Bild: Forschungszentrum Jülich

„Wenn wir uns Technologie-Souveränität sichern, kann Wertschöpfung in Europa stattfinden“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Tommaso Calarco

Prof. Calarco, Sie gelten als eine treibende Kraft hinter den milliardenschweren Förderprogrammen für Quantentechnologien, die es in Deutschland und Europa heute gibt. Wie lassen sich diese Milliardensummen rechtfertigen? 

Es gibt zwei Aspekte. Erstens sind wir überzeugt, dass Quantentechnologien viel leisten können für uns als Gesellschaft. Und zweitens müssen wir in Europa investieren, um nicht beispielsweise von den USA oder China abgehängt zu werden.

Mit welchem Gewinn darf die Gesellschaft rechnen?

Die Wissenschaft konnte zeigen, dass sich einzelne Quantenobjekte manipulieren lassen. Einzelne Atome, einzelne Moleküle, einzelne Ionen, einzelne Photonen. Das führt zu enormen Leistungssteigerungen verschiedener Technologien. Und von dieser Leistungssteigerung profitieren Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft.

„Der Quantencomputer wird in der Lage sein, Lieferwege von Paketboten zu optimieren. Die Folge: Weniger Verkehr, weniger Benzinverbrauch, weniger Zeit, die investiert werden muss.“

Zum Beispiel?

Dadurch, dass wir in Atomuhren heute einzelne Atome manipulieren können, ist es möglich, Zeit viel präziser zu messen als bisher. Das ist relevant für Navigationssysteme. Wenn ich hier die Präzision weiter steigern kann, heißt das, dass ich die Position meines Autos nicht mehr nur – wie heute – innerhalb einiger Meter bestimmen kann, sondern innerhalb von ein paar Zentimetern oder sogar Millimetern. Das hätte für das autonome Fahren und die in Deutschland so wichtige Autoindustrie enorme Bedeutung. Ein zweites Beispiel: Quantencomputing wird in der Logistik für deutlich mehr Effizienz sorgen, denn der Quantencomputer wird in der Lage sein, Lieferwege von Paketboten zu optimieren. Die Folge: Weniger Verkehr, weniger Benzinverbrauch, weniger Zeit, die investiert werden muss. Auch das nützt Wirtschaft und Gesellschaft. Und ein letztes Beispiel: In den Materialwissenschaften können wir mithilfe von Quantensimulatoren in Zukunft längerfristig möglicherweise neue medizinische Wirkstoffe entwickeln, ohne diese im Tierversuch testen zu müssen. Allein aufgrund von Berechnungen soll die Wirkweise kalkulierbar werden.

Wann erwarten Sie hier erste Anwendungen?

Im Laufe der nächsten sieben Jahre erwarten wir, dass wir erste Beispiele dieser Technik in die Produktion überführen können.

Sie gehen davon aus, dass Unternehmen in Deutschland von 2030 an Medikamente entwickeln, deren Substanzen von Quantencomputern getestet wurden?

Medikamente noch nicht, damit rechnen wir eher in zehn bis zwanzig Jahren. Aber elementare chemische Prozesse, wie sie beispielsweise für die Produktion von Düngemitteln erforderlich sind, sollten wir bis dahin mit Quantensimulationen darstellen können.

„Das World Wide Web wurde am CERN in Genf initiiert, also auf europäischem Boden, aber die gesamten Profite werden in den USA gemacht bei Google & Co. Wenn wir uns jetzt Technologiesouveränität sichern, kann auch die Wertschöpfung hier in Europa stattfinden.“

Neben dem Potential, das Sie für Wissenschaft und Industrie sehen, haben Sie den Wettkampf der Nationen im Blick…

Ja, der zweite Grund, weshalb die umfassenden Förderprogramme in Deutschland und auf EU-Ebene so wichtig sind, ist, dass unter anderem in den USA und China derzeit enorme Investitionen getätigt und Fortschritte in der Forschung gemacht werden. Wir wollen vermeiden, dass im Bereich der Quantentechnologien das gleiche passiert, wie bei der Internetrevolution: Das World Wide Web wurde am CERN in Genf initiiert, also auf europäischem Boden, aber die gesamten Profite werden in den USA gemacht bei Google & Co. Wenn wir uns jetzt Technologiesouveränität sichern, kann auch die Wertschöpfung hier in Europa stattfinden.

Die finanziellen Voraussetzungen dafür sind erstmal perfekt? 

