETS).

Dr. Ruth Horn, stellvertretende Leiterin des Lehrstuhls für Ethik und Medizin der Universität Augsburg, und Associate Professorin an dem Ethox Centre der Universität Oxford, untersucht ethische Fragen zur Einführung des NIPT in den Ländern Deutschland, Frankreich und England. Sie stellt fest: Die öffentlichen Debatten in diesen Ländern beschäftigen sich mit ähnlichen ethischen Problemen. Die Befürchtung ist, dass NIPT die informierte Einwilligung und Entscheidung von Schwangeren negativ beeinflusst. Das liegt vor allem an der einfachen Durchführbarkeit des Tests – es genügt eine einfache Blutabnahme. Kritiker*innen befürchten, dass Ärzt*innen vor dem Test nicht über mögliche Ergebnisse aufklären und Schwangeren nicht bewusst ist, dass der Test sie eventuell mit schwierigen Entscheidungen konfrontieren könnte. Das muss aber nicht so sein, wenn Ärzt*innen ihrer Grundpflicht nachkommen und aufklären, so Horn. 

Unterschiede lägen hingegen in der Intensität und der Perspektive der Diskussion. In England beispielsweise gibt es grundsätzlich eine Offenheit gegenüber neuen medizinischen Technologien. Die Schwangere soll ausführlich und neutral über den NIPT aufgeklärt werden, um so ihre eigene informierte Entscheidung treffen zu können, erklärt die Medizinethikerin. Interessant sei, dass sich einige Betroffenenverbände bewusst aus der politischen Diskussion heraushalten und sich nicht gegen den NIPT positionieren. In Deutschland wird die Debatte stärker politisiert, so Horn. Hier geht es, auch aufgrund der Geschichte, viel häufiger um Themen wie Diskriminierung und Selektion von Menschen mit Behinderung.

„In der Praxis bedeutet das, dass jede Frau, mit und ohne erhöhter Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie den Screening-Test kostenlos in Anspruch nehmen kann. Das Problem hierbei ist, dass der Test bei einer niedrigen Wahrscheinlichkeit an Aussagekraft und Genauigkeit verliert.

Dr. Ruth Horn, stellvertretende Leiterin des Lehrstuhls für Ethik und Medizin der Universität Augsburg, und Associate Professorin an dem Ethox Centre der Universität Oxford

Aber nicht nur in der öffentlichen Diskussion um das Thema PND gibt es Unterschiede – auch in der Umsetzung gehen die Länder verschiedene Wege. Deutschland, Frankreich und England unterscheiden sich beispielsweise in ihren medizinischen Voraussetzungen. „Um in England und Frankreich einen NIPT kostenlos durchführen lassen zu können, wird die individuelle Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie des Fötus berechnet. Bei welcher Wahrscheinlichkeit der Test dann kostenlos ist, unterscheidet sich ebenfalls. Für Deutschland gibt es diese Wahrscheinlichkeitsbestimmung nicht. Die Kostenübernahme wird im Einzelfall entschieden. Hierzu wird vor allem die psychische Belastung einer schwangeren Person herangezogen. In der Praxis bedeutet das, dass jede Frau, mit und ohne erhöhter Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie den Screening-Test kostenlos in Anspruch nehmen kann. Das Problem hierbei ist, dass der Test bei einer niedrigen Wahrscheinlichkeit an Aussagekraft und Genauigkeit verliert“, erklärt die Wissenschaftlerin.

Auch bei anderen pränataldiagnostischen Untersuchungen gibt es länderspezifische Unterschiede. Dr. Alma Kolleck, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), hat die Nutzung von PND in Deutschland sowie europäischen Nachbarländern untersucht.

Obwohl Schwangere in Dänemark die Möglichkeit haben, kostenfrei nicht invasive PND zu nutzen, entscheiden sich einer aktuellen Studie zufolge 80 Prozent für eine invasive Methode wie die Fruchtwasseruntersuchung.

Dr. Alma Kolleck, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)

Kolleck zieht das Beispiel Dänemark heran, wo nicht invasive Verfahren teilweise seit mehr als 15 Jahren kostenfrei genutzt werden können: Obwohl Schwangere in Dänemark die Möglichkeit haben, kostenfrei nicht invasive PND zu nutzen, entscheiden sich einer aktuellen Studie zufolge 80 Prozent für eine invasive Methode wie die Fruchtwasseruntersuchung. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass diese Verfahren eine direkte Diagnose stellen und nicht nur Wahrscheinlichkeiten angeben, erklärt die Politikwissenschaftlerin. Schwangere in Dänemark, die einen NIPT in Anspruch nehmen, nutzen diesen offenbar vor allem, um sich auf ein Kind mit Trisomie einstellen zu können und weniger, um auf dieser Basis eine Entscheidung über die Weiterführung einer Schwangerschaft zu treffen.

