Foto: Gregor Hübl / Universität Bonn

Ein wunderbares Werkzeug

Die Bedeutung von Quantentechnologien für die Forschung

Es sind oft große Worte, die geschwungen werden, wenn es um Quantentechnologien geht: Als zu Jahresbeginn 2022 im Forschungszentrum Jülich ein Quantenrechner in Gang gesetzt wurde, der Forschende in Deutschland und Europa zukünftig bei der Entwicklung von Quantenanwendungen unterstützen soll, war von einem „Meilenstein“, von „revolutionärer Technologie“ und „Türen zu neuen Welten“ die Rede.

Forschende selbst sind häufig zurückhaltender. Gerade die Frage, ob Quantencomputer – das wohl bekannteste Beispiel einer ganzen Reihe möglicher Anwendungen – eines Tages tatsächlich mehr können als bisherige Hochleistungsrechner, sei noch nicht ausgemacht, sagt der Physiker Prof. Dr. Simon Stellmer, der sich an der Universität Bonn und in verschiedenen Forschungsverbünden mit quantenphysikalischen Phänomenen beschäftigt. „Quantencomputer funktionieren anders als klassische Computer, aber ob sie besser sein werden? Wir wissen es noch nicht.“

Quantentechnologien der ersten Generation wie Halbleitertechnik, Laser und Satellitennavigation haben die Wissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten weit vorangebracht.

Prof. Dr. Artur Zrenner, Sprecher des Themennetzwerks Nano- und Quantentechnologien bei acatech und Professor an der Universität Paderborn

Offensichtlich ist aber, dass es zahlreiche Forschungsbereiche gibt, in denen die spezifischen Vorteile von Quantentechnologien zum Tragen kommen können und ihr Einsatz sich lohnt: „Schon Quantentechnologien der so genannten ersten Generation wie Halbleitertechnik, Laser und Satellitennavigation haben die Wissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten weit vorangebracht“, sagt Prof. Dr. Artur Zrenner, Sprecher des Themennetzwerks Nano- und Quantentechnologien bei acatech und Professor an der Universität Paderborn.

Beispiele gibt es viele: Halbleiter sind heute der Hauptbestandteil von Mikrochips, ohne die moderne Steuergeräte undenkbar sind. Mit Hilfe von Lasern lassen sich rasend schnell Daten im Internet übertragen, Eigenschaften von Materialien bestimmen oder optische Bauteile in der Astronomie genau justieren. Biolog*innen und Mediziner*innen nutzen Lasertechnik für präzisere – und für Patient*innen weniger belastende – bildgebende Verfahren in der Zellforschung oder medizinischen Diagnostik. Und die Satellitennavigation hilft nicht nur jeder und jedem von uns im Alltag, wenn wir uns über GPS orientieren, sondern auch Forschenden, die sich für die Struktur der Erdoberfläche interessieren.

Für letztere bauen Wissenschaftler*innen um den Quantenmetrologen Simon Stellmer Messgeräte, die mit Phänomenen aus der Quantenphysik arbeiten und zur zweiten Generation der Quantentechnologien gerechnet werden. Um Prozesse zu optimieren, werden dabei einzelne quantenmechanische Zustände kontrolliert und manipuliert. Solche Messgeräte können so groß sein wie ein Wohnzimmer, kosten viele Millionen Euro und ihr Aufbau kann schon mal zehn Jahre dauern.

Konkretes Ziel der Forschungsgruppe um Stellmer ist es, Messgeräte, die ohnehin schon unfassbar genau scheinen, immer weiter zu verbessern. So arbeiten sie beispielsweise daran, die Messempfindlichkeit von Geräten für Geodäten zu steigern, die sich mit dem Aufbau der Erdkruste und der Messung und Modellierung des Erdschwerefeldes beschäftigen.

Wir wollen quantifizieren, was die Auswirkungen des Klimawandels sind und wie sich Grundwasser und Meeresspiegel verändern, um eines Tages mögliche Folgen vorhersagen zu können.

