Vielleicht werden wir allen Meinungsforschungsinstituten und Wahlforscher *innen am 26. September ein Schnippchen schlagen und unser Kreuz einfach woanders machen, als sie in diesen Tagen mutmaßen. Doch wahrscheinlich ist das nicht. Denn Demoskop*innen und Wissenschaftler*innen, die sich mit der Frage beschäftigen, warum wir so wählen, wie wir wählen, wissen viel über ihren Untersuchungsgegenstand, uns Wählerinnen und Wähler. Das liegt unter anderem daran, dass wir an der Wahlurne bestimmten Mustern folgen.
Wem wir unsere Stimme geben, wird vor allem durch drei Faktoren bestimmt, sagt Prof. Dr. Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin: Längerfristige Parteibindungen, also das, was wir vielleicht als „politische Heimat“ bezeichnen. Weiterhin Themen, die aktuell als wichtig wahrgenommen werden. Und zum Dritten: Personen – insbesondere die Frage, wie wir das Spitzenpersonal wahrnehmen. „Diese drei Faktoren zusammen erklären im Grunde unsere Wahl.“
Allerdings: Das Gewicht der einzelnen Faktoren verschiebt sich seit einigen Jahren. So gibt es heute deutlich weniger Menschen, die sich an eine Partei gebunden sehen. In den siebziger und achtziger Jahren sagten noch 80 – 85 Prozent der Wähler*innen, dass sie sich einer bestimmten Partei zugehörig fühlten, heute sind es lediglich um die 50 – 60 Prozent. Dabei ist der Grad der Parteibindung im Westen ein bisschen höher als im Osten.
Doch hat nicht nur der Anteil jener abgenommen, die sich überhaupt gebunden fühlen. Zugleich hat auch die Bereitschaft, gegen die eigentliche Überzeugung zu stimmen, zugenommen – zum Beispiel, weil bestimmte Themen als besonders dringend wahrgenommen werden. Dies hat laut Faas zur Folge, dass die langfristigen Faktoren, die unsere Wahlentscheidung prägen, mittlerweile eine weniger große Rolle spielen und kurzfristige Faktoren – wie das aktuelle Tagesgeschehen oder die Wahrnehmung der Kanzlerkandidat*innen – an Gewicht gewinnen. Deshalb, so der Parteienforscher, sei momentan so wahnsinnig viel Dynamik zu beobachten.
Die wahlentscheidenden Faktoren lassen sich ausdifferenzieren: Welche Themen wir als besonders wichtig empfinden und wie wir einzelne Kandidaten beurteilen hat viel damit zu tun, wo und wie wir uns informieren – etwa durch klassische Medien oder über Social Media-Kanäle. Bei der Frage, welcher Partei wir uns verbunden fühlen, spielen Freund*innen und Familie eine wichtige Rolle. Aber auch bestimmte Lebensumstände, unser Arbeitsverhältnis zum Beispiel und ob wir auf dem Land oder in der Stadt wohnen sowie auch unsere Konfession haben Einfluss auf unser Wahlverhalten.
Laut dem Politikwissenschaftler Dr. Timo Lochocki, der an der Berliner Humboldt Universität zum Thema Auf- und Abstieg rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa promoviert hat, sind auch langfristige Faktoren wie unsere Werteorientierungen und persönliche Sozialisationserfahrungen von großer Bedeutung für unsere Wahlentscheidung. Prägend seien dafür insbesondere Kindheits- und Jugenderfahrungen. Hat ein Mensch in seiner Kindheit Veränderungsprozesse als positive Erfahrung erlebt, ist es wahrscheinlicher, dass er eher im progressiven Spektrum zu verorten ist und einem politischen Wandel grundsätzlich positiv gegenübersteht, so seine These. Ist das Gegenteil der Fall und ein Mensch hat in der Kindheit Veränderungsprozesse als negativ erlebt, sei es wahrscheinlicher, dass seine Wertvorstellungen eher dem konservativen Spektrum zuzuordnen sind und er den Erhalt von Vertrautem bevorzugt.