Die Nutzung unterscheide sich deutlich von der in Deutschland, so Kolleck: Hier sind die invasiven Verfahren in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen. Erst in der nächsten Zeit wird man aber beobachten können, welche konkreten Auswirkungen es hat, wenn die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten für den NIPT trägt.

Warum genau sich die Nutzung von PND innerhalb der Länder unterscheidet, könne nur spekuliert werden, erklärt die Wissenschaftlerin. Diese Beurteilung ist schwierig, da einzelne gesellschaftliche Faktoren nicht isoliert werden können.

In Polen hat der Gesetzgeber das Recht auf genetische PND als eines der wichtigsten Instrumente der Selbstbestimmung der Patientinnen im Bereich der Fortpflanzung definiert. In der Praxis ist der Zugang zu kostenfreier PND jedoch erschwert.

Prof. Dr. Florian Steger, Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm

Mit Blick auf Polen zeigt sich, dass die Kirche einen erheblichen Einfluss auf die Inanspruchnahme von Pränataldiagnostik hat. Hier sind Kirche und Staat eng miteinander verbunden. Der Medizinethiker Prof. Dr. Florian Steger, Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm, sagt: In Polen hat der Gesetzgeber das Recht auf genetische PND als eines der wichtigsten Instrumente der Selbstbestimmung der Patientinnen im Bereich der Fortpflanzung definiert. In der Praxis ist der Zugang zu kostenfreier PND jedoch erschwert. Nur ungefähr ein Fünftel der Schwangeren in Polen nehmen pränataldiagnostische Maßnahmen in Anspruch. Die Ursache liege vor allem darin, dass Ärzt*innen selbst nach ihrem Gewissen (Gewissensklausel) entscheiden können, ob sie PND anbieten oder nicht. Aufgrund dessen wurden in den vergangenen Jahren diverse pränatale Untersuchungen verweigert, da sich diese Art der Untersuchungen nicht mit dem Gewissen respektive dem Glauben vereinbaren lassen, erklärt der Medizinethiker.

Exklusion von Menschen mit Behinderung lässt sich nicht darauf zurückführen, dass es Pränataldiagnostik gibt. Inklusion ist Aufgabe der Politik und die Problematik der Exklusion sollte nicht auf dem Rücken, oder besser gesagt, dem Bauch der Schwangeren ausgetragen werden.

Dr. Ruth Horn, stellvertretende Leiterin des Lehrstuhls für Ethik und Medizin der Universität Augsburg, und Associate Professorin an dem Ethox Centre der Universität Oxford

Aber nicht nur gesellschaftliche und religiöse Faktoren könnten einen Einfluss auf die Inanspruchnahme von PND haben. Teilweise wird vermutet, dass die Nutzung von PND steigt, wenn die jeweiligen Maßnahmen kostenlos angeboten werden. Dies kann laut Kolleck mehrere Gründe haben: Natürlich besteht ein finanzieller Anreiz, da die Kosten nicht selbst getragen werden müssen. Der entscheidende Punkt ist aber, dass eine Kostenübernahme suggeriert, dass dieses Verfahren notwendig und sinnvoll ist. Außerdem könnten Ärzt*innen tendenziell eher zum Test raten, da es eventuell für die Praxisfinanzierung wichtig ist. Die Forscherin betont in diesem Kontext, dass solche Zusammenhänge aber nicht pauschalisiert werden könnten. In Deutschland werden invasive Verfahren, wenn notwendig, von der Krankenkasse gezahlt und dennoch werden diese immer seltener genutzt. Das Beispiel Dänemark zeigt das Gegenteil. Hier besteht die Möglichkeit einer kostenfreien nicht invasiven Untersuchung und die Schwangeren entscheiden sich für invasive Eingriffe. Horn, erinnert, dass es letztlich auch darum gehen sollte, allen Frauen gleichen Zugang zur PND zu geben, unabhängig von ihrer finanziellen Situation. 

Trotz der vielschichtigen Problematik sind beide Wissenschaftlerinnen der Meinung, dass sich die Politik nicht aus der Verantwortung ziehen und diese Schwangeren aufbürden dürfe. Ruth Horn fasst zusammen: Exklusion von Menschen mit Behinderung lässt sich nicht darauf zurückführen, dass es Pränataldiagnostik gibt. Inklusion ist Aufgabe der Politik und die Problematik der Exklusion sollte nicht auf dem Rücken, oder besser gesagt, dem Bauch der Schwangeren ausgetragen werden.

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