Die UMAR Einheit in Zürich, Foto: Zooey Braun, Stuttgart

„Die Stadt der Zukunft muss nachhaltig gebaut sein.“

Ein Interview mit Prof. Dirk E. Hebel

Mit welchem Teil der Stadtentwicklung beschäftigen Sie sich?

Wenn wir über eine zukünftige Stadt sprechen, dann beschäftigen wir uns mit den Ressourcen, aus denen Städte in Zukunft gebaut werden sollten. Bei der Bereitstellung von Baumaterialien betreiben wir derzeit einen Raubbau an unserer natürlichen Umwelt. Gerade die Ressource Sand und damit auch der Werkstoff Beton, werden künftig nicht mehr so ohne weiteres verfügbar sein. Auch in Deutschland wird der Sand knapp, wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ unlängst titelte.

Deshalb suchen wir zum Einen nach alternativen Baumaterialien und zum Anderen versuchen wir ein Verständnis für neue, nachhaltigere Werkstoffe bei Architekten und Ingenieuren zu etablieren. Ganz grundsätzlich geht es darum, Bauaktivitäten und Materialverbrauch nicht als linearen Prozess zu begreifen, sondern als zirkulierendes System. Die Stadt soll dabei als urbane Mine und Materiallager betrachtet werden, in der die zum Bau eingesetzten Materialien nach deren Nutzung wiederverwendet werden können.

Wie kann man das erreichen?

Sortenreinheit ist dafür ganz wichtig. Wir können die Materialien nur wiederverwenden oder wiederverwerten, wenn die Materialien sortenrein wieder ausgebaut werden können. Das klingt einfach, zieht aber einen ganzen Katalog von Entwurfsentscheidungen nach sich. Wir dürfen beispielsweise nicht mehr kleben, schäumen oder Silikone verwenden – sprich wir müssen das Bauen radikal neu und von Beginn an ganzheitlich denken. Wir müssen begreifen, dass in der Planungsphase nicht nur der Aufbau, sondern auch der Abbau zu unserem Berufsbild dazugehören. Wir müssen alle miteinander die Stadt als Ressource verstehen.

Ist es auch heute schon denkbar solche Materialien einzusetzen?

Wenn man möchte, ist das natürlich möglich. Wir haben beispielsweise in Zürich im Februar dieses Jahres eine Wohneinheit namens „UMAR“ nach diesem Prinzip errichtet.

Dort kommt eine lange Liste an wiederverwendeten oder wiederverwerteten Materialien bereits zum Einsatz. So gibt es aus Altglas hergestellte Küchenarbeitsplatten oder Abdeckungen, Hartfaserplatten aus Essensresten, oder aus Pilzgeflechten bestehende Isolationsmaterialien. Insgesamt nutzen wir in dem Projekt über 60 Materialien, die sortenrein verbaut sind und zuvor bereits eine andere Funktion innehatten oder gezüchtet wurden.

„Das ureigene Interesse eine Gesellschaft ist es, sich weiterzuentwickeln und sich zu verwirklichen. Es geht daher nicht darum, weniger zu bauen, sondern darum, wie wir bauen.“

Was muss passieren, dass sich solche Ansätze dauerhaft durchsetzen?

Einer der Gründe ist, dass wir Architekten noch immer nicht genug dafür sensibilisiert sind. Das muss sich ändern, damit auch Auftraggeber künftig dahingehend beraten werden. Darüber hinaus sind viele der Firmen, die solche Ansätze verfolgen, relativ jung und neu am Markt. Dabei handelt es sich oft um positive Idealisten, also Leute, die wirklich überzeugt sind, dass sich etwas ändern muss. Wir beobachten derzeit eine Veränderung des Marktes, aber es dauert sicher noch eine Weile, bis diese Materialien auch im Baumarkt um die Ecke ankommen. Ich glaube aber, dass je mehr Leute wir von der Idee und der Ästhetik überzeugen, desto schneller die Materialien Einzug in die Branche finden.

Steht die Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit nicht im krassen Gegensatz zu den Aufrufen immer mehr bauen zu müssen?

Wir denken nicht in der Selbstkasteiung und predigen deshalb keinen Verzicht. Ich glaube das ureigene Interesse einer Gesellschaft ist es, sich weiterzuentwickeln und sich zu verwirklichen. Es geht daher nicht darum, weniger zu bauen, sondern darum, wie wir bauen.

Ist es möglich ganze Städte so zu bauen?

Ja klar und ich glaube wir werden in Zukunft auch gar nicht mehr darum herum kommen. Ich werde immer wieder gefragt, ob das auch mit Hochhäusern funktioniert, dabei ist der Hochhausbau eigentlich überhaupt nicht entscheidend und relevant. 80 Prozent der Gebäude weltweit sind maximal zweigeschossig. Für Hochhäuser braucht man sicherlich hochfeste Materialien wie Beton und dagegen habe ich auch gar nichts einzuwenden. Bei den 80 Prozent ist es aber vielleicht gar nicht notwendig knappe Ressourcen zu verbrauchen, sondern die angesprochenen Alternativen zum Einsatz zu bringen.

„Die Umweltschäden, die durch unsere Art zu bauen entstehen, sind signifikant. Wir laufen also auf ein absolutes Horrorszenario zu. Wir brauchen deshalb einen Paradigmenwechsel.“

Wie schnell glauben Sie ist ein solcher Umschwung möglich?

Beispiele aus anderen Branchen zeigen sehr deutlich, dass es sehr schnell gehen kann. In vielen anderen Bereichen sind wir da schon ein Stück weiter. Die Bauindustrie hinkt noch etwas hinterher, aber ich glaube, sobald die Menschen den Mehrwert der alternativen Bauweise sehen, wird sich der Markt auch anpassen.

Ist eine solche Bauweise teurer?

Das ist ein Mythos. Wenn wir die bisherigen Baumaterialien nicht mehr zur Verfügung haben, brauchen wir doch gar nicht mehr über den Preis zu reden. Aus eben diesem Grund bin ich davon überzeugt, dass es sich durchsetzen wird und zwar auch zeitnah.

Was passiert, wenn wir nicht umdenken?

Das sieht man jetzt schon. Wenn man bedenkt, dass zum Beispiel Marokko heute bereits 50 Prozent seiner Strände verloren hat durch gezielten Raub der Ressource Sand oder, dass China in drei Jahren – zwischen 2011 und 2013 – 1,5 mal soviel Beton verbraucht hat, wie die USA im gesamten 20. Jahrhundert, dann sieht man wie problematisch die Situation ist. Die Umweltschäden, die durch unsere Art zu bauen entstehen, sind signifikant. Wir laufen also auf ein absolutes Horrorszenario zu. Wir brauchen deshalb einen Paradigmenwechsel, der ist aus meiner Sicht alternativlos. Ich glaube aber nicht, dass das schon angekommen ist in der Mitte unserer Gesellschaft. Da gibt es noch viel zu tun, vor allem in der Ausbildung, deshalb setzen wir dort mit unserer Lehre an.

Prof. Dirk E. Hebel hält den Lehrstuhl für Nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institut für Technologie – Der Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft inne. Seine Forschung konzentriert sich auf die Untersuchung von Ressourcenkreisläufen, die Entwicklung alternativer Baumaterialien und Konstruktionsmethoden und ihre Anwendung.

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