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„In 15 Jahren ein normales Produkt“

Sind deutsche Verbraucher*innen bereit für Fleisch aus dem Bioreaktor? Der Biologiedidaktiker Dr. Florian Fiebelkorn von der Universität Osnabrück meint ja – wenn Vermarktung und Informationen stimmen.

Die Universität Osnabrück hat eine Umfrage zur Akzeptanz von kultiviertem Fleisch durchgeführt.. Würde es in Deutschland Kund*innen finden? 

58 Prozent der befragten Personen haben gesagt, dass sie einen Burger aus kultiviertem Fleisch essen würden. Das ist eine beachtliche Offenheit für ein so innovatives Lebensmittel. Wir wissen aber, dass die Antwort sehr von der Formulierung der Frage und der Verwendung der Begriffe abhängt. Wenn ich Menschen frage, ob sie bereit sind, Fleisch aus dem Reagenzglas oder Laborfleisch zu essen, reagieren sie eher negativ. Fragt man nach der Bereitschaft, kultiviertes Fleisch zu essen und erklärt den Herstellungsprozess analog zu dem Wachstum eines Tieres, steigt die Akzeptanz. 

Die Benennung wird also zentral für den Erfolg sein?

Ja, die Akzeptanz wird wesentlich davon abhängen, wie das Produkt genannt wird. Je weniger der technologische Aspekt herausgestellt wird, desto besser. Der Schwerpunkt sollte auf der Ähnlichkeit mit dem konventionellen Fleisch liegen.

Ist da der Begriff des kultivierten Fleisches der richtige oder müsste man an dem noch arbeiten?

Das ist jedenfalls der Begriff, auf den sich die wichtigsten Stakeholder, unter anderem der Verband für alternative Proteinquellen oder auch das Good Food Institute (GfI) geeinigt haben, weil es der neutralste und aus deren Sicht ehrlichste Begriff ist, wenn es um diesen Fleischtypus geht. Ich persönlich würde es einfach Fleisch nennen und auf die Zutatenliste einen Hinweis setzen, aus welcher Quelle das Fleisch gewonnen wurde. Als Biologe macht es für mich keinen großen Unterschied für das Endprodukt, ob ich eine Stammzelle nehme und sie in einem Bioreaktor vermehren und wachsen lasse oder ob Zellen in einem Tier wachsen.

Gibt es Bevölkerungsgruppen, die offener und weniger offen für kultiviertes Fleisch sind?

Sehr plakativ dargestellt würde ich sagen: Jüngere sind offener als Ältere, Männer offener als Frauen, Gebildete offener als Ungebildete.

„Angst und Ekel sind Basisemotionen, die sich gegenseitig bedingen; neuartige Lebensmittel werden häufig als eklig empfunden.“

Aus welchen Gründen lehnen Menschen es ab?

Da gibt es zwei Hauptgründe: Der erste ist zusammengefasst unter dem Begriff „Food Neophobia“, also die Angst vor neuartigen Lebensmitteln. Es ist extrem schwierig, neuartige Nahrungsmittel in eine Esskultur einzuführen. Kultiviertes Fleisch ist ein komplett neu kreiertes Lebensmittel und kommt nicht wie Insekten oder Sushi aus einem anderen Kulturkreis. Das macht vielen Menschen einfach Angst, weil sie nicht einschätzen können, wie es hergestellt wird, was es mit ihnen macht oder ob es nachhaltig ist. 

Und der zweite Grund? 

Das ist der Ekel. Angst und Ekel sind Basisemotionen, die sich gegenseitig bedingen; neuartige Lebensmittel werden häufig als eklig empfunden. Labor und Reagenzglas erwecken zudem eher negative Konnotationen. Dann gibt es noch die spezielle Angst vor neuartigen Herstellungsmethoden, die wird besonders bei In-vitro-Fleisch angesprochen. Kaum jemand versteht bisher, wie das genau produziert wird.

Wo sehen Sie die Zielgruppe für das Produkt?

Studien weisen darauf hin, dass kultiviertes Fleisch vor allem Menschen anspricht, die aus eigenem Antrieb ihren konventionellen Fleischkonsum reduzieren wollen oder in moralisch ethischen Konfliktsituationen sind und sich dafür rechtfertigen müssen, dass sie noch Fleisch essen. Der soziale Druck auf Fleischessende von Seiten der Vegetarier*innen und Veganer*innen wird in bestimmten sozialen Kontexten immer höher. In bestimmten Zirkeln ist es mittlerweile fast eine Schande, sich zum Fleischkonsum zu bekennen – ähnlich wie bei Flugreisen. Wer kultiviertes Fleisch isst, kann mit dem besseren Tierwohl argumentieren sowie dem minimalen CO2-Fußabdruck in der Herstellung. Das sind ja für viele die Hauptgründe, kein Fleisch zu essen.

Ließen sich also auch Vegetarier*innen und Veganer*innen mit diesem Argument zu einem Burger aus kultiviertem Fleisch überreden?

Sie sind nicht unbedingt die primäre Zielgruppe. Fleischaffine Vegetarier*innen, denen der Verzicht schwer fällt, könnten davon vielleicht überzeugt werden. Aber erst dann, wenn vegane Nährlösungen entwickelt worden sind, die das fetale Kälberserum im Herstellungsprozess ablösen. Noch ist dies oftmals nicht der Fall, also müssen derzeit noch immer Tiere für die Produktion von kultiviertem Fleisch sterben. Und immer ist das Ausgangsmaterial eine tierische Stammzelle. Allerdings wird derzeit intensiv an veganen Alternativen zu dem fetalen Kälberserum gearbeitet.

