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Zustimmen oder widersprechen?

Zur rechtlichen Dimension der Organspende in Deutschland

Die niederländische Regierung hat ja gesagt – ja zur Organspende und ja zur Widerspruchsregelung. Per Gesetzesänderung wurde der Wechsel von einer Zustimmungsregelung hin zu einer Widerspruchsregelung vom niederländischen Parlament am 13. Februar 2018 beschlossen. Ab 2020 wird nun jeder volljährige Niederländer grundsätzlich Organspender, es sei denn, er entscheidet sich noch zu Lebzeiten aktiv dagegen.

In Deutschland ist das anders. Hier herrscht seit der Reform des Transplantationsgesetzes 2012 die Entscheidungsregelung. Zuvor galt lange die Zustimmungsregelung. Der Unterschied: Heute legt das Transplantationsgesetz fest, dass die Krankenkassen ihre Versicherten regelmäßig über die Organspende informieren müssen und eine Entscheidungshilfe geben sollen. So soll die Spendenbereitschaft gesteigert werden und sich jeder aktiv mit dem Thema Organspende auseinandersetzen.

„Die Entscheidungsregelung funktioniert nicht. Man muss sich weder mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzen, noch ist man gezwungen eine Entscheidung zu treffen.“

Prof. Dr. Paolo Fornara, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie

„Letztendlich ist es aber weiterhin die alte Zustimmungslösung, man hat ihr nur einen neuen Namen gegeben“, sagt Prof. Dr. Bruno Meiser, Leiter des Transplantationszentrum München und Präsident der Stiftung Eurotransplant. Denn wer nicht aktiv der Organspende einwilligt, spendet nicht. Prof. Dr. Paolo Fornara, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie, sieht die momentane Regelung ebenfalls kritisch: „Die Entscheidungsregelung funktioniert nicht. Man muss sich weder mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzen, noch ist man gezwungen eine Entscheidung zu treffen.“

Das ist in den Niederlanden nun anders. Denn die Entscheidung, ob die Organe nach dem Tod gespendet werden, hat nun der Staat der Bevölkerung abgenommen. Vorausgegangen waren lange und kontroverse Diskussionen über die Widerspruchslösung sowohl in der Gesellschaft als auch in der Politik. Wie schwierig und kontrovers die Entscheidung war, zeigte sich bei der Abstimmung im Parlament, als der entsprechende Gesetzesentwurf mit einer sehr knappen Mehrheit von 38 zu 36 Stimmen angenommen wurde.

Auch in Deutschland wird die Einführung einer Widerspruchsregelung immer wieder von Experten, Politik und Gesellschaft diskutiert. Die Hoffnung: Würde man das Transplantationsgesetz hin zu einer Widerspruchslösung ändern, würde die Zahl der Spender erheblich steigen. Stehen doch repräsentativen Umfragen zufolge rund 80 Prozent der Bevölkerung ohnehin hinter der Idee der Organspende. „Die Widerspruchslösung kann eine legitime Lösung sein, um dem Bürger, der der Organspende grundsätzlich positiv gegenübersteht, in seiner Bequemlichkeit entgegenzukommen,“ sagt Prof. Dr. Silke Schicktanz vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen. „Das setzt aber voraus, dass die Bürger darüber informiert sind, dass sie Organspender sind, solange sie nicht dagegen widersprechen“, ergänzt sie.

„Der Staat greift permanent in unser Selbstbestimmungsrecht ein. Wenn man nicht Organspender sein möchte, legt man das im Vorhinein fest“

Prof. Dr. Bruno Meiser, Leiter des Transplantationszentrum München und Präsident der Stiftung Eurotransplant

Für Medizinethiker Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann von der Ruhr-Universität Bochum ist die Widerspruchsregelung keine Option, sie sei „ethisch problematisch, weil sie ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen über den eigenen Körper ist.“ Jenes Selbstbestimmungsrecht, welches zur Freiheit des Einzelnen und als wichtiger Bestandteil der Menschenwürde zählt, genießt im Grundgesetz besonderen Schutz. Und es reicht nach Auslegung vieler auch über den Tod hinaus. „Eine Widerspruchsregelung wäre die Kapitulation vor der Idee einer aktiven und freiwilligen  Spende und käme einer staatlichen Bevormundung gleich“, sagt Vollmann.

Inwieweit die Widerspruchslösung aber Personen tatsächlich daran hindert frei und bewusst eine Entscheidung zu treffen, ist unter den Experten strittig. Immerhin kann auch bei einer Widerspruchsregelung jeder der Organentnahme bewusst und aktiv widersprechen. „Wenn man nicht Organspender sein möchte, legt man das im Vorhinein fest“, sagt Meiser. Ohnehin, so führt er weiter aus, „greift der Staat permanent in unser Selbstbestimmungsrecht ein – auch bei persönlichen Belangen wie dem Tod. Wer verstirbt, ist an die gesetzliche Erbschaftsregelung gebunden – es sei denn, man formuliert ein Testament. Gleiches gilt auch für die Widerspruchslösung.“

„In den allermeisten Ländern wissen viele Menschen nicht, wie die rechtliche Regelung zur Organspende ist – in diesem Fall ist die Widerspruchsregelung problematisch“

Prof. Dr. Silke Schicktanz, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin in Göttingen

In der Diskussion über Selbstbestimmung und Widerspruchsregelung spielt auch die Auseinandersetzung der Bevölkerung mit der Thematik eine Rolle. „In den allermeisten Ländern wissen viele Menschen nicht, wie die rechtliche Regelung zur Organspende ist – in diesem Fall ist die Widerspruchsregelung problematisch. Wir brauchen aber ein sehr hohes Maß an Aufklärung, um die Widerspruchslösung mit unseren ethischen und rechtlichen Grundbedingungen überhaupt in Einklang zu bringen“, sagt Schicktanz. Und auch für den Staatsrechtler Prof. Dr. Wolfram Höfling von der Universität Köln ist die Information und die Diskussion in der Bevölkerung ein zentraler Punkt: „Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Widerspruchslösung bestehen nicht, wenn diese in eine wirklich offene und ehrliche Debatte über Organspende integriert ist.“

Unabhängig davon, ob sie eine gesetzliche Änderung der Organspende befürworten oder nicht, Einigkeit herrscht unter den Experten vor allem in einem Punkt: Eine Gesetzesänderung allein kann den Organmangel in Deutschland nicht lösen. In einem Statement der Deutschen Stiftung Organtransplantation, verantwortlich für die Koordination der Organspende in Deutschland, heißt es dazu: „Wir sind keinesfalls gegen eine Widerspruchsregelung. Aber wir glauben auch nicht, dass sie das alleinige Allheilmittel ist. Denn nicht nur die gesetzlichen Regelungen, sondern auch zu viele andere Gründe erschweren die Organspende in Deutschland.“

 

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