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Alter, Status, Herkunft: Was bestimmt die Wahlentscheidung?

Der Einfluss von soziokulturellen Faktoren auf unser Wahlverhalten

Immer wieder kommen Diskussionen auf, ob junge Menschen anders wählen als ältere oder den Bewohner*innen der neuen Bundesländer wird vorgeworfen rechts zu wählen. Es wird angenommen, dass das Alter, das Geschlecht oder schlicht die Herkunft eine Auswirkung auf die Wahlentscheidung hat. Auch in der Wahlforschung besteht keine Einigkeit über diesen Aspekt. Klar ist aber, dass sich das Wahlverhalten der Deutschen, und damit auch der Einfluss ihrer Lebenssituation auf ihre politischen Entscheidungen, ändert.

Tatsächlich sei ein wesentlicher Aspekt, der das Wahlverhalten beeinflusst, das Alter, erklärt Prof. Dr. Kai Arzheimer, Professor für Innenpolitik und Politische Soziologie an der Johannes Gutenberg Universität Mainz. Ältere Menschen identifizierten sich eher mit einer festen Partei, wohingegen jüngere Wähler*innen flexibler wählen. „Wir sehen auch viel weniger Unterstützung für die beiden ehemals großen Volksparteien, also CDU/CSU auf der einen Seite, SPD auf der anderen Seite“, sagt Arzheimer. Ein deutlicher Unterschied in den Wahlpräferenzen lasse sich ebenso zwischen den Geschlechtern erkennen. So wählen Frauen eher die Grünen und die CDU, während unter den AfD-Wähler*innen die Männer eindeutig überwiegen. Außerdem könne der Bildungsweg einen Einfluss auf die Wahl bestimmter Parteien haben. „Je gebildeter eine Person ist, desto toleranter ist diese Person normalerweise und desto aufgeschlossener steht sie beispielsweise Fragen wie Zuwanderung gegenüber“, so Arzheimer.

„Es brechen fast überall in allen Sozialstrukturen diese festen Muster, die sozialstrukturelle Bindung im Wahlverhalten, auf ­– bei den einen etwas früher, bei den anderen etwas später.“

Dr. Viola Neu, Konrad-Adenauer-Stiftung

Eine weitere, häufig getroffene Vorannahme ist, dass Christ*innen die CDU und Arbeiter*innen die SPD wählen. Dr. Viola Neu, Leiterin der Abteilung Wahl- und Sozialforschung der Konrad-Adenauer-Stiftung sagt, diese Verbindung nehme nach und nach ab, auch wenn immer noch Zusammenhänge bestünden. „Es brechen fast überall in allen Sozialstrukturen diese festen Muster, die sozialstrukturelle Bindung im Wahlverhalten, auf ­– bei den einen etwas früher, bei den anderen etwas später.” Grund seien gesellschaftliche Veränderungsprozesse. Kai Arzheimer sagt, dass grundsätzlich immer noch eine Verbindung zwischen Gewerkschaften und SPD bestünde, der Einfluss auf die Wahl aber abnehme. Die Arbeitswelt verändere sich aufgrund des wachsenden Dienstleistungssektors und der Globalisierung, weshalb die Gewerkschaften weniger Zulauf hätten. 

Bei der Bundestagswahl 2017 hat die AfD besonders in den ostdeutschen Bundesländern gut abgeschnitten und auch bei den Landtagswahlen im Jahr 2021 fand die Partei dort mehr Zustimmung als in den alten Bundesländern. Aus Sicht von Viola Neu werden diese Differenzen zwischen ost- und westdeutschen Ländern aber überbewertet: „Es gibt natürlich feine Unterschiede zwischen Ost- und West, aber wenn man differenzierter nach Ländern schaut, dann merkt man, dass diese Unterschiede eben auch zwischen Nord und Süd bestehen. Auch da sind es kleine und feine Unterschiede.“

„Die neuen Bundesländer sind in gewisser Weise Vorreiter für die stärkere Flexibilisierung des Wahlverhaltens.“

Prof. Dr. Kai Arzheimer, Johannes Gutenberg Universität Mainz

Kai Arzheimer sieht diesen Aspekt anders: „In Deutschland ist die Grenze noch sehr gut zu erkennen. In Berlin kann man noch sehen, wo die Mauer war. Im Osten ist die Linkspartei und auch die AfD deutlich stärker als im Westen, während sich die alten Bonner Parteien schwerer tun“, erklärt der Politikwissenschaftler. Die Gründe dafür sieht er zum einen in den unterschiedlichen Lebensumständen. Noch heute sei die Wirtschaft der neuen Länder schwächer und die Bevölkerungsdichte geringer. Zum anderen identifizierten sich die Wähler*innen heutzutage weniger mit nur einer Partei und auch die Wahlbeteiligung sei niedriger. Arzheimer erklärt dies so: „Auch wenn die heutige Linkspartei auf die PDS zurückgeht, war es Anfang der 90er Jahre ein neues Parteiensystem, das den Menschen in Ostdeutschland vorgesetzt wurde.“ Die geringere Parteiidentifikation und Wahlbeteiligung bedeute jedoch keine schlechte politische Praxis. „Die neuen Bundesländer sind in gewisser Weise Vorreiter für die stärkere Flexibilisierung des Wahlverhaltens, die wir im Westen auch sehen, dort aber noch nicht so deutlich, wie wir das im Osten teilweise schon haben“, erläutert Arzheimer.

Die beiden Wahlforscher*innen sehen deutlich eine zunehmende Flexibilisierung im Wahlverhalten. „Bei der Wechselbereitschaft stellen wir fest, dass unter den Teilnehmenden an der Sonntagsfrage – der Frage ‚Was würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre?‘ – drei Viertel über Lagergrenzen hinweg wechselbereit sind“, sagt Viola Neu. Davon unterscheiden sich lediglich die Wähler*innen der AfD, von denen immerhin die Hälfte wechselbereit sind. Folgt man den bisherigen Entwicklungen des Wahlverhaltens der Deutschen werde die Flexibilisierung weiter zunehmen. „Wir gehen davon aus, dass die parteipolitische Mobilität und das Wahlverhalten über Lagergrenzen sich fortsetzen“, sagt Viola Neu. Mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl sind die Wahlforscher*innen gespannt, denn durch das flexible Wahlverhalten sei der Ausgang der Wahl nicht vorhersehbar. 

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