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„Denkmäler sind immer Inszenierungen.“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Birgit Dorner

Wie bewerten Sie die aktuellen Denkmalstürze von Colston, Kolumbus und weiteren in den USA und Europa?

Insgesamt kann ich die Wut der People of Colour sehr gut nachvollziehen – gerade durch aktuelle politische Tendenzen wie die White-Supremacy-Politik des aktuellen US-Präsidenten und dem allgemeinen Rechtsruck und Alltagsrassismus in vielen Gesellschaften. Da verwundert es mich nicht, dass sich diese Wut symbolische Orte sucht, um sich zu entladen. Was ich allerdings weniger nachvollziehen kann, ist die generelle Forderung alle Kulturdenkmäler abzubauen, die in irgendeinem Zusammenhang mit Kolonialismus stehen und Rassismus transportieren. Das ist zwar politisch nachvollziehbar, aber faktisch sehr komplex, da viele historische Biografien ambivalent sind. Es rücken ja auch schon echte politische Ikonen, wie George Washington oder Mahatma Gandhi in den Fokus der Diskussion. Diese Debatte wirft die Frage auf, aufgrund welcher Kriterien ein Denkmal gestürzt werden sollte und ob es nur solche Denkmäler betrifft, die Rassismus transportieren, oder auch solche die beispielsweise frauenfeindliches oder homophobes Gedankengut transportieren. 

Was sagen die Aktivitäten über unsere aktuelle Gesellschaft und insbesondere über die Personen, die Denkmäler zum Umsturz bringen, aus?

Personen, die Denkmäler zum Umsturz bringen, schreiben diesen zuallererst einen hohen Symbolwert zu. Es geht allerdings bei Denkmälern nicht nur um die dargestellte Person, sondern darum, dass sie durch die Darstellungsform zum Symbol und das Denkmal an sich zum symbolischen Ort wird. Und dazu ist es wichtig zu sehen, wie es in die lokalen lebensweltlichen Bezüge der Person, die das Denkmal stürzt, eingebunden ist. Die überregionalen Diskurse führen lokal zu einer neuen Aufmerksamkeit bezüglich der Denkmäler und ihres symbolischen Gehalts, so dass in der Folge Denkmäler zu Fall gebracht werden.

„Denkmäler sind daher immer Inszenierungen und mit ihnen wird ein Symbol für die Person oder das Ereignis geschaffen.”

Was zeichnet ein Denkmal ganz allgemein aus?

Denkmäler werden aufgestellt, um einer kulturell bedeutsame Persönlichkeit oder eines bedeutsamen Ereignisses einer Zeit in einer bestimmten Kultur zu gedenken. Der zeitliche Aspekt und Kulturraum sind hier ganz zentral. Denn Denkmäler sind nie für alle gedacht, in jedem Denkmal manifestieren sich viele verschiedene Diskurse, insbesondere kulturelle Machtdiskurse, weshalb es errichtet wird. Diese werden von den beauftragten Künstler*innen aufgegriffen. Aus der Biographie der darzustellenden Person oder aus dem Ereignisses werden ein oder mehrere Aspekte ausgewählt, hervorgehoben, die durch die künstlerische Sprache zum Ausdruck gebracht werden. Denkmäler sind daher immer Inszenierungen und mit ihnen wird ein Symbol für die Person oder das Ereignis geschaffen.

Wie haben sich Denkmäler über die Jahre verändert?

In der Vergangenheit wurde für ein Denkmal nicht nur eine Statue als solche geschaffen, sondern auch der sie umgebende Ort gestaltet. Dafür wurde der Standort bewusst gewählt – ein Reiterstandbild findet sich klassischerweise auf einer erhöhten Position, Denkmäler von bedeutsamen Personen auf einem massiven Sockel, als Symbol ihrer Macht. Viele dieser Statuen stehen im Mittelpunkt von zentral ausgerichteten Plätzen. Heutige, zeitgenössische Denkmäler in unserer Kultur wie das Holocaust-Denkmal in Berlin stellen oft die körperlich-leibliche, ganzheitliche Dimension der Erfahrung in den Vordergrund, so dass die Betrachtenden durch das sich Bewegen an dem Ort ergriffen werden.