Prof. Dr. Simon Stellmer, Universität Bonn

Atomuhren auf der Basis atomarer Quantenzustände dienen bereits seit Jahrzehnten als Zeitreferenz für Präzisionsmessungen und sind heute auch allen, die dank Navi zum Ziel finden, eine große Hilfe im Alltag. Die Metrolog*innen um Simon Stellmer entwickeln neue Höhenreferenzsysteme, die ans Gravitationsfeld der Erde gekoppelt sind und über ganz Europa hinweg eine Ungenauigkeit von nur wenigen Zentimetern haben.

Das ist für Klimawissenschaftler*innen von hoher Relevanz: Die Geräte sollen zukünftig beispielsweise die Massen von Eisschilden und Gletschern oder die Veränderung des Meeresspiegels und von Ozeanströmungen genauer bestimmen und sichtbar machen, um die Mechanismen des globalen Klimasystems besser zu verstehen. „Wir wollen quantifizieren, was die Auswirkungen des Klimawandels sind und wie sich beispielsweise Grundwasser und Meeresspiegel verändern, um eines Tages wichtige Trends genauer zu bewerten und mögliche Folgen vorhersagen zu können“, sagt Simon Stellmer.

Bei der Entwicklung von Atomuhren machen sich Metrolog*innen ausgerechnet jene Fragilität von Quantenzuständen und -systemen zunutze, die bei der Entwicklung von Quantencomputern so große Probleme bereitet. Denn Fragilität gegenüber äußeren Einflüssen bedeutet nichts anderes als hohe technische Messempfindlichkeit, weshalb sich mit modernen Quantensystemen physikalische Größen wie Druck und Temperatur, Zeit und Geschwindigkeit, elektrische und magnetische Felder, die Position oder die Gravitation extrem präzise messen lassen.

Experimentalphysiker Artur Zrenner kann zahlreiche weitere Beispiele nennen, die zeigen, welche Fortschritte sich Fachbereiche wie Physik, Informatik oder Ingenieurswesen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten von Quantentechnologien der zweiten Generation erhoffen. „In vielen Forschungsbereichen sind Quantentechnologien ein wunderbares Werkzeug“, sagt er. Die höchstgenauen Atomuhren und Quantensensoren ließen nicht nur in der Erd- und Bodenerkundung auf große Durchbrüche hoffen, sondern auch in der medizinischen Diagnostik. So könnten mit Hilfe verbesserter Magnetfeldsensoren Gehirnaktivitäten zukünftig viel präziser gemessen werden, als das bislang der Fall ist. Ein genaueres Verständnis und eine frühzeitigere Diagnose von Krankheiten wie Alzheimer, so das große Versprechen, könnten die Folge sein. Hier sei mit ersten Anwendungen schon in fünf bis zehn Jahren zu rechnen, schätzt Zrenner. Und in der Biomedizin setzten Forschende auf deutlich verbesserte Bildgebungsverfahren, die für Patient*innen zugleich mit erheblich schonenden Eingriffen verbunden wären.

„Wenn ich die Präzision von Navigationssystemen steigern kann, heißt das, dass ich die Position meines Autos innerhalb von ein paar Zentimetern oder sogar Millimetern bestimmen kann.“

Prof. Dr. Tommaso Calarco, Institut für Quantenkontrolle am Forschungszentrum Jülich

Auch die Forschung zum autonomen Fahren könnte von den präziseren Sensoren sehr profitieren, ist Tommaso Calarco überzeugt, der am Forschungszentrum Jülich das Institut für Quantenkontrolle leitet. „Wenn ich die Präzision von Navigationssystemen steigern kann, heißt das, dass ich die Position meines Autos innerhalb von ein paar Zentimetern oder sogar Millimetern bestimmen kann.“ Das könnte die Forschung zum automatisierten Fahren enorm voranbringen.

In der Entwicklung von Quantentechnologien gehören Wissenschaftler*innen aus Deutschland in vielen Disziplinen zur Weltspitze. In den kommenden Jahren werde sich entscheiden, ob die gute Ausgangsposition sich auch in Wirtschaftskraft niederschlägt, sagt Calarco.

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