Wie bewerten Sie nun die aktuelle Diskussion um ein Embargo russischer Energieimporte aus geopolitischer Sicht?
Natürlich ist die Diskussion aus geopolitischer und aus moralischer Sicht absolut berechtigt. Kurzfristig ist aber ein Embargo der Energielieferungen aus Russland nicht möglich – aus wirtschaftlichen und aus politischen Gründen: Ein unvorbereiteter Stop würde unsere Industrie und die einzelnen Haushalte hart treffen und zahlreiche Arbeitsplätze kosten.
Das könnte unseren geopolitischen Verhandlungsspielraum gegenüber Russland schwächen, denn für Russland ergibt sich die Verhandlungsmacht aus Wohlstand und einer starken Wirtschaft. Wir könnten Gefahr laufen, dass Russland nicht mehr mit uns verhandelt – sondern über unseren Kopf hinweg mit den USA. Wir müssen für den europäischen Raum aber weiterhin die bleiben, die mitentscheiden. Eine Destabilisierung des deutschen Wirtschaftsstandortes hätte auch erhebliche Folgen für die Nachbarländer wie Italien und die Niederlande. Denn Deutschland dient als Wohlstandsmultiplikator. Deswegen wäre auch aus politischen Gründen ein sofortiger und umfassender Lieferstopp nicht sinnvoll. Besser wäre es, mit Kohle und Öl anzufangen, weil die leichter zu ersetzen sind. Bei Gas müsste ein Embargo langfristig geplant werden.
Die Vorbereitungen auf einen möglichen Lieferstopp laufen ja schon: Robert Habeck war kürzlich in Katar, um dort über Lieferungen von Flüssiggas zu verhandeln. Welche geopolitischen Verschiebungen würde das mit sich bringen?
Erstmal muss Flüssiggas überhaupt in nennenswerten Mengen zum Export vorhanden sein. Das könnte noch drei Jahre dauern, denn aktuell sind keine zusätzlichen Volumen da. Wenn es dann aber so weit ist, ist das eine enorme geopolitische Umstellung für Deutschland: Historisch sind die Golf-Staaten keine Region zu der Deutschland enge politische Beziehungen gepflegt hat. Das heißt, wir müssten mehr diplomatische Bemühungen in die Stabilität dieser Region investieren. Außerdem sind wir dann zunehmend vom maritimen Güterhandel abhängig. Wir werden aber keinen direkten Zugang zu den offenen Meeren haben und brauchen eine Infrastruktur, die uns beliefert. Es wäre also eine komplett neue Geoökonomie, die viele geopolitische Fragen aufwirft.
Nun hat die EU vor einigen Tagen einen gemeinsamen Einkauf von Gas und Flüssiggas beschlossen. Welche Vorteile und Herausforderungen kann ein europäisches Vorgehen mit sich bringen?
Die Vorteile liegen auf der Hand: Die EU kann gemeinsam viel besser verhandeln und dadurch auch etwas einsparen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt sind mir noch zu viele Fragen offen, um das einschätzen zu können: Wer soll einkaufen – die Kommission oder mithilfe von EU-Bonds? Oder werden das private Unternehmen sein? Wie würden die Preisverhandlungen aussehen? Wie werden die Mengen unter den Ländern verteilt und mit welchem Schlüssel? Ich habe den Eindruck, dass die Diskussion bisher noch zu oberflächlich bleibt.