Der Wissenschaftler ist alarmiert: „Wären digitale Sequenzinformationen nicht mehr frei verfügbar, sondern erst nach Erteilung von Einzelgenehmigungen durch jedes einzelne Herkunftsland zugänglich, würde die Verarbeitung biologischer Daten wie bisher praktisch unmöglich.“ Dr. Doris Schroeder, Professorin für Moralphilosophie und Direktorin des Centre for Professional Ethics School of Sport and Health Sciences an der University of Central Lancashire im Vereinigtes Königreich, ist zudem skeptisch, was die Umsetzung der Forderung betrifft. Die im Nagoya-Protokoll vereinbarten Ausgleiche beziehen sich auf die Nutzung genetischer Ressourcen, also auf Material pflanzlicher, tierischer oder mikrobieller Herkunft. Doch in Montreal geht es um Daten. „Der Ursprung von digitalen Sequenzinformationen ist deutlich schwieriger zu verfolgen als der Ursprung von physischen Proben tierischen oder pflanzlichen Ursprungs“, gibt sie zu bedenken. Und dennoch gelte es, eine Lösung zu finden: Die Geschichte des Ressourcen-Austauschs zwischen Nord und Süd sei von dramatischer Ausbeutung gekennzeichnet, sagt sie. Der Norden stehe in der Pflicht.
So steht der Gipfel vor der schweren Aufgabe, die berechtigten Ansprüche insbesondere der indigenen Völker und die Erfordernisse der Wissenschaft unter einen Hut zu bringen. Den Forschenden bereiten dabei nicht in erster Linie eventuelle Ausgleichszahlungen Kopfzerbrechen, sondern vielmehr die Handhabbarkeit eines solchen Prozesses. Wen muss man um Erlaubnis bitten? Und was, wenn digitale Informationen aus zahlreichen Quellen herangezogen werden? „Vom Einzelfall abhängige Genehmigungsverfahren sind absolut unvereinbar mit dem existierenden System tausender weltweit verlinkter Sequenzdatenbanken, in denen Milliarden frei zugänglicher Sequenzen permanent ausgetauscht werden“, so Overmann. Er befürwortet einen Vorschlag internationaler Wissenschaftler*innen aus 18 Ländern. Der sieht einen weiterhin freien Zugang zu den Datenbanken vor und will zugleich über Zahlungen in einen Fonds den Biodiversitätsschutz in den Ländern des globalen Südens fördern.
Auch Dr. Jens Freitag, Leiter der Geschäftsstelle, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben spricht sich für einen Fonds mit einem definierten Verteilungsschlüssel aus. Gefüllt werden könnte der zum Beispiel mit einer Kleinsteuer auf Laborausrüstungen.