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Spielen Gene eine Rolle bei der Wahlentscheidung?

Ein Gespräch mit John R. Hibbing, Ph.D.

Herr Hibbing, Sie sind einer der Pioniere in der Forschung zur Beziehung zwischen Genetik und Politik. Was war die Ausgangsidee hinter der Erkundung dieses neuen Feldes?

Ich denke, es begann mit der Beobachtung, dass im Gespräch mit Menschen manchmal der Eindruck aufkommt, als ob ihre politischen Überzeugungen sehr tief sitzen, dass sie nicht nur etwas Äußerliches sind, sondern eigentlich aus dem Inneren kommen. Also begannen meine Kolleg*innen und ich uns zu fragen, ob vielleicht mehr hinter politischen Einstellungen steckt als nur das, was die Menschen erfahren haben. Und: Ob wir vielleicht andere Methoden als eine Umfrage anwenden sollten, denn manchmal sind Menschen nicht wirklich in der Lage, uns zu sagen, was in ihnen vorgeht. Diese Art von Beobachtungen brachte uns auf den Gedanken, dass es von Nutzen wäre, zu versuchen, hinter die Fassade zu schauen und zu sehen, was auf einer tieferen Ebene vor sich geht – auf der genetischen Ebene.

Mit welchen Methoden sind Sie an dieses Forschungsinteresse herangegangen? 

Das gängigste Studiendesign, um die Rolle der Genetik zu untersuchen, sind Zwillingsstudien. Das Besondere an Zwillingsstudien ist, dass wir zwei unterschiedliche Arten von Zwillingen haben, nämlich eineiige und zweieiige. Eineiige Zwillinge waren einst dieselbe Eizelle, die sich dann nach der Befruchtung geteilt hat. Das bedeutet, dass sie sich genetisch sehr ähnlich sind, fast zu hundert Prozent. Bei zweieiigen Zwillingen hingegen handelt es sich um zwei getrennte Eizellen. Sie sind eher wie zwei reguläre Geschwister, sie sind bloß zufällig zur gleichen Zeit im Mutterleib. Ihre genetische Ähnlichkeit ist, wie bei Geschwistern, nur fünfzig Prozent. Der Vorteil dieses Studiendesigns besteht darin, dass wir vergleichen können, wie ähnlich sich Zwillinge in Bezug auf ein Merkmal sind. Wenn eineiige Zwillinge sich hinsichtlich ihrer Körpergröße ähnlicher sind als zweieiige, ist das ein ziemlich guter Hinweis darauf, dass die Genetik diesbezüglich eine Rolle spielt. Wir haben das gleiche Forschungsdesign in Bezug auf die politischen Überzeugungen angewendet. 

Können Sie die wichtigsten Ergebnisse in diesem Forschungsbereich bis heute zusammenfassen? Würden Sie sagen, dass politische Präferenzen vererbt werden?

Das zentrale Ergebnis ist, dass man in der Regel einen Vererbbarkeitskoeffizienten von etwa 0,3 erhält, was, einfacher ausgedrückt, bedeuten würde, dass etwa ein Drittel unserer politischen Überzeugungen auf die Gene zurückgeführt werden kann. Obwohl ich vielleicht gleichzeitig betonen sollte, dass dann noch zwei Drittel übrig bleiben, die von anderen Faktoren, wie der Umwelt, herrühren. 

„Die Gene prägen also zusammen mit der Umwelt alles Mögliche: die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, ob wir in unserem Privatleben gerne Risiken eingehen oder nicht, unsere Einstellung gegenüber Menschen, die anders sind als wir, und so weiter.“

Wie sind unsere politischen Einstellungen in unseren Genen verankert? 

Unsere politischen Überzeugungen müssen allgemein als Teil dessen betrachtet werden, was wir sind. Manche Menschen betrachten Politik als eine separate Sache, die sich auf winzige Themen konzentriert, die vielleicht heute wichtig sind, aber morgen nicht mehr. Niemand behauptet, dass es ein Gen gibt, das bestimmt, ob man der Meinung ist, Deutschland solle eine Pipeline für Erdgas nach Russland haben oder eines, das bestimmt, wie mächtig regionale Regierungen im Verhältnis zu Berlin sein sollten. In der Politik geht es darum, wie die Gesellschaft im Allgemeinen funktionieren soll und wie Menschen mit anderen Menschen umgehen sollen. Es geht um unsere Prioritäten für das soziale Leben, und das hängt eng mit unserer Persönlichkeit zusammen, die übrigens ebenfalls stark genetisch geprägt ist. Die Gene prägen also zusammen mit der Umwelt alles Mögliche: die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, ob wir in unserem Privatleben gerne Risiken eingehen oder nicht, unsere Einstellung gegenüber Menschen, die anders sind als wir, und so weiter. Wenn man die Politik als Teil dieses größeren Elements darüber, wer wir sind und wie wir die Gesellschaft gestalten wollen, betrachtet, dann macht die Verbindung zur Genetik etwas mehr Sinn. 

