Foto: Darko Stojanovic

Der Transplantationsskandal

Missbrauch und seine Folgen

Der 20. Juli 2012 war ein schwarzer Tag in der Geschichte der deutschen Transplantationsmedizin. An diesem Tag wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig die Ermittlungen gegen den früheren Leiter der Transplantationschirurgie, Aiman O., am Uni-Klinikum Göttingen aufgenommen hatte. Der Grund: Ein anonymer Hinweis darauf, dass der Mediziner Krankenakten gefälscht habe, damit Patienten schneller an Spenderorgane kämen.

„Es gab zu wenige Kontrollen und zu viel Spielraum, um vorhandene Vorgaben breit zu interpretieren“

Prof. Dr. Silke Schicktanz, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen

Vorwürfe, die sich später nicht nur bewahrheiten sollten, sondern sich zu einem Skandal in ganz Deutschland ausweiteten. Schließlich wies eine Prüfung durch die Ständige Kommission Organtransplantation (STÄKO) der Bundesärztekammer (BÄK) auch in Leipzig, München und Münster eindeutige Anhaltspunkte für systematische Falschangaben nach, auch wenn diese nicht den Umfang der Göttinger Manipulationen erreichten. Einen der Gründe sieht Prof. Dr. Silke Schicktanz vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen in den damals noch zu geringen Regularien: „Es gab zu wenige Kontrollen und zu viel Spielraum, um vorhandene Vorgaben breit zu interpretieren. So etwas schafft natürlich Freiräume für Manipulationen. Allerdings wurde dies als Folge des Skandals verändert, um so etwas künftig zu vermeiden”.

Später wurde Aiman O. vom Vorwurf des versuchten Totschlags und der Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Mediziner versuchten Totschlag vorgeworfen, weil er durch Manipulationen und falsche Angaben dafür gesorgt habe, dass eigene Patienten bei der Vergabe von Spenderlebern bevorzugt wurden. Damit habe er billigend in Kauf genommen, dass andere Patienten auf der Warteliste nach hinten rutschen und sterben können. Der BGH sah ebenso wie das Landgericht Göttingen das Verhalten zwar als moralisch verwerflich an, aber eben nicht als strafbar.

„Ob das nun richtig oder falsch ist, ist schwer zu beurteilen. Das Organvergabesystem ist als solches ohnehin schon sehr komplex. Jetzt kommt eben die Frage dazu, ob es Leben kostet, wenn man solche Daten manipuliert. Aus juristischer Sicht ist das ein nachvollziehbares Urteil”, sagt Prof. Dr. Susanne Beck, Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsvergleichung und Rechtsphilosophie an der Universität Hannover.

Schwere Folgen hatte der Skandal auch im Hinblick auf den Ruf, den die Organspende in Deutschland genießt. Bis heute haben sich, trotz der rechtlichen Änderungen, die Spenderzahlen kontinuierlich verschlechtert – das Vertrauen der Bevölkerung in das System scheint bis heute nicht besonders groß zu sein. Denn das Verhältnis der Menschen zur Organspende hat wohl auch viel mit Ängsten zu tun. Viele Menschen haben davor Angst, dass notwendige Behandlungen unterlassen werden, wenn sie über einen Organspendeausweis verfügen.

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„Auch in den Kliniken hat sich durch den Skandal und die große Aufmerksamkeit sicherlich etwas positiv verändert, weil das Thema präsenter ist und die Leute stärker sensibilisiert sind.”

Prof. Dr. Susanne Beck, Universität Hannover

Auch Silke Schicktanz und Susanne Beck schließen einen Zusammenhang zwischen dem Skandal und der geringen Anzahl an Organspendern in Deutschland zumindest nicht aus. Jedoch sind sie sich mit vielen anderen Experten einig (siehe unten die Flipcharts), dass es noch andere Ursachen gibt und der konkrete Einfluss bisher noch nicht ausreichend untersucht ist.

Eine Umfrage, die Schicktanz mit über 1000 Studierenden durchgeführt hat, ergab sogar, dass die Zustimmung für die Organspende nach dem Skandal sogar zugenommen hat, weil es eine größere mediale Aufmerksamkeit für das Thema gab. „Auch in den Kliniken hat sich durch den Skandal und die große Aufmerksamkeit sicherlich etwas positiv verändert, weil das Thema präsenter ist und die Leute stärker sensibilisiert sind. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit größer, dass die herrschenden Regeln auch eingehalten werden”, sagt Beck. „Das ist eine der wenigen positiven Folgen des Skandals. Das gebrochene Vertrauen, wiegt dies allerdings nicht auf”.

 

Statements der Experten zum Vertrauen und dem Transplantationsskandal

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