Wir müssen das Geld, das uns zur Verfügung steht, strategischer einsetzen. Wichtig wäre ein effizientes Ökosystem, in dem Forschung und Industrie enger zusammenarbeiten. Bundeswirtschafts- und Bundesforschungsministerium der alten Regierung hatten noch nicht wirklich eine gemeinsame Strategie entwickelt. Es ist eine tolle Gelegenheit für das neue Kabinett, das jetzt besser zu koordinieren. 

Auf Bundesebene starteten die Milliardenprogramme von Wirtschafts- und Forschungsministerium 2021. Im Rahmen des EU-Flagship werden seit drei Jahren Forschungsprojekte und Kooperationen von Wirtschaft und Wissenschaft gefördert. Gibt es bereits erste Resultate?

Ja, in vielen Bereichen. Vorher gab es nur in den USA Firmen wie Google, IBM, Microsoft, die in diesem Gebiet aktiv waren. Inzwischen gibt es zahlreiche Firmen auf europäischer Ebene, die Quantentechnologien produzieren – in vielen Fällen oben an der Spitze und in direkter Konkurrenz zu amerikanischen Firmen. Mit dabei ist beispielsweise die französische Firma Pasqal, die ab 2022 in Paris einen Rechner für die industrielle Nutzung bereitstellt und von 2023 an auch in Jülich. 

„Es ist jetzt noch Zeit, die Frage zu stellen, wer insgesamt Zugang zu Quantentechnologien haben sollte. Ein großes Risiko sehe ich darin, dass der globale Süden abgehängt wird.

Sie haben beschrieben, dass insbesondere die USA und China mit Europa konkurrieren. Wie steht es um den Rest der Welt? 

Es ist wichtig, dass wir nicht nur die deutsche oder europäische, die amerikanische oder chinesische Gesellschaft im Blick haben, sondern die Weltgesellschaft. Es ist jetzt noch Zeit, die Frage zu stellen, wer insgesamt Zugang zu Quantentechnologien haben sollte. Ein großes Risiko sehe ich darin, dass der globale Süden abgehängt wird. Was ist mit Ländern in Afrika, in Lateinamerika, im Süden Asiens? Wo die Technologien aufgrund mangelnder Investitionen in Forschung und Entwicklung schwerer zu entwickeln sind. Das Risiko, dass die Entwicklung dieser Technologien zu weiteren Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten führt, ist groß. Dass die reichen Länder immer reicher werden, die armen immer ärmer. Wenn wir global an die Technologieentwicklung herangehen würden, könnten wir dazu beitragen, dass es nicht zu weiteren Ungerechtigkeiten kommt.

Gibt es Initiativen, die versuchen, genau hier anzusetzen? Die auf den Austausch von Forschenden weltweit setzen?  

Leider noch nicht. Momentan steht auf politischer Ebene die Frage der Technologiesouveränität im Vordergrund und verhindert entsprechende Kooperationen auf internationaler Ebene. Wissenschaftler*innen wünschen sich ein hohes Maß an Kooperation. Aber ich kann es natürlich auch nachvollziehen, dass beispielsweise die Europäische Kommission sagt, wir müssten zunächst darauf schauen, wie die Urheberrechte für bestimmte Entwicklungen verwertet werden. Da darf man als Wissenschaftler*in nicht naiv sein.

Wie andere Technologien können auch Quantentechnologien in die falschen Hände gelangen. 

Das ist richtig. Wenn ich beispielsweise einzelne Quanten für die Kommunikation verwende, um geheime Nachrichten zu kommunizieren, ist es nicht mehr möglich, diese Nachricht abzuhören, ohne dass dies sofort entdeckt wird. Ein Geheimdienst hat da also absolute Sicherheit. Die kann sich aber auch eine terroristische Organisation zunutze machen, wenn sie Zugang zu diesen Technologien hat. Deshalb wird es Regulierungen und Ausfuhrkontrollen geben müssen. Das Schwierige ist, einerseits die Offenheit zu wissenschaftlicher Kooperation zu bewahren, andererseits aber die Interessen unserer eigenen Gesellschaft zu wahren.

Zur Person

Prof. Dr. Tommaso Calarco gehört zu den einflussreichsten Quantenphysikern Europas, war Mitglied im Expertenrat der früheren Bundesregierung zu Quantentechnologien und gilt seitens der Wissenschaft als treibende Kraft hinter dem europäischen Förderprogramm Quantum Flagship. Er leitet am Forschungszentrum Jülich das Institut für Quantenkontrolle am Peter-Grünberg-Institut, hat eine Professur an der Universität zu Köln inne und ist engagiert im Excellenzcluster ML4Q, einem Verbundprojekt der Universitäten Köln, Aachen, Bonn sowie des Forschungszentrums Jülich.

 

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