Sie haben damals interveniert…
Ja, unsere Forschung am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung hat dazu beigetragen, dass dieses Nudging gestoppt wurde. Heute werden in Deutschland verständliche Einladungen versandt, anders als etwa vielerorts in den USA. Das Ziel des Nudging war nicht, Frauen eine informierte Entscheidung zu ermöglichen, sondern die Teilnahmeraten am Screening zu erhöhen. Statt ihnen in transparenter Art und Weise die Evidenz zu erklären, einschließlich des möglichen Schadens, verdrehte man die Evidenz und nutzte das Problem aus, dass viele Menschen nie gelernt haben, statistisch zu denken und den Unterschied zwischen dem relativen Risiko (20 Prozent weniger) und einem absoluten Risiko ( 1 in 1000 weniger) womöglich nicht kennen.
Wie ginge es besser? Tatsächlich haben ja viele Menschen dieses Wissen nicht.
Aber wir könnten es lernen! Wir haben in unserer Forschung immer wieder gezeigt, dass man schon Viertklässler*innen statistisches Denken und Risikokompetenz lehren kann. Boosting statt Nudging. Mitdenkende statt manipulierte Bürger*innen. Das ist eine Frage des politischen Willens.
Welche langfristigen Auswirkungen auf die Eigenverantwortungs- und Urteilsfähigkeit von Menschen sehen Sie, wenn Nudging zunehmend praktiziert wird?
Die langfristige Auswirkung wäre, dass Menschen nicht mehr die Kompetenz haben, informierte Entscheidungen zu treffen. Es gäbe mehr Verschwörungstheorien. Wir würden mehr Menschen begegnen, die emotional auf die Straße gehen, oder online posten, ohne genau zu wissen, wogegen sie protestieren. Kurz gesagt: Wir würden uns vom Zeitalter der Aufklärung entfernen.