Klimawandel, Coronapandemie, Krieg in der Ukraine, der Kornkammer der Welt: Die Lage von Millionen Menschen, die weltweit von Hunger bedroht sind, verschärft sich zurzeit auf dramatische Weise. Mit welchen Migrationsbewegungen rechnen Sie infolge der aktuellen Entwicklung, Prof. Heidland?
Arme Menschen, die Hunger leiden, haben meist gar nicht die Mittel, um international zu migrieren. Viele Haushalte in ärmeren Ländern haben wegen klimawandelbedingter Dürren und während der Lockdowns in der Pandemie ihr Einkommen verloren und ihre Ersparnisse aufgebraucht. Die aktuelle Lebensmittelpreisinflation führt nun dazu, dass sie sich ganze Mahlzeiten nicht mehr leisten können. Doch ich rechne akut mit weniger Migration als man erstmal annehmen könnte. Das wird leider auch dazu führen, dass die Krisen ein stückweit unsichtbar bleiben. Sie werden sich in den Slums und den Armenvierteln von afrikanischen Großstädten abspielen. Und auch in kleineren Städten, aus denen westliche Medien noch seltener berichten.
Wie lautet Ihre längerfristige Prognose?
Das kommt darauf an, wie es mit der politischen Stabilität in den einzelnen Ländern weitergeht. Von der letzten großen Lebensmittelpreiskrise vor gut zehn Jahren wissen wir: Es kann zu Protesten kommen, die gewaltsam niedergeschlagen werden. Einige Regime könnten gestürzt werden. Es kann zu bewaffneten Konflikten kommen, die dann mehr Fluchtmigration zur Folge haben.
National oder international?
In erster Linie und zunächst einmal sicherlich innerhalb der Region. Auch im Falle von Syrien haben wir gesehen: Die Unzufriedenheit über hohe Lebensmittelpreise hat dazu beigetragen, dass dort protestiert wurde, Aufstände wurden gewaltsam niedergeschlagen, es kam zur Revolte, dann zur Revolution. Die Menschen sind erstmal innerhalb der Region geflohen und migriert. Die Migrationsbewegungen nach Europa setzten zwei, zweieinhalb Jahre später ein. Dem Welternährungsprogramm waren damals die Mittel ausgegangen, um die Menschen vor Ort zu ernähren.