„Wir brauchen eine ausgewogene und wertneutrale Darstellung aller Vor- und Nachteile von kultiviertem Fleisch.“

Wie könnte man unter Skeptiker*innen Akzeptanz schaffen?

Durch eine zielgruppengerechte Ansprache, ehrliches Marketing und durch Informationen über das Herstellungsverfahren, mit allen Vor- und Nachteilen. Da kommt eine große Herausforderung im Bildungsbereich auf uns zu: Wir brauchen eine ausgewogene und wertneutrale Darstellung aller Vor- und Nachteile von kultiviertem Fleisch. Konsument*innen müssen nicht nur das Bild vermittelt bekommen, dass es die Rettung der Welt ist. Die Herstellung von Kälberserum, das derzeit noch von vielen Stakeholdern genutzt wird, ist grausam und extrem teuer. Zudem ist das Herstellungsverfahren noch sehr energieaufwändig. Und auch für die Herstellung von kultiviertem Fleisch werden Tiere instrumentalisiert, da man ihre Zellen benötigt. Das alles sind Herausforderungen, die es in Zukunft zu meistern gilt.

Auf politischer Ebene brauchen wir beschleunigte Zulassungsverfahren und eine Klärung der Kennzeichnungspflicht. Akzeptanz kann man übrigens auch durch Medien und Kultur schaffen, indem man das Thema beispielsweise in Büchern, Filmen oder Theaterstücken aufgreift. „Kultiviertes Fleisch“ muss als Begriff in der Mitte der Gesellschaft ankommen und zur neuen Normalität werden.

Welche Rolle spielt die Verpackung und Vermarktung?

Das wird sehr interessant werden. Die Bezeichnung des Produkts ist eine große ungeklärte Frage. Nach dem Lebensmittelrecht ist es kein Fleisch, da es nicht von einem geschlachteten Tier stammt. Also darf man es nach derzeitigem Stand auch nicht so nennen. Bildlich sollten keine Bezüge zu Laboren und dem technologischen Verfahren hergestellt werden. Also bloß kein Reagenzglas auf die Verpackung.

Wie wichtig wird der Preis für die Akzeptanz?

Er spielt neben dem Geschmack die wichtigste Rolle. Kultiviertes Fleisch wird sich erst in der Breite durchsetzen, wenn es preislich mit konventionellem Fleisch mithalten kann. Bei Insektenburgern haben wir beobachtet, dass ihr Verkauf mit dem sinkenden Preis anstieg. Ich gehe davon aus, dass kultiviertes Fleisch zunächst als teures und rares Luxusprodukt auf den Markt kommt und sich dann mit größeren Produktmengen und sinkendem Preis weiter etablieren wird. Am Anfang werden eher Leute mit gutem Einkommen und die „sensation seeker“ zugreifen, die neugierig auf die neue Erfahrung sind.

„Ich gehe davon aus, dass kultiviertes Fleisch für meine Kinder in vielleicht 15 Jahren ein normales Produkt sein wird.“

Um den Preis zu senken, muss es aber erst in großen Mengen produziert werden und breit verfügbar sein. 

Ja und das ist durchaus realistisch. Bereits jetzt sind etliche große Unternehmen aus dem Ernährungssektor in die Entwicklung von kultiviertem Fleisch eingestiegen, weil sie damit rechnen, dass es irgendwann in den Supermärkten ankommt. Dann wollen sie natürlich auch am Erfolg teilhaben. Niemand weiß heute, wann das sein wird und wie die Kund*innen reagieren werden. Vielleicht wird es irgendwann bei Burger King und McDonald’s erhältlich sein. Dort gibt es ja mittlerweile auch viele vegetarische und vegane Optionen im Sortiment, beide Unternehmen greifen sehr gerne Ernährungstrends auf. Spätestens dann ist der Durchbruch geschafft, denn dann werden viele Leute überzeugt sein, dass es gut und sicher ist. Ich gehe davon aus, dass kultiviertes Fleisch für meine Kinder in vielleicht 15 Jahren ein normales Produkt sein wird. Vieles auf dem Weg ist eine große Überraschung. Derzeit ist jedoch noch vieles reine Hypothese. Niemand weiß, wann die Produkte in Europa zugelassen und erhältlich sein werden und wie die Konsument*innen dann reagieren. Aber dass kultiviertes Fleisch auf den Markt kommen wird, ist sicher. In Singapur ist kultiviertes Hähnchenfleisch bereits zugelassen.

Haben die vielen neuen Fleischersatzprodukte, die ja bereits auf dem Markt sind, die Offenheit für neue Lebensmittel bereitet? 

Ja, vor allen unter den die Jüngeren. Wenn In-vitro-Fleisch auf den Markt kommt – wahrscheinlich erst als Burger-Patty – werden sie das mal ausprobieren. Und dann hängt es vom Geschmack, der Textur  und eben auch vom Preis ab, ob sie dabei bleiben.

 

Zur Person

Dr. Florian Fiebelkorn ist Vertreter des Lehrstuhls „Biologiedidaktik“ an der Universität Osnabrück. In einer Studie untersuchte er mit anderen Wissenschaftlerinnen die Einstellung von Bürger*innen gegenüber Cultured Meat.

Foto: Sebastian Holt/ Universität Osnabrück