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Wem gehören Gene von Pflanzen?

Biodiversitätsforschende fürchten Beschränkung des freien Zugangs zu genetischen Informationen

Die internationale Wissenschaftsgemeinschaft schaut mit Anspannung auf die bevorstehende UN-Biodiversitätskonferenz (COP 15) in Montreal. Denn dort wird auch über den freien Zugang zu internationalen Datenbanken mit genetischen Informationen entschieden. Einige Länder des globalen Südens fordern Zugangshürden für Daten, die auf ihren Ressourcen basieren.

„Digitale Sequenzinformationen sind unabdingbare Voraussetzung der modernen lebenswissenschaftlichen Forschung und Entwicklung. Sie dienen beispielsweise der Identifizierung neuer Arten, dem Biodiversitätsmonitoring und -schutz und der zuverlässigen Diagnose von Krankheiten.“

Dr. Jörg Overmann, wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts DSZM

Für viele Forscherinnen und Forscher sind die nach dem Open-Source Prinzip funktionierenden Plattformen jedoch unentbehrlich. Auf ihnen sind rund 228 Millionen Sequenzen abgespeichert, auf die 34 Millionen Mal im Jahr zugegriffen wird. „Digitale Sequenzinformationen sind unabdingbare Voraussetzung der modernen lebenswissenschaftlichen Forschung und Entwicklung. Sie dienen beispielsweise der Identifizierung neuer Arten, dem Biodiversitätsmonitoring und -schutz und der zuverlässigen Diagnose von Krankheiten“, erklärt Dr. Jörg Overmann, Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Institut DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen und Professor für Mikrobiologie an der Technischen Universität Braunschweig.

Insbesondere Länder des globalen Südens möchten hingegen an der Nutzung von genetischen Informationen partizipieren, die auf ihren Gebieten gewonnen wurden oder von Materialien aus ihren Ländern stammen. Wo diese Nutzung in Profite mündet, zum Beispiel bei der Produktion von Kosmetika und Medikamenten, möchten sie daran beteiligt werden. Der Disput schwelt seit längerem. Im sogenannten Nagoya-Protokoll wurde bereits eine Genehmigungspflicht vereinbart, wenn beispielweise Proben dort heimischer Pflanzen über Landesgrenzen transportiert und in einem reichen Land kommerziell verwertet wurden.

Im Nagoya-Protokoll verpflichten sich die Vertragsstaaten, die Vorteile, die sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergeben, mit den Ursprungsländern gerecht zu teilen. Im Falle einer kommerziellen Nutzung kann das Ausgleichzahlungen einschließen. So sollen unter anderem indigene Völker, die die Artenvielfalt in ihren Gebieten über Jahrhunderte geschützt und erforscht haben, an der wirtschaftlichen Verwertung ihres Wissens partizipieren.

Der in Montreal zu entscheidende Konflikt dreht sich um die Ausweitung solcher Ausgleichsmechanismen auf digitale Informationen. Sie liegen noch in einer Art Grauzone. „Digitale Sequenzinformationen fallen bisher nicht unter die Beschränkungen des Nagoya-Protokolls“, erläutert Jörg Overmann. Eben dies soll sich nun ändern.

„Wären digitale Sequenzinformationen nicht mehr frei verfügbar, sondern erst nach Erteilung von Einzelgenehmigungen durch jedes einzelne Herkunftsland zugänglich, würde die Verarbeitung biologischer Daten wie bisher praktisch unmöglich.“

Dr. Jörg Overmann, wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts DSZM

Der Wissenschaftler ist alarmiert: „Wären digitale Sequenzinformationen nicht mehr frei verfügbar, sondern erst nach Erteilung von Einzelgenehmigungen durch jedes einzelne Herkunftsland zugänglich, würde die Verarbeitung biologischer Daten wie bisher praktisch unmöglich.“ Dr. Doris Schroeder, Professorin für Moralphilosophie und Direktorin des Centre for Professional Ethics School of Sport and Health Sciences an der University of Central Lancashire im Vereinigtes Königreich, ist zudem skeptisch, was die Umsetzung der Forderung betrifft. Die im Nagoya-Protokoll vereinbarten Ausgleiche beziehen sich auf die Nutzung genetischer Ressourcen, also auf Material pflanzlicher, tierischer oder mikrobieller Herkunft. Doch in Montreal geht es um Daten. „Der Ursprung von digitalen Sequenzinformationen ist deutlich schwieriger zu verfolgen als der Ursprung von physischen Proben tierischen oder pflanzlichen Ursprungs“, gibt sie zu bedenken. Und dennoch gelte es, eine Lösung zu finden: Die Geschichte des Ressourcen-Austauschs zwischen Nord und Süd sei von dramatischer Ausbeutung gekennzeichnet, sagt sie. Der Norden stehe in der Pflicht.

So steht der Gipfel vor der schweren Aufgabe, die berechtigten Ansprüche insbesondere der indigenen Völker und die Erfordernisse der Wissenschaft unter einen Hut zu bringen. Den Forschenden bereiten dabei nicht in erster Linie eventuelle Ausgleichszahlungen Kopfzerbrechen, sondern vielmehr die Handhabbarkeit eines solchen Prozesses. Wen muss man um Erlaubnis bitten? Und was, wenn digitale Informationen aus zahlreichen Quellen herangezogen werden? „Vom Einzelfall abhängige Genehmigungsverfahren sind absolut unvereinbar mit dem existierenden System tausender weltweit verlinkter Sequenzdatenbanken, in denen Milliarden frei zugänglicher Sequenzen permanent ausgetauscht werden“, so Overmann. Er befürwortet einen Vorschlag internationaler Wissenschaftler*innen aus 18 Ländern. Der sieht einen weiterhin freien Zugang zu den Datenbanken vor und will zugleich über Zahlungen in einen Fonds den Biodiversitätsschutz in den Ländern des globalen Südens fördern.

Auch Dr. Jens Freitag, Leiter der Geschäftsstelle, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben spricht sich für einen Fonds mit einem definierten Verteilungsschlüssel aus. Gefüllt werden könnte der zum Beispiel mit einer Kleinsteuer auf Laborausrüstungen.

„Nur mit einem freien Zugang lassen sich globale Ziele wie die Gesundheitsvorsorge, Ernährungssicherheit und der Schutz der biologischen Vielfalt erreichen.“

Dr. Jens Freitag, Leiter der Geschäftsstelle, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK)

Auf der Biodiversitätskonferenz in Montreal werden verschiedene Vorschläge auf dem Tisch liegen. Dann muss der Ausgleich gefunden werden: Zwischen dem notwendigen offenen und freien Austausch von Daten in einer globalen Wissenschaftsgemeinde und den Ansprüchen von Völkern, den dieses Wissen zum Teil zu verdanken ist. Für Jens Freitag steht in Kanada nicht nur für die Wissenschaft einiges auf dem Spiel: „Nur mit einem freien Zugang lassen sich globale Ziele wie die Gesundheitsvorsorge, Ernährungssicherheit und der Schutz der biologischen Vielfalt erreichen.“ Das sei im Interesse aller Länder.

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