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„Quantensensorik hat das Potential, die Welt besser zu machen“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Friedemann Reinhard

Was unterscheidet einen Quantensensor von einem herkömmlichen Sensor?

Sensoren sind Geräte, die ein physikalisches Signal in einen Messwert übertragen. Ein Quantensensor nutzt dabei quantenmechanische Objekte oder quantenmechanische Effekte aus und beruht auf Techniken, welche in der Quantenphysik in den letzten 40 Jahren entwickelt wurden. Während klassische Sensoren mit Strömen und Spannungen arbeiten, beruhen Quantensensoren auf einzelnen Atomen, Spins oder quantenmechanischen Superpositionen. Das führt dazu, dass sie Messungen durchführen können, die mit herkömmlichen Sensoren gar nicht erfasst werden können.

Das heißt Quantensensoren sind vor allem genauer?

Quantensensoren sind oftmals gar nicht unbedingt genauer, aber dafür können sie ganz andere Dinge. Allein dadurch, dass man Sensoren aus einzelnen Atomen bauen kann, kann man viel kleinere Sensoren bauen – und das eröffnet neue Anwendungsfelder. Die festkörperbasierten Sensoren, an denen wir hier arbeiten – sogenannte NV-Zentren in Diamant – sind die kleinsten Magnetfeldsensoren, die es überhaupt gibt, denn sie bestehen nur aus einem einzigen Atom. Und allein die Tatsache, dass man damit viel näher an Proben herankommt, macht sie extrem interessant.

„Insgesamt bieten die Sensoren dadurch bislang ungeahnte Potentiale insbesondere für die Biosensorik.

Welche Anwendungen werden dadurch möglich?

Mit so kleinen Magnetfeldsensoren lassen sich wahrscheinlich Kernspintomographen bauen, mit denen man einzelne Zellen oder sogar einzelne Biomoleküle abbilden kann. Man kann damit Magnetfelder einzelner Bakterien in Mikrometerbereich oder von winzig kleinen Strukturen im Nanometerbereich entdecken. Andere Quantensensoren, sogenannte optische Magnetometer, sind sogar in der Lage, Magnetfelder zu erkennen und abzubilden, wenn Hirnströme fließen. Insgesamt bieten die Sensoren dadurch bislang ungeahnte Potentiale insbesondere für die Biosensorik.

Wozu könnten diese Sensoren denn in der Biosensorik konkret eingesetzt werden?

Zum Beispiel um chemische Prozesse nachzuweisen, beispielsweise Ethanol von Methanol in Brauereien zu unterscheiden. Solche Nachweise könnten sogar in einzelnen Zellen funktionieren. In der medizinischen Diagnostik könnten mit Quantensensoren aufwendige Laboruntersuchungen deutlich leichter und schneller durchgeführt werden. Auch die Corona-Pandemie hätte ein spannender Anwendungsbereich sein können, denn es gab durchaus Forschungsergebnisse, die gezeigt haben, dass Quantensensoren Schnelltests verbessern könnten. Und wenn es tatsächlich gelänge, mittels Quantensensoren Aufschlüsselungen von chemischen Strukturen zu erhalten, wäre das auch für die Medikamentenentwicklung interessant.

Welche mögliche zukünftige Anwendung begeistert Sie besonders?

Eine Sache von der ich und viele andere träumen, ist ein Kernspindetektor, der so klein ist, dass er in ein Smartphone integriert werden könnte. Also ein kleiner Chip, der eine enorm mächtige molekulare Diagnosemöglichkeit bereit hielte. Dann könnte man direkt über das Smartphone die chemische Zusammensetzung von Proben sehen – im Gegensatz zu heute, wo solche Geräte etwa 100.000 Euro kosten und nicht portabel sind. Und von Seiten der Entwicklung scheint es gerade so, dass wir davon nicht mehr so weit entfernt sind.

„Wir haben mit den Sensoren noch nicht die Empfindlichkeiten erreicht, die vor 10 Jahren vorhergesagt wurden.

Was sind aktuell die größten Hürden?

