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„Man macht Zahlen nicht dadurch repräsentativ, dass man sie im Nachgang gewichtet“

Ein Gespräch mit Dr. Yvonne Schroth

Wofür braucht man Meinungsforschung?

Meinungsforschung ist Teil aller westlichen demokratischen Gesellschaften und ist dazu da, um politische Stimmungsbilder in der Gesellschaft aufzuzeigen. Das ist sowohl im Interesse der Politik, der Gesellschaft als auch der Demokratieforschung. Denn wir erheben eben nicht nur politische Stimmungen, sondern auch Einstellungen zu gegenwärtigen Themen und allgemein zum politischen Interesse und zu Meinungen über demokratische Prozesse. Unsere wesentliche Aufgabe als Demoskopen ist es, den Verlauf und die Zusammenhänge von politischen Willensbildungsprozessen abzubilden und dann zu erklären, wie es zu welchen Wahlentscheidungen gekommen ist. Insofern ist unsere Meinungsforschung nicht nur verkürzt auf die „Sonntagsfrage“ zu sehen, sondern wir als Wahlforschungsinstitut liefern Daten zur  gesellschaftlichen Dauerbeobachtung.

Wieso weichen Umfrageergebnisse teilweise so stark von Wahlergebnissen ab?

Wir sehen uns nicht als „Wahlprognoseinstitut“. Denn politische Umfragen, wie wir sie machen, sind gar kein Instrument um Wahlprognosen zu machen. Umfragen sind immer nur Abbildungen einer punktuellen politischen Stimmung, schon weil die Grundgesamtheit bei Umfragen die Wahlberechtigten sind und nicht die Wähler. Diese befragen wir ausschließlich am Wahltag in unseren Wahlprognosen um 18 Uhr. Wir betonen auch bei der Veröffentlichung unserer Daten kurz vor Wahlen immer, dass es keine Prognose für den Wahlausgang ist.

„Die Selbstrekrutierung der teilnehmenden Personen bei Online-Umfragen kann die Repräsentativität deutlich beeinträchtigen und somit zu Verzerrungen in den Ergebnissen führen.“

Auch Umfrageergebnisse verschiedener Institute, die in etwa gleichzeitig erhoben werden, weichen manchmal deutlich voneinander ab. Woran liegt das?

Diese Frage ist durchaus berechtigt. Das letzte Beispiel, das mir zu dieser Frage einfällt sind natürlich die sich stark unterscheidenden Umfragen im Vorfeld der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Wir hatten einen klaren Vorsprung von 7 Prozentpunkten der CDU vor der AfD veröffentlicht und die Online-Umfragen im Auftrag von Spiegel und Bild hatten bis zum Wahlsonntag ein Kopf-an-Kopf vorhergesagt, und das mit medial großer Aufmerksamkeit. Ich kann mir diese Unterschiede u.a. durch die methodische Defizite der Onlineumfragen erklären, die eben nicht auf dem Zufallsprinzip basieren. Die Selbstrekrutierung der teilnehmenden Personen bei Online-Umfragen kann die Repräsentativität deutlich beeinträchtigen und somit zu Verzerrungen in den Ergebnissen führen. Wir befragen telefonisch nach dem klassischen Zufallsprinzip. Das Ergebnis in Sachsen-Anhalt gab uns recht.

Wie erleben Sie die Meinungsforschung in Deutschland?

Wir stehen ständig unter medialer Beobachtung. Zwischen den Medien und der Branche existiert eine Art Hassliebe. Medien veröffentlichen gerade zu Beginn eines Wahlkampfes nahezu unhinterfragt jede Zahl und wenn diese sich als „nicht richtig“ herausstellt, wird auf die Meinungsumfrage und die Institute geschimpft. Für die Forschungsgruppe Wahlen e.V. gesprochen muss ich aber sagen, dass wir uns nichts vorzuwerfen haben. Wir lagen bei den vergangenen Wahlen mit dem Trend immer richtig.

Hat sich Meinungsforschung verändert?

Die Veränderungen in der Meinungsforschung sind vor allem methodischer Art. Wir müssen uns stets wissenschaftlich weiterentwickeln, vor allem wie wir unsere Daten erheben. So mussten wir uns bei der Stichprobe auf neue Gegebenheiten – wie den Mobilfunk – einstellen. Inzwischen kombinieren wir beide Wege, um die Befragten telefonisch zu erreichen.

Gleichzeitig hat durch die Vielzahl an Werbeanrufen die Bereitschaft zur Teilnahme an Telefoninterviews deutlich abgenommen. Aber dennoch ist es so, dass wir von der Datenqualität und dem wissenschaftlichen Anspruch her überzeugt sind, dass wir mit Telefoninterviews die richtige Methode anwenden.

„Man macht Zahlen nicht dadurch repräsentativ, dass man sie im Nachgang gewichtet. Mit der Gewichtung lassen sich lediglich Ergebnisse ausgleichen, wenn beispielsweise gewisse Bevölkerungsgruppen etwas zu oft, oder etwas zu selten in der Stichprobe vertreten sind.“

Wie lässt sich eine repräsentative Stichprobe überhaupt herstellen und wie kommt man daraus zu den publizierten Umfragewerten?

Repräsentativität im sozialwissenschaftlichen und statistischen Verständnis ist definiert über die Auswahlgrundlage der Stichprobe und besagt, dass ich eine Zufallsauswahl benötige. Also das Auswahlverfahren der Leute, die mitmachen, ist wesentlich. Man macht Zahlen aber nicht dadurch repräsentativ, dass man sie im Nachgang gewichtet. Mit der Gewichtung lassen sich lediglich Ergebnisse ausgleichen, wenn beispielsweise gewisse Bevölkerungsgruppen etwas zu oft, oder etwas zu selten in der Stichprobe vertreten sind.

Wo tritt dieses Problem häufig auf?

Onlineumfragen hingegen beruhen nicht auf einer Zufallsauswahl, sondern die Teilnehmer können freiwillig teilnehmen und die Stichprobe ist selbstrekrutierend. Dadurch hat man ein verzerrtes Sample von Leuten, die im Internet aktiv sind und sich freiwillig an Umfragen beteiligen.

Ist das die größte Kritik an Online-Instituten?

Es geht mir gar nicht darum Onlineumfragen zu verteufeln, aber der Anspruch repräsentativ zu sein, hinkt. Denn das sind sie nicht. Da liegt es uns traditionellen Instituten auch daran, den Anspruch an Repräsentativität zu verteidigen. Unsere Arbeit kostet natürlich aber auch mehr, aber ist auch deutlich anspruchsvoller.

Zur Person

Die Soziologin Dr. Yvonne Schroth ist Vorstandsmitglied der Forschungsgruppe Wahlen e.V. Diese erhebt seit über 40 Jahren das Polit-Barometer des ZDF.

Foto: Forschungsgruppe Wahlen e.V.

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