Das Netzwerk Avaaz hat Desinformationen im Vorfeld der Bundestagswahl anhand von Daten der Faktencheck-Redaktionen der Deutschen Presse-Agentur, der Nachrichtenagentur AFP und des Recherchezentrums Correctiv aus dem Jahr 2021 untersucht. Laut der Analyse ist Annalena Baerbock unter den Kanzlerkandidat*innen das Hauptziel von Desinformationen. 71 Prozent der untersuchten Desinformations-Narrative entfielen auf die grüne Kandidatin. „Es schwirren im Kontext der Bundestagswahl Desinformationen umher und es wird versucht, Einfluss zu nehmen, aber ich glaube, dieser ist geringer, als es im Diskurs erscheint”, sagt Jungherr.
Kampagnen wie die der Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die Baerbock als Moses-Figur mit den zehn angeblichen grünen Verboten zeigten, wertet Jungherr nicht als Desinformationen: „Das ist in meinen Augen Teil zugespitzter und sicherlich kontroverser Kampagnenführung, aber keine gezielte Desinformation. Solange klar ist, wem eine Aussage zuzuschreiben ist, und man den Absender oder die Absenderin argumentativ herausfordern kann, gehört das zur politischen Kommunikation dazu.” Er warnt davor, das Label Desinformation zu beliebig zu verwenden: „Ich halte es für falsch, von einer Epidemie der Desinformation zu sprechen, ohne tatsächlich zu wissen, wie weit das Phänomen verbreitet ist. Durch einen solchen Diskurs laufen wir Gefahr, politische Entscheidungen zu delegitimieren.”
Unabhängig davon, wie groß oder klein der Einfluss von Desinformationen auf die Bundestagswahl ist, stellt sich die Frage nach dem adäquaten Umgang mit ihnen. Denn das Tückische an Desinformationen ist, dass sie sich, einmal im Gedächtnis festgesetzt, nur schwer korrigieren lassen. „Der sogenannte Falschinformationseffekt beschreibt, dass Falschinformationen sehr schnell in bestehende Gedächtniskonstrukte integriert werden. Selbst wenn die Falschinformation glaubwürdig berichtigt wird, ist sie schon so fest verankert, dass sie durch die Korrektur nicht überschrieben wird”, sagt Psychologin Nicole Krämer. Vor diesem Hintergrund könne es hilfreich sein, wenn die Nachricht mit einem Hinweis darauf versehen ist, dass man sie kritisch hinterfragen sollte.