Es gibt drei zentrale Hürden, an denen aktuell in vielen verschiedenen Forschungsinstituten gearbeitet wird: Bislang noch nicht richtig gelöst ist die Frage, wie man das Sensorsignal elektrisch auslesen kann. Während herkömmliche Sensoren Spannung messen, übersetzen Quantensensoren den Zustand eines Atoms in Licht, das dann ausgelesen werden kann. Aber Licht lässt sich technisch deutlich schwerer auslesen als Strom. Dazu ist auch die Materialqualität noch ein großes Problem. Bisher waren Quantensensoren so erfolgreich, weil sie besonders klein sind, theoretisch wären sie auch in der Lage deutlich empfindlicher zu sein, doch dafür fehlt es noch an der entsprechenden Materialqualität. Wir haben mit den Sensoren noch nicht die Empfindlichkeiten erreicht, die vor 10 Jahren vorhergesagt wurden. Gleichzeitig wurden die mutigen Annahmen von vor 10-15 Jahren bezüglich der Größe der Quantensensoren voll und ganz erreicht. Der Traum von Magnetfeldmessungen an einzelnen Molekülen und Nanostrukturen ist heute Realität.

Und die dritte Hürde?

Engineering. Die festkörperbasierten Quantensensoren existieren momentan fast ausschließlich in Forschungslaboren. Natürlich ist eine Übertragung in zuverlässige Geräte, die sich in großen Stückzahlen fertigen lassen, noch mit sehr vielen technischen Herausforderungen verbunden. Aber wenn es tatsächlich gelingt, die Sensoren aus den Laboren verfügbar zu machen und zu standardisieren, könnte das zu einer Reihe von Anwendungen führen. Und wir sehen schon jetzt, dass sich mehr und mehr Start-Ups gründen, die Geräte zur Magnetfeldbildgebung verkaufen, beispielsweise für die Abbildung von magnetischen Bakterien.

„Und wenn man sich die Frage stellt, welche der verschiedenen Quantentechnologien am schnellsten Marktreife und breite Anwendungen erlangen werden, sieht es momentan sehr danach aus, als ob Quantensensoren hier ganz vorne liegen könnten.“

Wann rechnen Sie mit einer Marktreife von Quantensensoren?

Festkörperbasierte Sensoren sind noch gar nicht so lange erforscht und dennoch sehen wir schon die Aktivitäten der ersten Start-Ups. Und wenn man sich die Frage stellt, welche der verschiedenen Quantentechnologien am schnellsten Marktreife und breite Anwendungen erlangen werden, sieht es momentan sehr danach aus, als ob Quantensensoren hier ganz vorne liegen könnten. Und zwar auch deutlich vor den viel diskutierten Anwendungen der Quantenkryptographie und Quantencomputer, die eventuell erst deutlich später kämen – aber das ist natürlich etwas spekulativ.

Woran liegt es, dass Quantensensorik im Vergleich zu Quantenkryptographie und Quantencomputer dennoch weniger Aufmerksamkeit von Politik und Gesellschaft erhalten?

Helfen würde natürlich eine spektakuläre Massenanwendung – die gibt es zwar: das GPS und unsere Navigationsgeräte basieren auf Atomuhren, den ersten Quantensensoren in gewissem Sinne, aber zum Zeitpunkt der Entwicklung des GPS sprach noch niemand von Quantentechnologie. Vielleicht gibt es auch einen psychologischen Grund: es fehlt uns in Bezug auf Quantensensorik eine große Bedrohung. Während die Cybersicherheit durch Quantencomputer massiv bedroht wird und Quantenkryptographie der Schlüssel ist, um Kryptographie insgesamt auf ein neues Level zu heben, hat Quantensensorik nur das Potential die Welt besser zu machen. Aber das kann durchaus der Grund sein, dass Quantensensorik im Vergleich weniger medial sichtbar ist.

 

Zur Person

Prof. Dr. Friedemann Reinhard leitet die Arbeitsgruppe für Quantentechnologie an der Universität Rostock.

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