Würde ein Lieferstopp der Öl- und Gasimporte aus Russland die Energiewende in Deutschland eher behindern oder hätte es sogar einen beschleunigenden Effekt?
Unabhängig von einem Embargo wird die gesamte politische Lage aktuell zu einer Beschleunigung der Energiewende führen. Insgesamt ist klar geworden, wie problematisch die massiven Abhängigkeiten in der Energieversorgung sind. Die Zielfunktion für die Energiewende wird nicht mehr alleine der Klimaschutz sein, sondern die Frage der Versorgungsabhängigkeit wird eine wichtige zusätzliche Rolle spiele. Allerdings wird von vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern schon lange darauf hingewiesen, dass diese Themen eng zusammenhängen. Wenn das Embargo kommt, werden wir zwischenzeitlich wohl erstmal wieder mehr CO2 ausstoßen, weil wahrscheinlich wieder mehr Kohle verstromt wird. Das ist unter diesen Umständen auch gerechtfertigt. Wenn man das auf einer Zeitskala bis 2040 sieht, muss das in der Summe auch nicht einmal nachteilig sein, wenn gleichzeitig der Ausbau der erneuerbaren Energien massiv vorangetrieben wird. Bei einer derartigen Beschleunigung des Wandels wird der Haupteffekt über den Verbrauch kommen. Treiber sind die hohen Preise aller Energieträger. Lebensstil- und Verbrauchsänderungen spielen bislang nur eine geringe Rolle. Für mich ist die große Frage, ob in dieser außergewöhnlichen Situation die Menschen vielleicht tatsächlich zu Verzicht oder einem geringeren Verbrauch bereit sind. Es kommt mir aber auch etwas zynisch vor, unter dem Druck einer Katastrophe darauf zu hoffen, dass sich Dinge verändern auf die wir schon seit Jahren hoffen.
Sie forschen vor allem an Energiespeichersystemen. Wie hängen Erdgasimporte, Energiespeichersysteme und die Energiewende zusammen?
Gaskraftwerke sind in der aktuellen Stromversorgungsstruktur dazu da, die Stromspitzen aufzufangen. Die werden also dann benutzt, wenn der meiste Strom gebraucht wird, weil sie schnell hochgefahren werden können. Bei erneuerbaren Energien entstehen zusätzlich Schwankungen in der Stromerzeugung entsprechend der jeweiligen Wettersituation. Hier gleichen die sehr flexiblen Gaskraftwerke aktuell große Schwankungen aus. Solange wir noch fossile Energieträger nutzen, ist dieses Gas fossiles Erdgas. Die Energiesystemmodelle haben gezeigt, dass an Anteilen von gut 80 Prozent an erneuerbaren Energieträgern, in Zeiten, in denen es Stromüberschuss gibt, Wasserstoff oder Methan aus dem Strom der Windkraft- und Photovoltaikanlagen erzeugt und gespeichert wird. Das Gas können wir in unserer bereits bestehenden Infrastruktur, wie Kavernenspeicher und Pipelines, speichern und verteilen und damit Strom erzeugen, wenn die erneuerbaren Energien nicht genug Strom liefern. Mit diesen sogenannten Langzeitspeichern können wir etwa Energie aus dem Sommer in den Winter mitnehmen und uns insbesondere für die sogenannten Dunkelflauten wappnen, also Zeiten von bis zu drei Wochen, in denen Wind und Sonne für die Versorgung nicht ausreichen. Das Gute an dieser Gaswirtschaft ist, dass wir mit dem fortschreitenden Ausbau der erneuerbaren Energien einen graduellen Übergang von fossilem Gas zu grün erzeugtem Gas hinkriegen können. Wenn das fossile Erdgas jetzt wegfällt, kann Gas aus Strom auch schon früher erzeugt und genutzt werden.