Verschwörungstheorien als Mittel der Stressbewältigung
Im Extremfall kann das, so Gilan weiter, aber kippen und zur Verharmlosung führen. Diese Vermeidungsstrategie kann für den einzelnen zwar kurzfristig wirken. Aus gesellschaftlicher Perspektive dürfte sie aber schädlich sein, weil unter Umständen Vorsichtsmaßnahmen und Schutzvorkehrungen missachtet werden. Auch die Flucht in Verschwörungstheorien gehört aus Sicht der Experten zu dieser Art von dysfunktionaler Stressbewältigung. „Verschwörungstheorien liefern eine Sinnerzählung: Sie geben der Krankheit eine tiefere Bedeutung, die viele Menschen suchen, die wissenschaftliche Fakten allein aber nicht liefern”, sagt Hansjörg Dilger.
Ob und wie stark das Angstempfinden der Menschen ausgeprägt ist, ist sehr individuell und hängt neben den genetischen Prägungen zu einem sehr großen Teil vom jeweiligen Kontext ab. „Dazu zählen etwa die finanziellen Umstände eines Menschen, das Ausmaß an sozialer Unterstützung, das erfahren wird, die Qualität der Informationen und Aufklärung, das Bildungsniveau”, sagt Gilan.
Die aktuelle Lage sieht die Resilienzforscherin als Ausnahmesituation und große Herausforderung insbesondere – aber nicht nur – für Menschen, die bereits mit psychische Vorerkrankungen zu kämpfen haben. „Wenn die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus lange bestehen bleiben, dürfte dies zu einer Verstärkung psychischer Erkrankungen führen. Je nachdem wie lange die Krise dauert, kann es auch zu langfristigen Verhaltensänderungen auf Individualebene kommen”, sagt die Psychologin. Wie drastisch die Auswirkungen sind, hänge aber stark vom Individuum ab, so Gilan: „Die Menschen können unterschiedlich lange mit einer solchen Ausnahmesituation umgehen.“