„Sozialpolitisch betrachtet müssten wir das Wohngeld stärken.“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Michael Voigtländer

Der Druck auf den Wohnungsmarkt in deutschen Städten wächst und die Mieten steigen immer mehr, woran liegt das?

Die Städte leiden unter ihrer eigenen Attraktivität. Seit 2010 gibt es eine starke Zuwanderung, sowohl von Deutschen als auch von Migranten aus dem Ausland. Das liegt daran, dass es überproportional gut bezahlte Jobs in den Städten gibt. In einer Gesellschaft wie der unseren entsteht Wachstum nicht mehr so sehr durch die menschliche Produktion, sondern dadurch, dass neue Ideen entstehen. Dazu ist es nötig, dass kluge und kreative Köpfe zusammen kommen, deshalb haben wir diese Clusterung. Es ist ja ein weltweites Phänomen, dass die Leute in Metropolen ziehen. In den USA zum Beispiel gibt es eigentlich nur an der West- und Ostküste starke wirtschaftliche Aktivität. In Frankreich ist alles sehr zentral in Paris, in Großbritannien gibt es London als großes Wirtschaftszentrum. Wir haben noch verhältnismäßig Glück in Deutschland, dass wir mehrere Zentren haben. Aber diese Zentren ziehen immer mehr Menschen aus dem Umland an und dem müssen wir begegnen.

Die Bautätigkeit kommt bei dieser Entwicklung aktuell nicht hinterher. Die hohen Mieten sind einfach ein Signal der zunehmenden Knappheit auf dem Wohnungsmarkt. Zusätzlich gibt es in Städten eine ungleichere Einkommensverteilung als auf dem Land. Wir haben in Städten viele gut bezahlte Jobs, aber es gibt auch Menschen mit niedrigerem Einkommen, wie zum Beispiel Kindergärtner, Kellner oder Köche. Was für die einen gut leistbar ist, ist für die anderen unerschwinglich. Sie werden an den Stadtrand verdrängt oder müssen prozentual deutlich mehr für das Wohnen ausgeben. Diese soziale Spaltung wird nicht richtig adressiert.

„Wenn wir die Städte besser vernetzen mit Orten wo es Schrumpfungen gibt, dann können wir vielleicht die Wanderungsbewegung etwas steuern.“

Warum werden zu wenige Wohnungen gebaut?

Im Moment gibt es eigentlich viele Investoren, Bauen lohnt sich. Das liegt unter anderem an den aktuell sehr niedrigen Zinsen für Kredite. Worüber alle Projektentwickler klagen ist, dass sie keine Bauflächen bekommen. Die knappen Bauflächen sind ein entscheidender Faktor. Da sind die Kommunen gefordert, denn sie können Bauland ausweisen. Sie kommen dieser Aufgabe aber teilweise zu langsam hinterher. Zum Teil liegt das aber auch an den Bürgern. Ein Beispiel ist das Tempelhofer Feld in Berlin. Dort wäre Platz für tausende Wohnungen. Aber die Bürger haben mit einem Volksbegehren gesagt, dass sie nicht wollen, dass dort gebaut wird. Wir müssen dem Bauen mehr Vorrang einräumen, sonst werden wir die Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht entspannen können.

Welche anderen Möglichkeiten gäbe es, zusätzlich zur Ausweisung von neuem Bauland, um den Wohnungsmarkt zu entlasten?

Es gibt hier vier Optionen: Erstens könnte man nachverdichten, indem man Brachen in der Stadt bebaut. Zweitens hat man die Möglichkeit, höher zu bauen. Damit meine ich nicht nur Hochhäuser, sondern dass man auch bei Mehrfamilienhäusern nach oben geht. Drittens gibt es die Option, neue Stadtviertel zu gründen. Für Großstädte wie Berlin, Hamburg oder München muss das auf Dauer die Alternative sein. Und viertens könnte das Umland besser angebunden werden. Die Leute wollen zentral wohnen und kurze Wege, sind aber bereit S-Bahn, U-Bahn oder ICE-Verbindungen zu nutzen. Wenn ich schnell und bequem in die Stadt pendeln kann, nehme ich das auch wahr. Auf der ICE-Strecke zwischen Köln und Frankfurt gibt es die Orte Limburg und Montabaur, eigentlich zwei kleine ruhige Städtchen, die aber seit einigen Jahren wachsen. Das Angebot, in 30 bzw. 45 Minuten in Köln oder Frankfurt zu sein, ist für die Leute attraktiv. Wenn wir die Städte besser vernetzen mit Orten wo es Schrumpfungen gibt, dann können wir vielleicht die Wanderungsbewegung etwas steuern.

„Durch den Verkauf von kommunalen Wohnungen schaffen sich die Kommunen viel Freiraum, den sie vielleicht brauchen, um in die Infrastruktur zu investieren oder neue Stadtviertel aufzubauen.“

Wie kann man Mieter mit niedrigem Einkommen vor stark steigenden Mieten schützen?

Es sollte einen intensiven Dialog zwischen Mietern und Vermietern geben, wenn Modernisierungsmaßnahmen geplant sind. So verhindert man eine Überlastung der Mieter. Ein Veto für die Mieter wäre zu weitgehend, aber in schweren Fällen könnte man auf Streitschlichter setzen. Bei großen Beständen ist es teilweise so, dass die Unternehmen den Mietern die Möglichkeit anbieten, in den unsanierten Teil zu ziehen. Sozialpolitisch betrachtet müssten wir das Wohngeld stärken. Mit diesem Instrument ist es möglich, Haushalte, die über dem Grundeinkommen liegen aber hohe Wohnkosten haben, zu entlasten. Das große Problem mit dem Wohngeld ist, dass es zu selten reformiert wird. Es wird nur alle sieben Jahre angepasst. Wenn es häufiger und unter Berücksichtigung der Dynamiken auf dem Mietmarkt angepasst werden würde, hätten viele Menschen weniger Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt.

Sollten Kommunen wieder stärker eigene Wohnungen auf dem Markt anbieten?

Die Wohnungsgemeinnützigkeit gibt es ja seit den 1990er Jahren nicht mehr. Die Kommunen haben heute private Unternehmen, die selber entscheiden können, wie sozialpolitisch und wie mieterorientiert sie agieren. Das ist sehr unterschiedlich zwischen den Kommunen. Ein großer Teil der Mieter in kommunalen Wohnungsgesellschaften hat ein relativ hohes Einkommen. In Berlin verfügen mehr als 20 Prozent von ihnen über ein Einkommen, das bei 120 Prozent oder mehr des bundesdeutschen mittleren Einkommens liegt. Da stellt sich die Frage: Ist das vernünftige Sozialpolitik, wenn am Ende viele profitieren, die gar keine Unterstützung brauchen? Durch den Verkauf von kommunalen Wohnungen schaffen sich die Kommunen dagegen viel Freiraum, den sie vielleicht brauchen, um in die Infrastruktur zu investieren oder neue Stadtviertel aufzubauen. Um bedürftige Personen zu unterstützen wäre es besser, von der Objektförderung auf die Subjektförderung zu gehen– also statt Sozialwohnungen zu bauen, das Wohngeld als sozialpolitisches Mittel einzusetzen.

Zur Person:

Der Volkswirt Prof. Dr. Michael Voigtländer ist Leiter des Kompetenzfelds Finanzmärkte und Immobilienmärkte am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

Foto: privat

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