„Wir müssen verstehen, dass Menschen, die gegen uns sind, nicht nur zu ihren Überzeugungen gekommen sind, weil sie einen Zeitungsartikel gelesen oder eine Fernsehsendung gesehen haben. Es geht viel tiefer als das.“

Können wir politische Haltungen ändern?

Die Botschaft dieser Untersuchung ist sicherlich nicht, dass man aufhören sollte, mit anderen über Politik zu sprechen, weil die Ansichten der Menschen unveränderlich seien. Es gibt zwar einige Menschen, die sich nicht ändern lassen, und das müssen wir anerkennen, aber das heißt nicht, dass alle so sind. Es gibt viele Menschen, die sich in der Mitte befinden oder die keine intensiven Gefühle gegenüber der Politik haben und daher immer noch wandelbar sind. Wir müssen verstehen, dass Menschen, die gegen uns sind, nicht nur zu ihren Überzeugungen gekommen sind, weil sie einen Zeitungsartikel gelesen oder eine Fernsehsendung gesehen haben. Es geht viel tiefer als das. Deshalb wäre es hilfreich, wenn wir lernen würden, ihre Sprache zu sprechen. Wir müssen sicherlich nicht mit ihnen übereinstimmen, aber wir würden die Kommunikation verbessern, wenn wir versuchen würden, uns ein wenig mehr in ihre Köpfe hineinzuversetzen – wenn wir anerkennen würden, dass sie sich von uns unterscheiden.

Wie lassen sich diese Erkenntnisse mit der politischen Landschaft in Deutschland und den bevorstehenden Wahlen in Verbindung bringen? 

Politische Parteien kommen und gehen. Ich glaube nicht, dass die Forschung über den Zusammenhang zwischen Genetik und Politik viel über den Unterschied zwischen jemandem, der sich mit der CDU identifiziert aussagt im Vergleich zu jemandem, der eher Sozialdemokraten anhängt. So groß ist der Unterschied in der Einstellung zum Leben und zur Gesellschaft einfach nicht. Ob jemand eine Partei wie die AfD unterstützt oder nicht, hat dagegen eher mit den tieferen biologischen Fragen zu tun, die wir hier diskutieren. Einwanderung ist ein evolutionäres Kernthema, weil es um das zeitlose Thema geht, wie man mit Außenseiter*innen umgehen sollte. Das ist eine Sache, die wahrscheinlich zum Teil eine Grundlage in den Genen hat, während man von den Genen nicht erwarten kann, dass sie für die kleineren alltäglichen Themen relevant ist, die sich von Zeit zu Zeit und von Land zu Land ändern. 

Inwiefern werden die Erkenntnisse aus der Forschung über Genetik und Politik in der Regel missverstanden?

Die meisten Menschen verstehen nicht, wie kompliziert das Thema ist. In der Regel handelt es sich um eine Wechselwirkung zwischen Genen und Umwelt, ganz zu schweigen von den vielen Genen, die miteinander interagieren. Viele sehen in Natur und Erziehung eine Dichotomie. Das ist aber falsch. Es ist nicht entweder die Natur, also die Gene, oder die Erziehung, im Sinne der Sozialisation und Umwelt, die uns ausmacht. Es geht um beides. Wir sprechen hier von einer Kombination, einer sehr komplexen Kombination.

Zur Person

John Richard Hibbing, Ph.D. ist Politikwissenschaftler und Foundation Regent University Professor an der Fakultät für Politikwissenschaft der Universität Nebraska-Lincoln. Sein Forschungsinteresse gilt dem Zusammenhang zwischen biologischen Merkmalen und politischen Einstellungen. 

 

Foto: Craig Chandler / University Communications

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