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Debatten ohne oder mit Ende?!

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Kamps

Die meisten Debatten werden nicht dauerhaft geführt, sondern über einen bestimmten Zeitraum. Gibt es typische” Anzeichen für ein absehbares beziehungsweise baldiges Ende einer Debatte? 

Das hat meiner Meinung nach sehr viel mit der persönlichen Wahrnehmung zu tun. Als Einzelperson egal in welchem Kontext kann ich eine Debatte natürlich nicht alleine beenden, da wir ja von plural geführten Debatten ausgehen. Zu einem gewissen Zeitpunkt kann man vielleicht auch von einer “Debattenmüdigkeit” sprechen, wenn man genug über ein Thema geredet hat und es so langsam zum Erliegen kommen. Auch Debatten haben daher gewisse Zyklen. Außerdem gibt es wiederkehrende Strukturen und Routinen. Und wenn die abgelaufen sind, kann das möglicherweise das Ende einer Debatte herbeiführen.

Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?

Ja, gerne. Wenn in einer Wissenschaftszeitschrift ein Artikel zu bestimmten neu gewonnenen Daten veröffentlicht wird, können darauf wiederum Stellungnahmen anderer Wissenschaftler*innen folgen, die die Daten vielleicht auf eine andere Weise interpretieren. Darauf kann der oder die Ursprungsautor*in dann in der Regel auch noch einmal reagieren. Aber diese Form des Austausches wird nicht endlos stattfinden, wie das bei einem sozialen Gespräch der Fall sein kann. Generell würde ich zwischen zwei Debatten unterscheiden: Zunächst Debatten, die ein Thema oder ein Problem behandeln, das so brennend für die Gesellschaft oder die Wissenschaft ist, dass man nicht sagen kann, jetzt gibt es ein Ende dieser Austausch-Routine. Dem gegenüber stehen Debatten mit einem Thema, bei dem man sich in diesem Prozess auch begnügen kann und wobei es sich nicht um ein Thema handelt, das sich aufdrängt, weiter zu machen.

Was definiert denn das Ende einer Debatte?

Meiner Meinung nach gibt es keinen „Standard”, wann eine Debatte zu Ende ist. Jede Debatte ist unterschiedlich und besitzt ihr Eigenleben. Die ganz großen gesellschaftlichen Debatten sind häufig historische Debatten. Der Anfang dieser Debatten ist meist ähnlich: Es wird eine oft provozierende These in den Raum gestellt. Dann gibt es Schwingung von verschiedenen Akteur*innen. Wann und wieso jedoch die populären Medien nicht mehr so häufig über diese Themen berichten, das kann diverse Gründe haben und ist von Debatte zu Debatte unterschiedlich. Als Beispiel lässt sich hier eine erschöpfte Aufmerksamkeitsspanne der Menschen nennen.

„Meinungsvielfalt spielt selbstverständlich bei Debatten eine große Rolle und ist gerade in unserer Gesellschaft sehr wichtig. Ein Diskurs, der nur von einer Meinung dominiert wird, ist kein Diskurs.“

Eine Debatte zielt per Definition darauf ab, die andere Person beziehungsweise die andere Seite von den eigenen Argumenten zu überzeugen. Ist eine Debatte also erst dann zu Ende, wenn alle Personen auf einer Seite stehen und dieselbe Meinung haben?

Nach meinem Verständnis von Debatten, zielt die Masse der öffentlichen Debatten weniger darauf ab, die andere Seiten von den Argumenten zu überzeugen, sondern eher darauf, Dritte von einer Meinung zu überzeugen. Meinungsvielfalt spielt selbstverständlich bei Debatten eine große Rolle und ist gerade in unserer Gesellschaft sehr wichtig. Ein Diskurs, der nur von einer Meinung dominiert wird, ist kein Diskurs. Debatten sind in der Realität häufig auch so angelegt, dass man zu einem Ende kommen kann und sich irgendwann ausreichend darüber unterhalten hat. 

Bedeutet das Ende einer Debatte gleichzeitig, dass das Thema gesellschaftlich nicht mehr relevant ist?

Das ist schwer zu sagen. Das Ende einer Debatte kann möglicherweise ein Problem auch nur aufschieben und in die Zukunft verlegen. Andere Debatten wiederum können zu einem Konsens führen, also einer Übereinstimmung beziehungsweise einer Lösung.

Fallen Ihnen Beispiele für eine ausdiskutierte Debatte ein?

Die Masse der gesellschaftlichen Debatten, die bereits geführt wurden, könnte man jederzeit wieder aufnehmen, da es immer Menschen gibt, die anderer Meinung sind. Gerade bei wissenschaftlichen Debatten können Debatten durch neue Ideen, Entwicklungen, Innovationen oder Forschungsmethoden wieder aufgenommen werden. Einige gesellschaftliche Debatten kommen auch regelmäßig wieder auf, wie beispielsweise das Thema Nationalsozialismus. Gerade für uns Deutsche ein Debatten-Thema, das auch aus gutem Grund nicht vergeht, da auch heute noch aktueller Diskussionsbedarf dahingehend besteht.  

„Historische Debatten sind meiner Meinung nach häufig Debatten, wo die Expert*innen weiter diskutieren möchten, die breite Masse der Gesellschaft allerdings einigermaßen rasch müde wird.“

Dabei gibt es aber auch Teile der Bevölkerung, die davon nichts mehr hören wollen. Wenn man die Debatte allerdings nutzt, um eine gewisse Form von Geschichtspolitik zu betreiben und damit üble Folgen für die Gegenwart vermeiden kann, kann man über dieses Thema nicht lange genug diskutieren. Es kommt also auf den Blickwinkel an. Historische Debatten sind meiner Meinung nach häufig Debatten, wo die Expert*innen weiter diskutieren möchten, die breite Masse der Gesellschaft allerdings einigermaßen rasch müde wird.

Außerdem möchten viele Menschen beispielsweise über den Klimawandel nicht jeden Tag etwas hören, obwohl man von den Katastrophenszenarien weiß. Wissenschaftler*innen wollen mit neuen Informationen zu diesem Thema dennoch an die Öffentlichkeit. Bei der Bevölkerung stoßen diese krisenhaften Fragen vielleicht aber leichter auf Ablehnung.

Welche Gründe kann es aus ihrer Sicht dafür geben, vermeintlich beendete Debatten wieder aufzunehmen?

Ein Grund dafür könnte ganz einfach sein, dass neue Dinge entdeckt werden. Größere politische Skandale werden beispielsweise erst durch die Debatte zum Skandal. Wenn dieser Skandal dann vermeintlich ausdiskutiert ist und man in einem Jahr über etwas stolpert, das gewisse Gemeinsamkeiten mit eben diesem Skandal besitzt, dann kann es durchaus sein, dass die Debatte wieder hochgeholt wird.

Mit einem Blick auf die deutsche Geschichte ist natürlich auch die Debatte über die Vergangenheit, die nicht vergehen will, eine wiederkehrende, klassische deutsche Debatte. Ähnliche Fragen werden immer wieder gestellt: Wie konnte es dazu kommen? Wie kann so etwas künftig verhindert werden? Was lernen wir daraus? 

Zur Person

Prof. Dr. Klaus Kamps lehrt an der Hochschule der Medien Stuttgart Kommunikationswissenschaft. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Kommunikationstheorie, Journalismusforschung und Medienethik.

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