Vom Denkmal ergriffen zu werden war zwar früher auch der Anspruch, allerdings hat sich unsere ästhetische Sprache im Laufe der Zeit so verändert, dass wir von früheren Inszenierungen oft gar nicht mehr berührt werden.

„Die ganz unterschwellige Vermittlung von Gedenkkultur geschieht über Sozialisation – über das Lernen in der Familie und das Lernen im örtlichen Kontext.”

Wie kann ein Denkmal oder ein Gedenkort den Betrachter ergreifen und wie kann der Effekt auch in Zukunft wirken? 

Die ganz große Schwäche eines Denkmals ist es, dass sich die ästhetische Sprache einer Gesellschaft in sehr kurzen Zeiträumen ändern kann. Dadurch ist die langfristige Wirkung eines Denkmals gar nicht richtig abzuschätzen. Diese Änderung der künstlerischen Codes kann dazu führen, dass Denkmäler überhaupt nicht mehr funktionieren oder ganz andere Botschaften transportieren. Ein ehemals heroisch gemeintes Denkmal kann so sehr schnell furchtbar lächerlich wirken. Das kennen wir auch von Inszenierungen des künstlerischen Sozialistischen Realismus, den wir in seiner künstlerischen Wirkung heute so gar nicht mehr nachvollziehen können, der aber zu seiner Zeit sehr wohl wirkmächtig war.

Eine weitere Frage bezogen auf die Wirkung eines Gedenk-Ortes ist ja, in welcher Form soll eigentlich an was, wie erinnert werden, welche Wirkung soll erzeugt werden – geht es um ein Heldengedenken, ein Gedenken an die Opfer, um eine Befreiung, eine Vernichtung? Denn damit entstehen jeweils ganz andere Anforderungen an die künstlerische Umsetzung.

Sie sind als Kunstpädagogin in der Gedenkstättenarbeit tätig. Wie wird Gedenkkultur überhaupt vermittelt?

Gedenkkultur bildet sich über verschiedenste Ebenen. Die ganz unterschwellige Vermittlung von Gedenkkultur geschieht über Sozialisation – über das Lernen in der Familie und das Lernen im örtlichen Kontext wird erfahren, was „erinnerungswürdig” in einer Gesellschaft und insbesondere auch in der jeweiligen Subkultur ist. Das ist die eher implizite Ebene. Die zweite implizite Ebene sind die politischen Inszenierungen, also beispielsweise wie Politik Jahresgedenktage zelebriert und dies auch medial vermittelt. Und darüber hinaus wird an Schulen oder Gedenkstätten ganz explizit Erinnerungsarbeit zu ganz unterschiedlichen Themenfeldern betrieben und damit zur Gedenkkultur in einer Gesellschaft beigetragen.

„Erinnerungsarbeit ist immer dann nicht zielführend, wenn sie die Zielgruppe und ihre Interessen völlig außen vor lässt.”

Wie sähe denn ein „richtiger” Umgang mit Denkmälern und Erinnerungskultur aus?

Zentral für die Bildungsarbeit im Erinnerungskontext ist immer einen Lebensweltbezug zu schaffen, damit ein Diskurs, der als „erinnerungswürdig” angesehen wird, wach bleibt. Denn um Erinnerung wach zu halten, genügen längst nicht nur historische Fakten, sondern die Erinnerung, das Gedenken muss für die Einzelnen Bedeutung erlangen, Sinn machen. Beispielsweise sollte in der Gedenkstättenpädagogik aktuell dementsprechend der Bogen von der NS-Geschichte zu den Folgen des Kolonialismus und zu Alltagsrassismus gespannt werden, um die historischen Diskurse bedeutsam für heutige Jugendliche zu machen. Erinnerungsarbeit ist immer dann nicht zielführend, wenn sie die Zielgruppe und ihre Interessen völlig außen vor lässt. Es gibt viele Facetten, in denen Erinnerungsarbeit nicht perfekt oder problematisch ist, beispielsweise wenn sie zu textlastig ist und andere Dimensionen der Auseinandersetzung außen vor lässt. Aber falsch ist sie nur dann, wenn sie überhaupt keine Resonanz erzeugt. 

