Kai Arzheimer sieht diesen Aspekt anders: „In Deutschland ist die Grenze noch sehr gut zu erkennen. In Berlin kann man noch sehen, wo die Mauer war. Im Osten ist die Linkspartei und auch die AfD deutlich stärker als im Westen, während sich die alten Bonner Parteien schwerer tun“, erklärt der Politikwissenschaftler. Die Gründe dafür sieht er zum einen in den unterschiedlichen Lebensumständen. Noch heute sei die Wirtschaft der neuen Länder schwächer und die Bevölkerungsdichte geringer. Zum anderen identifizierten sich die Wähler*innen heutzutage weniger mit nur einer Partei und auch die Wahlbeteiligung sei niedriger. Arzheimer erklärt dies so: „Auch wenn die heutige Linkspartei auf die PDS zurückgeht, war es Anfang der 90er Jahre ein neues Parteiensystem, das den Menschen in Ostdeutschland vorgesetzt wurde.“ Die geringere Parteiidentifikation und Wahlbeteiligung bedeute jedoch keine schlechte politische Praxis. „Die neuen Bundesländer sind in gewisser Weise Vorreiter für die stärkere Flexibilisierung des Wahlverhaltens, die wir im Westen auch sehen, dort aber noch nicht so deutlich, wie wir das im Osten teilweise schon haben“, erläutert Arzheimer.
Die beiden Wahlforscher*innen sehen deutlich eine zunehmende Flexibilisierung im Wahlverhalten. „Bei der Wechselbereitschaft stellen wir fest, dass unter den Teilnehmenden an der Sonntagsfrage – der Frage ‚Was würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre?‘ – drei Viertel über Lagergrenzen hinweg wechselbereit sind“, sagt Viola Neu. Davon unterscheiden sich lediglich die Wähler*innen der AfD, von denen immerhin die Hälfte wechselbereit sind. Folgt man den bisherigen Entwicklungen des Wahlverhaltens der Deutschen werde die Flexibilisierung weiter zunehmen. „Wir gehen davon aus, dass die parteipolitische Mobilität und das Wahlverhalten über Lagergrenzen sich fortsetzen“, sagt Viola Neu. Mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl sind die Wahlforscher*innen gespannt, denn durch das flexible Wahlverhalten sei der Ausgang der Wahl nicht vorhersehbar.