In der Kunstgeschichte ist das Phänomen des Ikonoklasmus bekannt – also das Zerstören heiliger Bilder und Denkmäler. Was sind die theoretischen Überlegungen dahinter, dass es immer wieder in der Geschichte zum Bildersturm kommt? 

Das grundlegende theoretische Prinzip hinter Ikonoklasmus ist, dass ein Bildwerk, ein ganz starkes Zeichen für etwas wird, quasi eine Ikone für dieses wird, das vernichtet werden muss. Es kristallisiert sich im Diskurs als solches heraus und wird dann als Symbol dessen, auf das es verweist vernichtet. Insbesondere bei gestürzten Herrschern oder Machtführern, wie bei Saddam Hussein oder Lenin ist dieses Phänomen bekannt, aber auch bei Symbolen, die für ein bestimmten Regime, oder eine bestimmte Glaubensrichtung stehen. Ikonoklasmus gab und gibt es nicht nur nach Erfolgen einer Gruppierung über eine andere, sondern auch während Prozessen des Aushandelns, wie wir es aktuell in den USA ganz aktiv erleben. Dazu gibt es auch historische Beispiele: Im Zuge der Glaubensauseinandersetzung und der Entstehung der protestantischen Kirche im 16. Jahrhundert wurden von Anhängern der neuen Glaubensrichtung Abbildern von katholischen Heiligen die Köpfe abgeschlagen, um eben diese als Symbole des Katholizismus zu zerstören und damit ein Zeichen in der Auseinandersetzung zu setzen.

„Insgesamt muss sich eine Gesellschaft die Frage stellen, mit welchen Denkmälern sie eigentlich leben will”

Wie sollte man von Seiten der Politik auf die Gesellschaft wirken und somit Ikonoklasmus verhindern?

Es ist gar nicht einfach, darauf entsprechend zu reagieren. Diese Denkmäler militärisch zu verteidigen, oder sie sofort wieder zu errichten kann aus meiner Sicht nicht die Lösung sein. Es geht sehr viel mehr um ein genaues Hinhören und um die Frage, warum genau diese Denkmäler zur Ikone stilisiert werden, die zerstört werden muss, und was die vielschichtigen Bedeutungen hinter dem Zerstörungshandeln sind, um eine adäquate Lösung im Umgang mit den gestürzten Denkmälern zu finden. Es werden ja derzeit nicht nur die Denkmäler gestürzt, sondern durch die gleiche Bewegung auch gute politische Ideen transportiert, über die man diskutieren sollte.

Insgesamt muss sich eine Gesellschaft die Frage stellen, mit welchen Denkmälern sie eigentlich leben will und welche die jeweilige Gesellschaft symbolisieren. Dabei ist auch klar, dass es Denkmäler gibt, die für unsere heutige Gesellschaft eher bedeutungslos sind und andere, die ganz bewusst eine Umgestaltung oder Kontextualisierung benötigen.

Was sollte denn Ihrer Meinung nach ganz konkret mit den gestürzten Denkmälern geschehen?

Wir brauchen eine offene Diskussion über die gestürzten Denkmäler. Meine Position wäre eine andere, neue künstlerische Inszenierung mit den gestürzten Denkmälern zu schaffen, bei denen eventuell auch Teile des Denkmals wieder aufgestellt werden könnten mit zusätzlichen Bearbeitungen – diese sollten idealerweise reversibel sein, damit sie in Zukunft abwandelbar wären. Allerdings gibt es auch Denkmäler, die weder bezüglich des Ortes noch hinsichtlich der dargestellten Person, noch bezogen auf die Inhalte wofür das Denkmal steht, zu unserer kulturellen Identität passen. Diese gehören am besten entfernt. Und wenn so ein Denkmal allein aufgrund seines künstlerischen Gehaltes erhaltenswert ist, müsste man es einen musealen Kontext überführen mit entsprechenden Erklärungen.

 

 

Zur Person

Prof. Dr. Birgit Dorner ist Professorin für Kunstpädagogik in der Sozialen Arbeit an der Katholischen Stiftungshochschule München. Schwerpunkte ihrer Forschung sind die unter anderem die neue Ästhetik in sozialen Kontexten und Kunstpädagogik in der Gedenkstättenarbeit.

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